SHAMROCK ALLEY - In den Gassen von New York. Ronald Malfi
ein und rollte sich dann auf seine Seite zurück. Am anderen Ende des Zimmers war ein winziges Fenster mit einer Scheibe aus Einfachglas, das von außen durch die davorliegende Feuertreppe verdunkelt wurde. Gerade einmal ein Schimmer von Sonnenlicht schaffte es, in den Raum zu zwinkern. John zuckte zusammen.
Er setzte sich auf, und plötzlich wurde ihm sein Körper schmerzlich bewusst. In seinem Kopf schien es besonders zu wüten. Der Raum kippte eine Winzigkeit. Er hielt inne, nach vorn gebeugt und in Unterhose, presste seine schlaffen Hände zwischen seinen Knien zusammen und atmete immer wieder tief ein und aus. Selbst seine Kehle schmerzte. Als er seine Augen schloss und sich mit den Fingern über die müden Lider rieb, wurde ihm bewusst, dass er letzte Nacht geträumt hatte … obwohl er sich nur blitzlichtartig an Bilder und Gefühle erinnern konnte. Alles Unfug, der nur im Schlaf etwas bedeutete.
Auf dem Nachttisch neben dem Bett lag ein Stapel College-Lehrbücher. Er dachte an seine Frau, und wie es aussehen mochte, wenn sie an der Universität war. Wie sie mit zurückgebundenen Haaren hinter einem der unbequemen hölzernen Schreibtische saß und das Radiergummiende ihres Bleistifts sanft ihren Mundwinkel berührte. Sie sah auf jeden Fall jung genug aus, um für eine reguläre Studentin gehalten zu werden – vielleicht sogar eine Studentin im Grundstudium – und sie war hinreichend intelligent, um ohne Schwierigkeiten durchzukommen. Das Einzige, womit sie sich tatsächlich von der Masse der anderen Studentinnen abhob, war ihr dicker Schwangerschaftsbauch. Er fragte sich, ob das in der heutigen Zeit überhaupt noch einen Unterschied machte.
Neben den Büchern hing seine Lederjacke über dem Bürostuhl. Auf dem Bett sitzend konnte er deutlich die Stellen an der rechten Seitentasche erkennen, die noch in der letzten Nacht Einschusslöcher gewesen waren. Während er geschlafen hatte, waren sie genäht worden.
Als er aufstand, durchzuckte ein stechender Schmerz von seinem Knöchel aus sein Bein, wie ein Blitz, der im Zickzack nach oben schoss. Sein rechtes Knie sah rot und geschwollen aus.
Er humpelte in den Flur, wobei er das verletzte Bein deutlich sichtbar hinter sich her zog. Die Geräusche, die der brutzelnde Speck machte, surften sanft auf den Wellen von Katies melodischem Summen. Der Flur war schmal, dunkel und vollgestellt mit noch ungeöffneten Kisten vom letzten Umzug. Aus einigen Kisten lugten hölzerne Bilderrahmen mit alten Fotos hervor, dazu Karate- und Baseball-Pokale, ein abgenutztes Paar lederner Schlittschuhe, die an den Schnürsenkeln zusammengebunden waren, ein alter Sombrero mit einem grünen Plastikpapagei auf der Hutkrempe.
Die Küche am Ende des Flurs war eng und schlecht beleuchtet mit nur einem einzigen kleinen Fenster über der Spüle mit dem Doppelbecken. Katie untersuchte die störrische Kaffeemaschine. Ihr Körper war in einen pinkfarbenen Bademantel gehüllt und wandte ihm die sanfte S-Kurve ihres Rückens zu. Er schlang ihr von hinten seine Arme um den schwangeren Bauch und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Er wusste, dass sie lächelte.
»Deine Arme reichen nicht mehr ganz herum.«
»Es gefällt mir«, gestand er und streichelte ihren sich nach vorn wölbenden Bauch.
»Du magst dicke, fette Mädchen?«
»Nur dich.«
»Pass ja auf, Freundchen. Willst du etwas essen?«
Er schüttelte den Kopf. Er musste die ganze Zeit an letzte Nacht denken, an das Chaos seiner Flucht durch die unterirdischen Tunnel.
»Du solltest etwas essen«, sagte Katie. Sie machte ihm einen Teller mit Speck, Eiern und Toast, und bestand darauf, dass er sich an den Tisch setzte. »Musst du heute arbeiten?«
Er nickte. Es fiel ihm schwer, sich hinzusetzen. Sein Knie fühlte sich an, als wäre es mit heißen Steinsplittern gefüllt. »Ja.«
»Heute ist Samstag«, sagte sie.
