SHAMROCK ALLEY - In den Gassen von New York. Ronald Malfi

SHAMROCK ALLEY - In den Gassen von New York - Ronald  Malfi


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Hals kam. Blut schäumte auf seinen Lippen.

      Ab diesem Moment explodierte alles. Es gab keinerlei Ordnung mehr, nur noch Chaos… wie zahllose Teile eines großen Puzzles, beliebig verstreut auf dem Boden eines ansonsten leeren Raumes.

      Er hörte, wie sich jemand an der gegenüberliegenden Wand plötzlich bewegte, gefolgt von dem unverwechselbaren Klack-klack-klack! ausgeworfener Patronenhülsen. Jemand kreischte auf. John spürte, wie eine Hand ihn am Hemdkragen packte. Er drehte sich um und hatte Deveneau vor sich, der ihm seinen sauer riechenden Atem ins Gesicht blies. John betrachtete seine Pistole, aus deren Mündung noch immer Qualm aufstieg.

      »Du hast gesagt, dieses Drecksloch hier ist sicher«, stieß er hervor. »Was zur Hölle ist los?«

      »Bleib an mir dran«, sagte Deveneau nur. »Los, komm. Schnell.« Schon war er auf den Beinen und schlich in der Hocke durch die Dunkelheit des angrenzenden Raumes. John konnte gerade so die Umrisse von Tressa ausmachen, die hochgezogen und nach vorn geschoben wurde.

      Er folgte ihnen in die Dunkelheit. Sein Herz klopfte dröhnend in seiner Brust. Der Raum gab das Echo ihrer Atmung zurück und ließ ihre Schritte widerhallen. John flüsterte Deveneau etwas zu und das Geräusch seiner Stimme hielt für einige Sekunden an. Der Raum musste größer sein, als er ursprünglich angenommen hatte. Nein, es war kein Raum – die Umgebung öffnete und vervielfachte sich zu einer Reihe schmaler, zylindrischer Tunnel.

      »Hier lang«, hörte er Deveneau flüstern.

      Hinter ihnen vernahm er die fernen, sich aber rasch nähernden Geräusche der Polizisten – ihre Stimmen und schweren Stiefel. Sonst waren nur das Knirschen seiner Schuhe auf dem bröckeligen Betonboden, Tressas leises Stöhnen und das fast meditative Rauschen von fließendem Wasser zu hören, das überall durch die Wände flüsterte.

      »Wohin gehen wir?«, fragte er mit unterdrückter Stimme. Deveneau und das Mädchen waren ein paar Schritte vor ihm.

      »Nach draußen«, waberte Deveneaus Stimme zu ihm zurück.

      Er hörte, wie Tressa lauter keuchte. Eine Flüssigkeit fiel ihm von oben ins Gesicht und in die Augen. Er stolperte und stieß gegen eine kalte Betonwand. Seine Füße gerieten in eisige Pfützen und ließen Wasser aufspritzen.

      »Kann nichts mehr sehen …«

      Sie liefen um eine Kurve, stoppten und standen schnaufend unter gerastertem Licht. John blickte nach oben und sah etwas, das ein rechteckiges Kanalgitter zu sein schien, ungefähr fünfzehn Fuß über ihren Köpfen. Wasser lief von ihm herunter und sammelte sich in Pfützen zu ihren Füßen. Metallsprossen ragten an einer Seite aus der Wand und führten nach oben.

      »Ist das die Straße?«

      Deveneau ergriff eine der Sprossen. Wasser spritzte in sein Gesicht, lief ihm den Rücken hinunter und durchtränkte sein Hemd. Seine Haut schien durch den nassen Stoff hindurch.

      »Richtig«, gab Deveneau außer Atem zurück. »Seitengasse. Ich klettere zuerst hoch und schiebe das Gitter zur Seite. Als Nächstes schickst du Tressa hoch, dann kommst du nach.«

      »Nichts wie los.« Er hörte jetzt dumpfe Geräusche, die in den Tunneln widerhallten. »Sie kommen.«

      Schnell kletterte Deveneau die Sprossen nach oben. Er benötigte nur ein paar Sekunden, um den Ausstieg zu erreichen. Das Wasser von der Straße über ihm lief in sein Gesicht, über die Hände, die Schultern. Mit einer Hand griff er nach einer Metallstrebe des Gitters. Seine Hand zitterte, er murmelte etwas in sich hinein, trocknete die Hand an seinem rechten Hosenbein und packte das Gitter erneut. Nach ein paar kräftigen Stößen lockerte sich das Gitter und schrammte über den Rand der rechteckigen Betoneinfassung.

      John packte Tressas Arm und schob sie auf die eisernen Sprossen zu.

      Sie sah ihn mit einer Mischung aus Verwirrung und Eindringlichkeit an.

