Ende einer Welt. Claude Anet

Ende einer Welt - Claude Anet


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Schönheit ihrer Pelze beneidet.

      Zu dieser frühen Tageszeit war die Terrasse, auf der die Wohnstätten standen, ungemein belebt. Die Strahlen der aufgehenden Sonne übergossen sie mit ihrem Licht und drangen bis in die engsten Winkel ein. Die ganze Fläche, die dem Stamm als Wohnort diente, maß in der Länge hundertfünfzig, in der Tiefe dreißig Schritte, und diese ganze Fläche war von einem einzigen Felsblock überdacht. Die sechs Hütten, die hier standen, waren alle in gleicher Weise erbaut. Auf einem Rechteck von etwa zwölf zu acht Schritt erhoben sie sich, die Wände, aus langen Streifen Pferde- und Renntierhaut gebildet, waren an starken Pflöcken befestigt. Die Anordnung dieser Streifen, die abwechselnd schwarz, rot und grau gefärbt waren, bewies, daß die Leute vom Fluß einen ausgeprägten Farbensinn hatten. Der rückwärtige Teil der Hütten diente als Aufbewahrungsort für die Waffen und verschiedenen Werkzeuge, für die Pelze und die Nahrungsmittel. Im vorderen Teil schliefen die Mitglieder der Familie, Vater und Mutter in der Mitte, ihnen zur Seite die Kinder, die Söhne auf der Seite des Vaters, die Töchter neben der Mutter. Eine einzige Öffnung bot Zutritt in die Hütte; vor dieser befand sich die Feuerstätte, die die Wohnung wärmte und zum Kochen diente. Man röstete hier Fleischschnitten auf heißen Steinen, man kochte in gleicher Weise Schwämme, Beeren und Kräuter, denen man eine Schicht in Fett getränkter Flechten unterlegte. An Pflöcken aufgehängt wurden Fische über dem Feuer geräuchert, die im Hintergrunde der Hütte angesammelt als Vorrat für die schwere Winterszeit dienten. In der heißen Asche des Feuers wurden genießbare Wurzeln aufbewahrt.

      An den Wänden der Hütte sah man allenthalben urwüchsig, aber gut gezeichnete und durch Farben belebte Nachbildungen von Tieren, denen plastische Wirkung durch die außerordentlich kunstreiche Ausnutzung der Vertiefungen und Erhebungen des Felsens gegeben war. Hier und da war ein kleineres Tierbild in den Felsen selbst eingeschnitten. Unter diese Bilder befestigte man Opfergaben, um das dargestellte Tier in guter Stimmung zu erhalten. Vor einem Bison hing ein Büschel Gras und Würmer vor dem offenen Rachen eines Lachses.

      Ein Bächlein, das einer Höhle entsprang, rieselte den Fels entlang. Die Einwohner hatten es in fünf kleine Kanäle abgeleitet, die an den Hütten vorbeiflossen, und vor jeder Wohnung waren diese Kanäle zu einem in die Erde gegrabenen Becken verbreitert, das stets von frischem Wasser durchspült wurde.

      Der Boden der Terrasse war mit Knochen und Asche in halber Fußhöhe bestreut. Wolken von Staub aufwirbelnd, sprangen hier die kleinen Kinder umher und suchten emsig nach Holzstückchen, die sie ins Feuer warfen. Die größeren waren in den nahen Wald gegangen, um Tannenzapfen zu sammeln. Andere wieder brachten Zweige, die sie längs der Felswand zu Stößen aufschichteten. All dies ging natürlich nicht ohne Zank und Streit, Raufen und Schreien ab, auch nicht ohne Püffe, mit denen ungeduldige Mütter ihre Kinder bedachten. Doch auch Lachen und Spielen gab es, Zärtlichkeiten und Scherze. Immerhin legten die Kinder einen gewissen Ernst in diese Arbeit, der zeigte, daß sie sich bewußt waren, dem gemeinsamen Wohl zu dienen.

      Mütter und Töchter saßen vor ihren Hütten und waren damit beschäftigt, Pelze zu bearbeiten und Felle für Kleider zuzuschneiden. Zum Nähen verwendeten sie getrocknete Pflanzenfasern oder auch die feinen Nervenstränge von Tieren, die erlegt worden waren, um gegessen zu werden, und fädelten sie in kleine, äußerst dünne Knochennadeln. Darum mußte auch jedes Loch zuerst mit einem Steinpfriem in das Fell gebohrt werden, bevor der Faden mit der dünnen Nadel durchgezogen werden konnte. Die Arbeit ging auf diese Weise nur langsam vorwärts, aber die Zeit hatte ja keinen Wert: Was heute nicht fertig wurde, überließ man unbekümmert dem nächsten Tag, und der bloße Gedanke, sich zu eilen, wäre diesen Matronen ganz und gar unverständlich gewesen.

      Andere Frauen richteten das Fleisch und die Kräuter für die Mahlzeit her. Wieder andere zermahlten in ausgehöhlten Steinen die schwarzen und roten Farben, die in großer Menge verbraucht wurden, sei es für die Wände der Hütten, für die Darstellungen der Tiere auf den Felsen, oder um Gesicht und Körper bei den zahlreichen Festen zu bemalen, zu denen die Mitglieder des Stammes sich versammelten.

