Etwas Seltenes überhaupt. Gabriele Tergit

Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit


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ihr ein Baby zeigte, sagte: »Ein Bub, wenn ich mich recht entsinne.« Eine der Frauen von Hans Olden war die Schwester der Fürstin Liechtenstein. Ihre Kinder waren unser Rudolf Olden, der kommunistische Schriftsteller Balder Olden und Ilse, die Frau des österreichischen Grafen Carlo von Seilern. Auch Rudolf heiratete dreimal, jedesmal eine Zwanzigjährige. Nach der Fournier die Tochter eines österreichischen Generals, die im Gegensatz zu dem entsprechenden preußischen Frauentum einmal in einem aus Dutzenden verschiedener Pelzstückchen zusammengesetzten Mantel in die Redaktion kam und später eine der großen Modeschöpferinnen Frankreichs wurde.

      Zuletzt, kurz vor der Machtergreifung Hitlers wieder eine bildschöne Zwanzigjährige aus einer ähnlichen Mischung wie er selber. Ihr Vater, Georg Halpern aus Pinsk, Vetter von Martin Buber heiratete die Tochter eines anglikanischen, also englischen Bischofs, war Handelsredakteur der Frankfurter Zeitung, dann Direktor eines Hamburger Versicherungskonzerns und schließlich Gründer des Versicherungswesens von Israel. Auch wie Oldens Vater hatte Halpern drei Kinder. Das Töchterchen einer geschiedenen Tochter ertrank im Meer. Der Sohn wurde in der Battle of Britain, der Luftschlacht um England, abgeschossen. Rudolf, der glühende Antinazi, wurde im Sommer 1940 in der allgemeinen Fremdeninternierung mitinterniert. Er hatte seit 1933 in Oxford Vorlesungen gehalten und es so geliebt, daß er seine Briefe an mich immer endete mit: »Ceterum censeo, Gott erhalte dieses wahrhaft humanistische England!« Und nun interniert! Er war so enttäuscht, daß er nach New York weggehen wollte, wo ein Lektorenposten für ihn bereit war. Er erwartete den sofortigen Friedensschluß mit Hitler. »Ausgeschlossen«, sagte ich. Ich erzählte ihm, daß im Augenblick der höchsten Gefahr zwei Tage lang im Parlament über die falsche Internierung der Antinazis debattiert wurde, daß H.G. Wells in Anlehnung an den berühmten Zola-Artikel gegen den Dreyfus-Prozeß ein neues »J’accuse« veröffentlichte, ich erzählte ihm, wie in Bordeaux das letzte Schiff von Bordeaux nach England alle Wartenden aufgenommen hatte, ohne jede Kontrolle, da konnten ja Dutzende von deutschen Spionen darunter sein. Ich würde ihm alles bringen. Er verlangte danach wie nach einem Rettungsseil. Er lag im Bett, es hatte sich herausgestellt, daß er Leukämie hatte. Ich begriff nicht, daß sie ihr winziges Töchterchen vor den Londoner Bomben mit einem Kindertransport zu einer Professorenfamilie in Kanada geschickt hatten. Bei diesem letzten Besuch erzählte er mir eine Geschichte mit Brüning.

      Brüning hatte als Emigrant Rudolf Olden in Oxford besucht. Olden hatte Gilbert Murray, den Kenner des antiken Griechenlands, dem das Häuschen, in dem Oldens wohnten, gehörte, und Wickham Steed, den Chefredakteur der Times dazu eingeladen. Nach kurzer Unterhaltung rief Brüning begeistert: »Aber da haben wir uns ja mit unseren Maschinengewehren gegenübergelegen!« Die Engländer sahen sich an und begannen das Tick-Tack und die Bewegung eines Maschinengewehrs nachzuahmen. Olden war fassungslos, denn er erkannte sofort, daß sich die beiden Engländer über Brüning lustig machten, was Brüning nicht merkte. Im Gegenteil, er ging begeistert auf das Spiel ein und schoß mit einem erträumten Maschinengewehr auf seine Gegenüber. Jahrzehnte später schrieb Professor Deuerlein in München: »Brünings Tätigkeit als Führer einer Maschinengewehrscharfschützenkompagnie hatte für ihn zeitlebens autosuggestive Faszination.« Deutscher Reichskanzler in entscheidender Zeit!

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      Bild 4: Olden 1914 als Soldat

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      Bild 5: Das letzte Bild von Rudolf Olden

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      Bild 6: Stolperstein für Rudolf Olden in der Genthiner Str. 8, Berlin

      Aber die Begeisterung für Maschinengewehrscharfschützenkompagnie war noch nicht alles. Als er sofort nach der englischen Kriegserklärung, die dem Einmarsch in Polen gefolgt war, England mit dem ersten Schiff verließ, erwiderte er den Reportern, er könne doch nicht in einem Land leben, das mit seinem Vaterland im Krieg sei. Das erhebt große moralische Fragen. Chamberlain hatte Hitler geglaubt, als er in München versprach, dies sei seine letzte endgültige Besetzung gewesen. Dumm oder nicht dumm, falsch oder nicht falsch, hielt Brüning es für möglich, daß Menschen, Völker, Staaten mit Lügen als Verkehrsform leben können? Und er war noch nicht einmal konsequent. Er ging nach USA und blieb.

