Musterbrecher. Dominik Hammer

Musterbrecher - Dominik Hammer


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als ein System, das die schöpferische Gestaltung von Neuartigem oder die kreative Zerstörung mit nachfolgender umfassender Erneuerung ermöglicht. Im Gegenteil: Verlässlichkeit und Wiederholbarkeit sind das Entscheidende der Organisation.51 In ihr dominieren Rationalität, vernunftgeleitetes und zielgerichtetes Denken und Handeln. Sie will maximale Sicherheit vermitteln und kann deshalb die mit Innovation zwingend verbundene Ungewissheit nicht zulassen. Und egal, ob man eine Organisation als soziales oder eher als instrumentelles Gebilde versteht, im Kern geht es um ein Setting von Regeln, denen sich die Organisationsmitglieder unterordnen sollen.

      Organisation muss sich immer wieder dafür rechtfertigen, dass etwas getan wird oder eben nicht.

      Wir treffen Ulf Pillkahn zu einem Interview an der Universität in Neubiberg. Er ist zu diesem Zeitpunkt Key Expert für Strategy, Innovation und Foresight der Siemens AG, heute lehrt er als Professor an der FOM Hochschule für Oekonomie & Management Innovations- und Wissensmanagement.

      Musterbrecher: In einem Artikel haben Sie Innovationsmanagement als Widerspruch in sich bezeichnet. Warum finden wir diese Funktion dennoch in so vielen Organisationen?

      Pillkahn: Bei Innovation reden wir oftmals von dem »fuzzy front end«. Das heißt: Innovationen sind vielschichtig, komplex, kompliziert, diffus. Es treten Fragestellungen auf, die nicht so einfach zu entscheiden sind, wie man sich das in Organisationen wünschen würde. In diesem Zusammenhang spreche ich im Austausch mit Managern gerne von »Fischstäbchen-Innovationen«: Wir haben eine unendliche Vielfalt an essbarem Fisch. Meist mögen Kinder aber nur Fischstäbchen. Die sind immer gleich groß und schmecken immer gleich. Wenn da so ein Berg Fisch liegt, dann ist das eklig. Der Vergleich geht in die Richtung meiner Beobachtungen der letzten Jahre. Auch Management liebt im übertragenen Sinne Fischstäbchen. Anstatt zu versuchen, Innovation zu verstehen, ist man bemüht, die Instrumente des Innovationsmanagements zu schärfen, Innovation in »panierte Kästchenform« zu bringen.

      Musterbrecher: Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

      Pillkahn: Nehmen wir den meines Erachtens innovativsten Bereich bei Siemens, den Healthcare-Sektor. Wenn wir dort nach dem Innovationsprozess fragen, teilt man uns mit, dass man natürlich einen solchen habe. Schauen wir uns allerdings die tatsächlichen Innovationen genauer an, stellen wir fest: Null Prozent der Innovationen kommen aus diesem Prozess. Alles Neue ist komplett am Innovationsprozess vorbei entstanden.

      Musterbrecher: Das hieße ja, dass man nicht wegen, sondern trotz dieses Prozesses innovativ ist?

      Pillkahn: Ja, man könnte auch sagen, er stört nicht. Die Schlussfolgerung der Manager ist aber nicht, den Innovationsprozess infrage zu stellen. Vielmehr durchleuchtet man ihn auf Fehler hin und möchte ihn optimieren. Das Management ist einerseits über die Innovationskraft erfreut, jedoch auch gleichzeitig nervös; denn dass da irgendwelche Physiker oder Mediziner irgendwas ausprobieren, das geht nicht. Es fehlt die Steuergröße. Solange es trotzdem wie bei Healthcare funktioniert, ist das ja auch nicht weiter schlimm. Problematisch wird es bei nicht so innovativen Bereichen. Die haben ein richtiges Problem.

      Musterbrecher: Man könnte zu dem Schluss kommen, dass der Prozess noch nicht richtig läuft. Kann er sogar Innovation verhindern?

      Pillkahn: Ja, das habe ich in meiner Forschung auch herausgearbeitet. Die wirklich großen, radikalen Innovationen werden ausgesiebt. Der Prozess ist die Verhinderung radikaler Neuerungen. Für eine Innovation benötigt man erst einmal eine Vision und eine gewisse Besessenheit. Auch wenn ich das Beispiel Apple gar nicht mag, so ist es doch sehr interessant. Ich bin mir sicher, dass es keinen Innovationsprozess bei Apple gibt, in dem man sich in großen Meetings zusammensetzt und einen Prozess abarbeitet. Das ist für mich undenkbar. Geht nicht! Steve Jobs war besessen von einer Idee und trieb sie durch die Organisation. Er hatte inhaltlich verstanden, worum es geht, und er hatte Vision und Power. Seit es die Biografie von Steve Jobs gibt, haben ihn ja viele Manager als Vorbild. Prinzipiell ja sehr lobenswert, aber ich beobachte auch, dass die fehlende Genialität einfach nur durch cholerisches Verhalten ausgeglichen wird. Das ist zu wenig!