      Er nickte. »Geh. Jetzt.«

      Sie hielt inne, und für einen Moment hatte er den Eindruck, ihr Körper hätte einfach jede Funktion eingestellt. Dann endlich drehte sie sich um, griff mit beiden Händen nach einer Sprosse und zog sich nach oben. Über ihnen hatte Deveneau das Kanalgitter zur Seite geschoben und war auf die Straße geklettert. Für einen kurzen Moment verdeckte die Silhouette seines Kopfes das orange-gelbe Licht der Straßenlampen.

      Sobald Tressa aus dem Weg war, kletterte John nach oben. Er konnte deutlich hören, wie hinter ihm zahlreiche Stiefel durch Pfützen stürmten.

      Tressa erreichte die Öffnung und Deveneau hievte sie auf die Straße. Eine Sekunde später war John oben und suchte fieberhaft nach etwas zum Festhalten, um sich herauszuziehen. Deveneau packte sein Handgelenk, riss ihn hoch und bekam dann seine andere Hand zu fassen. John stolperte aus dem Loch im Boden auf die Straße, überwältigt von der kalten Nachtluft und dem erdrückenden Gestank des East River. Sie befanden sich in einer Gasse zwischen dem Klub und einem heruntergekommenen Mietshaus. Unzählige Müllsäcke und weggeworfene Kartons lagen wie in einer aus Unrat gebauten Metropole um sie herum.

      Ihm war schwindlig und er brachte gerade so heraus: »Sie sind immer noch hinter uns her.«

      »Gottverdammt.« Deveneau bückte sich und schob das Gitter zurück an seinen Platz. Seine Hände zitterten heftig.

      Neben dem Mietshaus entdeckte John einen großen Müllcontainer auf Rollen. Er rannte hinüber und rief Deveneau ohne sich umzudrehen zu, er solle ihm helfen. Sie packten den Müllcontainer an den Seiten und rüttelten daran. Er war voll und schwer, und die Geräusche der Ratten, die sich tief in sein Inneres gegraben hatten, ließen Deveneau zurückspringen. Er lachte nervös auf. Mit dem Fuß löste John die Feststellbremsen der Räder. Der Container ließ sich überraschend leicht über die Straße rollen. Jetzt hörte John das sich nähernde Heulen von Polizeisirenen.

      Deveneau stieß ein weiteres ersticktes Lachen aus. »Das darf verdammt noch mal nicht wahr sein!« Sein Gesichtsausdruck lag irgendwo zwischen einem halben Grinsen und subtiler Angst.

      Sie brachten den Müllcontainer über dem Kanalgitter zum Stehen. John ließ die Bremsen einrasten.

      Schließlich brach Deveneau in schallendes Gelächter aus. »Verdammte Scheiße!« Er boxte in die Luft. »Verdammte Scheiße

      »Jetzt komm schon!«, schrie Tressa. Immer lauter wurden die Sirenen.

      Deveneau stieß Tressa vor sich her und drängte sie, die Gasse hinunterzulaufen. Er hielt kurz inne und sah John mit einem irren, aufgeputschten Blick in die Augen. »Wir sehen uns.« Dann stürmte er hinter seinem Mädchen her. Seine Beine arbeiteten sich durch den Berg aus Müllsäcken, seine Füße ließen das Wasser aus den Pfützen stieben.

      John blieb in der Gasse stehen, holte tief Luft und gestattete seinem Kopf, wieder herunterzukommen. Elf, dachte er. Elf Polizisten habe ich gezählt, als dieser Spiegel sich gedreht hat. Wie konnte das passieren?

      Er schloss die Augen, ihn schauderte. In seinem Kopf hörte er noch immer die Phantomschreie der Polizisten in den Gängen unterhalb des Klubs. Als er an sich herabsah, stellte er fest, dass er immer noch die Pistole in der Hand hielt. Geistesabwesend fragte er sich, wie er es mit nur einer freien Hand geschafft hatte, nach oben zu klettern und den Müllcontainer auf das Gitter zu schieben.

      Weiter die Straße hinauf hörte er Sirenen. Auch unter ihm waren jetzt Geräusche, genau unterhalb des Kanalgitters. Schritte liefen durch Pfützen. Stimmen. Er drehte sich um und ging die Gasse langsam in die entgegengesetzte Richtung von Francis Deveneau und Tressa Walker. Er ließ die Waffe in seine Jackentasche gleiten, fuhr sich mit den Fingern durch seine nassen Haare und trat auf die Straße hinaus.

      KAPITEL 2

      Es war der Geruch nach gebratenem Speck, der ihn aus dem Schlaf holte.

      John drehte sich auf die andere Seite. Er hörte das Fett in der Pfanne zischen. Katie war wie immer früh auf. Entspannt ließ er sich auf ihre Hälfte des Bettes rollen und drückte sein Gesicht in ihr


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