      Die Oldens wurden in der »City of Benares« torpediert. Die junge Ika, Anfang Zwanzig, hätte sich retten können. Aber obwohl die Ehe schon nicht mehr sehr gut war, ein Altersunterschied von über dreißig Jahren, wollte sie ihn im Tod nicht verlassen, sehr heldenhaft, sehr imponierend. Ihr Vater Halpern war in Jerusalem, ein Hiob, Kinder und Enkel tot. Da beschlossen seine Freunde zu seinem achtzigsten Geburtstag das nun zwanzig Jahre alte Töchterchen von Rudolf und Ika, das bei der christlichen Professorenfamilie in Kanada aufgewachsen war, zu dem Großvater als Geburtstagsgeschenk zu holen. Sie kam, verliebte sich in einen Israeli, heiratete und blieb in Jerusalem. Durch eine Kette von Zufällen traf ich sie in London. Sie besuchte mich. Im Gegensatz zu den vier Generationen atemberaubender Schönheiten, auch ihre Mutter gehörte dazu, war sie durchschnittlich, aber ungemein sympathisch. Sie konnte kein Deutsch, hatte also kein Wort von ihrem Vater gelesen. Überall haben Enkel Bibliotheken, Bücher, gesammelt oder geschrieben, von ihren Vorfahren, zu denen sie keinen Zugang haben. Ich erzählte ihr von Rudolf Olden. Er gehörte zu den Männern, die sich in jede Frau verlieben und jede gern, wenn es sich ergibt, besitzen, aber dieser sehr schöne Mann, der nur von den Schmissen der Mensuren seiner Corpsstudentenzeit, dem Abzeichen der Oberklasse, entstellt war, war kein Pfau, kein Gockel, sondern immer ein bißchen verlegen über das, was sich ihm da bot, entzückt von Frauenschönheit, dankbar und verwirrt über das Durcheinander, das er ungewollt verursachte.

      Sie sagte mir, niemand habe ihr ihren Vater so klargemacht wie ich. Das war ein Glücksmoment, ein kleiner Orden. Ich besuchte sie in London, bevor sie nach Jerusalem zurückkehrte. Zurückgefunden, dachte ich, in eine tausendjährige Tradition des Familienglücks, »Du sollst nicht ehebrechen«. Da ging die Tür auf und hereintrat ein blonder Aristokrat, der sechzehnjährige Sohn der beiden Israelis. Was hatte herausgemendelt? Der Schriftsteller Oppenheim/Olden? Die Schwester der Fürstin Liechtenstein? Ein Minnesänger vor Jahrhunderten, der die Ritterfräulein anschwärmte und die einfachen Mädchen ein bißchen auf der Landstraße vergewaltigte? Und dann endlich Rudolf Oldens Schwester Ilse. Sie hatte mir 1940 nach seinem Tod aus Südamerika geschrieben, ob ich nicht seine Biographie schreiben wolle, sie habe alles Material. 1940? Wo ich die Erfahrung mit den Effingers-Manuskripten gemacht hatte, die ich vor den Londoner Bomben retten wollte und die nie in New York angekommen waren. Ich antwortete. Auch dieser Brief erreichte sie nie. Keiner von uns war da, wo er hingehörte. Dreißig Jahre später besuchte ich sie in Basel, Heinz hatte immer gesagt, 2 cm breiter oder höher machen den ganzen Unterschied bei einem Bau. Für Bauherren, die an diesen zwei Zentimetern sparen wollen, kann man nicht bauen. Als ich vor diesem gläsernen Mietshaus stand, wünschte ich, ich könnte es mit Heinz bewundern. Im riesigen gläsernen Treppenhaus der Fahrstuhl, blau und Nickel und oben ein Empfangszimmer nicht von 1750 wie in London, sondern von heute, und daneben das Schlafzimmer mit einem Bett der Pompadour. Ich war über achtzig, sie neunzig, eine große elegante Frau in einem hellblauen Kleid mit dem berühmt schönen Gesicht. Sie wußte von mir. »Rudi« hatte geschrieben und es wurde gedruckt: »Etwas Seltenes ist die Tergit überhaupt …« Sie hatte alle Artikel von ihm gesammelt und in rotes Leder binden lassen und nach Marbach in den Bücherfriedhof, auch Bibliothek genannt, gegeben. »Ach wenn wir doch alles so bekämen«, hatte der Bibliothekar bewundernd gesagt. Wir waren dieselbe Generation. Alles war uns gemeinsam. 1914/15 Schickeles Hans im Schnakenloch. In ganz Deutschland waren alle Theater ausverkauft.

      »Seine Frau war netter und klüger als er.«

      »Sicher. Was für eine zufällige Sache ist der Ruhm. Dieser überschätzte Sternheim. Ich hatte ihn gebunden und dann noch jede Kurzgeschichte einzeln.«

      »Er war damals eine Offenbarung, ein neuer Ton. Der Polizist, der von einer Liebesnacht so entzückt ist, daß er sich ans Klavier setzt und ›Heil dir im Siegeskranz‹ spielt«.

      »Busekow«, sagte ich, »ich glaube, es war an Heinrich Manns 60. Geburtstag, daß Tilly Wedekind mir begeistert


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