      Jetzt stellen Sie sich eine andere Organisation vor, in der an der gleichen Stelle ein Verwaltungsbürokrat mit riesigen Budgets sitzt. Und er sagt, damit wolle er etwas Neues machen, etwas Tolles. Das Problem: Er hat – anders als Steve Jobs – keine eigene Idee und häufig nicht einmal einen Bezug zum Thema. Und dennoch muss er sich entscheiden, ob es sich lohnt, Geld für irgendeine innovative Idee zur Verfügung zu stellen. Dieser Prozess muss effizient sein, denn als guter Manager möchte man ja keine Flops produzieren. Damit klammert man aber auch alles aus, was Innovation auszeichnet: Ungewissheit, Ergebnisoffenheit und auch die ganz großen Ideen.

      Siemens hatte zum Beispiel knapp zehn Jahre vor dem iPad von Apple das SIMpad entwickelt. Für damalige Verhältnisse war es sehr innovativ und ausgereift: ein Touchscreen, noch mit Stift zu bedienen. Der 200-MHz-Prozessor war so ausgelegt, dass Office-Anwendungen liefen. Infrarot- und serielle Schnittstellen waren vorhanden. Und doch wurde die Produktion nach zwei bis drei Jahren eingestellt. Heute verdient Apple mit dem iPad pro Quartal so viel wie Siemens mit der ganzen Sparte Healthcare im Jahr. Damals fehlte ein Manager, der von diesem SIMpad begeistert war. Dem Produkt wurde das notwendige Budget verweigert, um es wirklich groß rauszubringen.

      Musterbrecher: Was wäre die Alternative für den Manager gewesen?

      Pillkahn: Er hätte sein Budget an seine Mitarbeiter geben und sagen können: »Ich vertraue euch, dass ihr etwas Neues damit macht!« Aber das passiert leider nicht.

      Musterbrecher: Eigentlich beschreiben Sie das, was Google mit seinen 20 Prozent Kreativzeit macht. Wo Entwickler ein Zeitbudget bekommen und einfach etwas daraus machen können. Dabei ist sehr viel Neues entstanden. Warum gewähren so wenige Unternehmen Kreativzeiten?

      Pillkahn: Es scheitert am Anspruch der Manager, alles im Griff zu haben. Macht haben bedeutet Verantwortung haben. Und man muss Macht abgeben, wenn man Budgets zur freien Verfügung stellt.

      Musterbrecher: Warum fehlt der Mut, diese Macht abzugeben?

      Pillkahn: Das wiederum hängt mit dem Effizienzdenken in Unternehmen zusammen. Organisationen sind in Bezug auf Wissensschöpfung völlig blank. Der gesamte Unternehmenserfolg baut auf der Wertschöpfung auf. Wissen – so glaubt man – entsteht nebenbei. Bei einer bahnbrechenden Idee bekommt man als Anerkennung vielleicht ein iPad geschenkt – absolut lächerlich. Wenn man andererseits die finanziellen Zielvorgaben erfüllt, dann sind die Incentivierungen in einer ganz anderen Dimension. Wissensschöpfung wird nicht wirklich belohnt. Es gibt bei uns im Haus aber auch Beispiele von Leuten, die Ideen mutig durchgesetzt haben. Dieser Prozess kann allerdings sehr anstrengend sein.

      Musterbrecher: Was tun Sie als Key Expert, der das alles weiß, für Innovation? Suchen Sie sich Bereiche, die Sie gezielt unterstützen können?

      Pillkahn: Eigentlich im Gegenteil. Zuerst einmal muss man sich von der Idee verabschieden, andere beglücken zu können. Das geht nicht. Wir arbeiten nur mit jenen zusammen, die unsere Unterstützung wollen.

      Musterbrecher: Angenommen, man sucht Ihre Hilfe. Müssen Sie sich dann an den Prozess halten?

      Pillkahn: Wir machen da nicht mit. Im Moment versuchen wir, Ideen schnell in die Organisation zu tragen und ohne lange Planung umzusetzen. Prototypen bauen. Ausprobieren. Das kennen wir ja mittlerweile unter dem Begriff »Design Thinking«.

      Organisationen erzeugen keine Innovationen, sondern sorgen durch »Fischstäbchendenken« für Effizienz.

      Darum wird alles ignoriert, was diese Logik bedroht: das wirklich Neue, die faktische Unklarheit, das mutige Ausprobieren, das unkontrollierte Zulassen. Doch genau diese scheinbaren Bedrohungen sind es, die Innovation überhaupt ausmachen. »Damit ist jeder, der ernsthafte Innovation betreibt, ein Außenseiter, jemand, den man nicht besonders gerne sieht, weil er stört«, so der renommierte Journalist Wolf Lotter.

      Organisation klassischer Prägung verhindert also fatalerweise genau das, was sie für ihre Zukunftsfähigkeit benötigt – nämlich Innovation. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass im Kontext von Organisationen tagtäglich Innovation entsteht – inzwischen auch mithilfe von Design Thinking, dem von Ulf Pillkahn am Ende des Interviews


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