Etwas Seltenes überhaupt. Gabriele Tergit

Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit


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Reich für den Fall prophezeien, daß Hitler ans Ruder kommt. Umsturz der internationalen Vereinbarungen, wirre Verhältnisse auf dem Kontinent, vielleicht ein Revanchekrieg.« … Und nun will er den Amerikanern die Wahrheit sagen:

      »Der einzige Nationalsozialist, der bereits an der Macht ist, erwies sich als eine humorvolle und ausgeglichene Persönlichkeit mit überraschend gemäßigtem politischen Standpunkt, dessen Hauptneigung nur schwer mit dem Ruf der Nationalsozialisten, blutrünstig zu sein, in Einklang zu bringen ist, diese Neigung galt seinen fünf Kindern … Die meisten Hitlerianer tragen angeblich Schlagringe. Der hier hatte einen Ehering an der Hand. Die meisten Hitlerianer sind angeblich überaus brutal. Dieser hier sieht dem liberalen und menschenfreundlichen Herausgeber der New Republic, Mr. Bruce Bliven, so ähnlich, daß er sein Zwillingsbruder sein könnte … Der Besuch in der Wohnung des Herrn Klagges hatte eine ebenso beruhigende Wirkung wie die Unterredung mit ihm. Vater Dietrich, Frau Mali und die fünf kleinen Germanen mit den ganz germanischen Namen, Ingrim, Hugdietrich, Irmhild, Rainer und Waltraut boten ein Bild des Familienglücks, das unmöglich mit den Vorstellungen in Einklang zu bringen war, die man sich nach den Karikaturen gemeinhin von den Nazis macht.« Trotz dieses Quatsches ist Knickerbocker ehrlich genug, die Sturmabteilungen zu erwähnen, und trotz der »Gesetzesfürchtigkeit und Ordnungsliebe des deutschen Volkes« seien Morde vorgekommen, aber immerhin auch bei Klagges habe er jene Redlichkeit gefunden, die die Zinsen für die amerikanischen Anleihen bezahlen würde. Auch der französische Journalist Kessel sagte mir am Telefon, als ich ihn warnen wollte, daß Göring ganz ungewöhnlich angenehme Manieren habe. Im Gegensatz zu mir schien er sagen zu wollen. Ich dankte und legte den Hörer auf.

      Was konnten diese unabhängigen Deutschen erwidern, wenn Amerikaner und Franzosen andeuteten, die Nationalsozialisten schienen doch gar nichts anders zu wollen, als den schandbaren Versailler Vertrag zu revidieren, die Größe ihres Vaterlands, den Deutschen wieder Selbstachtung zu geben. Sehr schwer zu sagen: »Das sind Gangster. Sie irren sich.«

      Komisch war auch, daß unsre angelsächsischen Besucher so entsetzt waren über Dinge, die sie in Paris ganz selbstverständlich fanden. »Pre-Hitler Berlin was a sink of iniquity. The fingers of any moderately fussy patriot must have itched to springclean it. Its male prostitution alone with their india rubber breasts and padded hips – the fair hostesses of Eldorado – were a standing invitation to the puritan to organize a ›March on Berlin‹«, schrieb Wyndham Lewis. Ich weiß nicht, wer in Londons Fleet Street den Tip »Eldorado« und »Mali und Igel« gegeben hat, aber genauso gut hätten wir alle einen Falschspielerklub in Soho als Charakteristikum von London ansehen und finden können, deswegen müßte die englische Demokratie gestürzt werden.

      »Eldorado« und »Mali und Igel« waren, am Gesamtbild dieser gewaltigen Stadt gemessen, irrelevant, genauso irrelevant wie Isherwoods Hurenpension in der berüchtigten Motzstraße. Das Allerkomischste dieser Überbewertung ist, daß bei Isherwood aber auch die Journalistinnen, die von ihren Besuchen im Eldorado und Mali und Igel erzählten, Kommunisten waren. Die freundliche Unterstützung der Nazis haben solche Schriftsteller ausgezeichnet vorbereitet. Wenn man in der angelsächsischen Welt kratzt, kommt kein Barbar, sondern ein Puritaner heraus. Die wirklich gefährlichen und unsittlichen männlichen Prostituierten waren jene Naziführer, die von den angelsächsischen Literaten für Patrioten gehalten wurden im Gegensatz zu den Leuten an unserem Stammtisch, die nichts waren als »zersetzende Elemente«.

      Im Winter 1932, November oder Dezember, trafen wir uns noch einmal nicht im, aber am ›Capri‹. Olden, Kiaulehn, ich standen in einem Hausflur und sahen hinüber auf unser ›Capri‹, das ein SA-Verkehrslokal geworden war. Wir waren vertrieben, bevor wir noch vertrieben waren.

      Niemand hatte daran gedacht, von der Wand hinter dem Tisch die Ansichtskarten eines großen Teils der europäischen Intellektuellen zu retten, die sie an uns geschrieben hatten.

      Friede in Europa. Briand und Stresemann hatten sich in Locarno getroffen, und Austen Chamberlain hatte Stresemann den Liebestrank in der Guildhall kredenzt.