      Während Frauen und Mädchen arbeiteten, blieben die Männer untätig am Rande der Terrasse oder, wenn es kalt war, in der Nähe des Feuers sitzen. Sie wachten nur über den guten Zustand ihrer Waffen, der Beile und Spieße, Harpunen, Pfeile und Speere. Sie besuchten die Nachbarn, um Angelegenheiten des Stammes mit ihnen zu besprechen, oder sie waren im nahen Wald beschäftigt, Fallen auszulegen. In der schlechten Jahreszeit faulenzten sie auf diese Art zwischen zwei ausgedehnten Jagdzügen, von denen sie vollkommen erschöpft, aber mit reicher Beute zurückkehrten, die ihren Familien für mehrere Tage Nahrung bot.

      Seit undenklichen Zeiten bewohnte der Stamm diesen Talwinkel, dessen zahlreiche, von der Natur selbst in die Felsen gegrabene Schlupfwinkel sicheren Schutz gegen Kälte und Wind, Schnee und Regen boten.

      Die ältesten Überlieferungen von Generation zu Generation, in gleichen Ausdrücken vererbt, an denen man nicht wagte, auch nur ein Wort zu ändern, gaben verwirrten Bericht von einem früheren Leben in weit entfernten Ländern, »in denen heiße Sonne brannte«. Dann kamen große klimatische Umwälzungen, und die Kälte zwang zur Flucht gegen Süden »quer durch trostlose Länder, ohne Bäume, durch Schnee und Eis, wo man oftmals gezwungen war, mangels anderer Nahrung – schmachvoll unverwischbare Erinnerung! – Ratten zu essen«. Der Stamm floh, gepeitscht vom Nordwind, der ihm keine Rast gönnte. Leichen bezeichneten die Spur seines Weges. Die Tiere flüchteten mit den Menschen. Eine Herde der schwankenden, friedlichen Mammute trabte, so schnell ihre durch Fasten geschwächten Beine den unförmigen Körper zu tragen vermochten, den in einem günstigeren Klima erhofften Weideplätzen zu. In dunklen Nächten vernahm man das Brüllen jagender Löwen. Erschreckte Renntiere sah man von weitem fliehen. Gruppen von Bisons rasten angsterfüllt vorbei. Es waren die einzig glücklichen Tage, wenn man ihre untersetzten Gestalten in der Ferne erblickte. Die Jäger nahmen eifrig ihre Verfolgung auf. Sie kehrten bald, gebeugt unter der Last der erlegten Tiere, zurück. Ruhelos zogen die Leute immer weiter gegen Süden. Noch immer hatten sie keine Möglichkeit gefunden, sich niederzulassen. Kaum hatten sie ein Jahr in einer milderen Gegend geweilt, so jagte sie der unerbittliche Nordwind weiter. Ein trüber Himmel, auf dem schweres Gewölk sich ballte, dehnte sich, soweit das Auge blicken konnte. Schon im Sommer schlugen eisige Regengüsse auf die Erde; mit dem Beginn des Herbstes hielt der Schnee seinen Einzug. Die Tiere, die sich von Pflanzen nährten, starben zu Tausenden, wenn der Winter kam, der sechs Monate dauerte.

      Endlich war der gelichtete Stamm in dieses glückliche Tal gelangt. Was war von ihm geblieben? Vier Söhne und vier Töchter waren es: der große Ahne hatte trotz der Kräfte und des Mutes eines Bären nur die Seinen retten können. Und war er nicht nach seinem Tode durch die Kraft seines Willens selbst zum Bären geworden, zum edelsten aller Tiere? In dieser Gestalt wachte er weiter über alle, die von ihm abstammten und einander als Brüder von seinem Blut erkannten.

      Niemals gab es ein vollkommeneres und tiefer empfundenes Gefühl einer Gemeinsamkeit, ohne daß es nötig gewesen wäre, es durch Vorschriften zu festigen und durch Verbote zu schützen. Jener eine, dessen Namen man nicht nannte, weil die Ehrfurcht vor ihm zu groß war, und weil man fürchtete, ihn durch schlecht gewählte Worte zu verstimmen, war niemals ganz entschwunden. – Gibt es denn jemals ein vollkommenes Ende, und ist nicht der wesentlichste Teil von uns zur Unsterblichkeit bestimmt? So fuhr auch der Stammvater fort, seine geliebten Kinder zu beschirmen. Einige Bevorzugte von ihnen vermochten ihn sogar manchmal zu erblicken, denn er offenbarte sich jenen, die dazu befähigt waren, das zu sehen, was anderen verborgen bleibt, und Worte zu hören, die gewöhnliche Ohren zu vernehmen unfähig sind.

      Seltsam zurückhaltend waren die mündlichen Überlieferungen, soweit sie das Leben und das Verschwinden des Ahnherrn in diesem Lande betrafen, in dem sein Geschick, das durch so lange Zeit von feindlichen Mächten bedroht worden war, endlich Ruhe gefunden hatte. Und es war verständlich, daß dies Wenige, das man berichten konnte, nicht vor den Ohren der geschwätzigen und unbedachten Frauen erzählt wurde. Nur den Männern wurden diese Geheimnisse mitgeteilt, und auch ihnen nur stufenweise und unter feierlichen Umständen, wie die Gebräuche sie für jene bestimmten, welche, zu Männern herangereift, die Proben der Einweihung in jener selben Höhle bestanden, in der der Stammvater nach dem Verlassen der menschlichen Gemeinschaft weitergelebt hatte. Der Felsen selbst zeigte den Abdruck seiner Tatzen, fast zehn


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