»Hmmm.«
Katie war sein Humpeln aufgefallen: Ihre Augen hatten sich genau in dem Moment getroffen, als er sich hinsetzte, und John wusste, dass sie seine Schmerzen bemerkt hatte. Aber sie sagte nichts. Sie sagte kaum etwas, fragte ihn nur selten, was in den langen Nächten geschah, in denen er in Dunkelheit und Kälte unterwegs war. Es war ein stiller Pakt, den sie nach seinem Eintritt in den Secret Service geschlossen hatten. Und in vielerlei Hinsicht waren Katies plötzliches Interesse an einem College-Abschluss, ihr Umzug in die neue Wohnung und sogar das Baby alles nur kleine, unbedeutende Dinge, nur Tapete, um die löchrige Wand eines Zimmers zu verdecken. Alles nur, damit ihre Ehe und seine Arbeit strikt getrennt blieben.
Er aß. Durch die Wände hörte er das schwache Dröhnen einer Stereoanlage. »Hast du heute viel vor?«, fragte er.
»Nicht so richtig.« Sie ließ Wasser aus dem Hahn in der Spüle über die Pfanne laufen. Es zischte, Dampf stieg auf. »Ich versuche, die restlichen Kisten im Flur auszuräumen.«
»Wie konnten wir nur so viel Mist ansammeln?«
»Frag mich doch nicht. Das meiste davon gehört dir. Ich sollte es vielleicht einfach nur verbrennen.«
»Ich sortiere alles durch, versprochen.«
»Wann?«
»Sobald ich Zeit habe.«
Er beobachtete sie dabei, wie sie von der Spüle zum Kühlschrank und wieder zurück schlurfte. Sie war wunderschön. Selbst im letzten Drittel ihrer Schwangerschaft sah sie fast kindlich unschuldig, beinahe naiv aus. Die Blicke, die sie ihm von Zeit zu Zeit von der Seite zuwarf, zeigten eine gewisse Verspieltheit, die bei einer erwachsenen Frau nur zu bewundern war. Irgendwie hatte sie es geschafft, zu einem absolut reinen Wesen zu werden, mit ihrem leichten Lächeln und ihren gelegentlichen Blicken, die an Teilen seines Körpers naschten, wenn sie aneinander vorbeigingen. Es lag sogar Magie darin, wie sie eine Haarlocke hinter ihr Ohr zurückschob.
Am Fenster über der Spüle hielt sie kurz inne, als die Sonnenstrahlen sie auf die genau richtige Weise trafen. Er spürte, wie ihn eine Spur Nostalgie ergriff.
John legte seine Gabel zur Seite. »Was ist?«
»Übelkeit.« Sie schüttelte den Kopf. »Es geht vorbei.«
»Musst du dich übergeben?«
»Nein, es geht schon wieder.«
»Setz dich. Und hör auf, dich um den Abwasch und irgendwelche Kisten zu kümmern.«
»Es geht mir gut.« Sie stellte sich hinter ihn und fuhr mit den Fingern durch seine Haare, während er weiter aß. Er konnte spüren, wie ihre Augen prüfend auf ihm lagen, als versuchte sie, etwas Wahres von seiner Haut abzulesen, ohne sein Zutun und ohne dass er etwas davon mitbekam. Er sah nicht auf. Bei jedem Mal, wenn ihre Finger in seinem Haar innehielten, spürte er, wie sie sich noch stärker konzentrierte.
Nach einer Weile fragte sie: »Besuchst du heute deinen Vater?«
»Wenn ich Zeit habe.«
»Du solltest sie dir nehmen.«
»Das will ich ja. Mal sehen.«
»Alles gut bei dir?«, fragte sie, immer noch mit den Fingern in seinem Haar. Ihre Stimme war nun beinahe ein Flüstern.
»Nur müde«, sagte er.
Sie beugte sich herab und küsste seine Wange. »Geh zu deinem Vater«, sagte sie.
Im Bad stand er einige Zeit in Unterwäsche vor dem Spiegel. Sechsundzwanzig, jugendliches Lächeln und dunkle Augen, mit dem Körper eines Läufers, verfeinert um die wohldefinierten Brustmuskeln und den Bizeps eines Mannes, der sich leidenschaftlich dem Training und der persönlichen Pflege widmete. Er war kein Fanatiker, was das betraf, obwohl er mit einigem Elan an sich arbeitete, wenn er die Zeit fand. Obwohl er nicht sehr groß war, vermittelte sein Körper eine gewisse Kompaktheit, die eine nicht unerhebliche Kraft ausstrahlte. Als Jugendlicher war er dünn und klein gewesen, und manchmal dachte er, einen kurzen Blick auf diesen Jungen erhaschen zu können, der noch immer irgendwo in ihm war und sich vielleicht unmittelbar unter der Oberfläche seines Körpers versteckte.
Auf seiner Stirn befand sich knapp über dem rechten Auge eine verblasste, hervortretende Narbe, die von seinem