      Ich fuhr nach Griechenland, um eine Freundin und ihre Ausgrabungen zu besuchen. Der Mond stand hoch, die Augustnacht war warm im Hafen von Triest. Ein Flugzeug hob sich vom Wasser, ein Segelschiff flitzte mit Marinesoldaten dahin, übers Wasser hörte man »Giovinezza« singen. Neben mir stand ein Italiener. »Sehen Sie sich diese verrückte Jugend an! Krieg und nochmal Krieg!« Er gehörte meiner, der Kriegsgeneration des ersten Weltkrieges, an.

      So ging das internationale Gespräch: »Oh yes – mais oui – si si – ne, ne. Es ist auch bei uns schlecht. Vor dem Krieg da ging es uns gut, aber jetzt – die Steuern, die taxes, die Inflation, die zweite Zwangsanleihe für die Flüchtlinge (griechisch) – mein Sohn fiel in Frankreich – Haben Sie die Kirchhöfe gesehen? In Triest? An der Somme? In Jerusalem? In Flandern? In Saloniki? Tja. Da liegt unsere Jugend. Und die blieben? Alle kaputt – Wir haben schlechte Zeiten. Keine Arbeit – si, si – eine internationale Handelskrise.«

      »A devilish thing«, sagte die Engländerin, »mein Bruder war in Deutschland gefangen, in Krefeld, er kam schwindsüchtig nach Hause. Wir schickten ihn nach Afrika, yes, and the other one has bad nerves.«

      Ich saß neben einem alten Matrosen aus Fiume auf aufgerollten Tauen. Er war als Österreicher ausgefahren und nach sechsjähriger Gefangenschaft als Italiener heimgekehrt. Tja, Frau weg und Kinder; »Schlecht in Fiume, sehr schlecht, Fiume liegt still, der Handel geht über Giurgiu.«

      Das Meer war bewegt, das Schiff klein. Der Steward läutete, aber die Herren waren seekrank. Die Engländerin und ich aßen allein. Sie züchtete Wicken in Sussex. Sie war nach Deutschland gefahren, weil sie das Land kennenlernen wollte, gegen dessen ›Prussian customs‹ sie soviel Vorurteil hatte, und sie hatte fleißige Menschen gesehen, und freundlich war man überall gewesen. Wo waren die ›Prussian customs‹?«

      In der Nacht las ich weiter in der griechischen Geschichte von Professor Wilcken, die gerade herausgekommen war, und fand folgenden Satz: »Ein schöner Zug ist es, daß nur dem Helden, der im Kampf gefallen ist, ein besseres Los im Jenseits winkt. Wie irrig war es doch, wenn man gelegentlich die Babylonier zu Pazifisten machte, die nur dem Ausbau der Kultur gelebt hätten!«

      Genau das waren die ›Prussian customs‹, die die Engländerin vergeblich in der Freundlichkeit der Menschen und der Schönheit der deutschen Städte gesucht hatte. Ein Vertreter der höchsten deutschen Geistigkeit fand 1927 Pazifismus und Leben für den Ausbau der Kultur einen Makel, von dem man ein großes Volk reinwaschen mußte.

      Nur im Süden lebt der Mensch. Der Rand des Mittelmeers ist seine Heimat. Hier wächst der Feigenbaum des Paradieses, hier ist der Dornbusch, aus dem Gott zu Moses sprach, hier fällt das Samenkorn zwischen die Steine und wird vom Winde verweht wie im Gleichnis vom Sämann, hier ist der Weinstock Noahs und des Götteropfers. Hier ist der Ölzweig, den die Friedenstaube heimbrachte und mit dem sich zu Olympia der Sieger kränzte. Hier trafen in der hellen Luft die Göttinnen auf Paris, den Ziegenhirten.

      Einfach ist das Leben von Ewigkeiten her. Fischerboote mit großen braunen Segeln fahren abends aus dem Hafen hinaus. Morgens kehren sie heim mit Früchten vom Peloponnes, kindskopfgroßen Tomaten, Pfirsichen, Auberginen und Fischen. Frauen und Kinder kommen, holen die Nahrung, braten auf dem primitiven Dreifuß mit Reisigholz die Fische.

      In Gewölben haust das Handwerk, der Schuster, der Schlosser, der Tischler. Die Esel kommen vom Töpfer, tragen schwerbeladen die Tonkrüge zum Schiff, das wie vor sechstausend Jahren äginetische Keramik nach Attika bringt. Wie vor sechstausend Jahren kommen Schiffe, beladen mit Weizen, vom Pontus Euxinus. Vor den Häusern ist ein grauer Brei. Das ist mit Wasser vermischter Lehm zum Hausbau. Weiter im Lande aber macht der Bauer alles allein. Er kompliziert nicht sein Dasein, indem er es durch Vereinigung mit anderen erleichtern will. Nur in einem rosa getünchten Hause mit blauen Läden in einer engen Gasse, durch die man auf das Meer sieht, steht in einer Wohnstube ein Tisch mit jenem kleinen Apparat aus Holz und Messingteilen, den man Telegraph nennt.

      Wir waren stundenlang auf dem Esel geritten in einer menschenleeren kahlen Berglandschaft. Nun wanderten wir den steilen Bergweg zum Tempel hinauf. Oben wohnte der Tempelwächter, der Phylax.


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