Ende einer Welt. Claude Anet

Ende einer Welt - Claude Anet


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stets das gleiche. Nur manchmal erregte es sich, wurde wütend und ließ ein dumpfes Brausen hören, mit dem es die Menschen erschreckte. Würde sie jemals das Meer sehen?

      So träumte sie auch vor sich hin, während sie das Fell eines frisch getöteten Fohlens schabte.

      Wenn sie während Nos Abwesenheit entschlüpfen konnte, zog sie mit den anderen Mädchen des Stammes hinaus, um Blumen und duftige Kräuter auf den Hügeln zu sammeln. Die Blumen, die schmückten das Haar und Kränze wurden daraus geflochten, die so schön um den Hals zu tragen waren. Die Kräuter wurden in den Hütten während des Winters getrocknet. Manche verwendete man dazu, um dem Fett, mit dem man seinen Körper einrieb, den süßen Geruch zu geben, von anderen erzählte man, daß junge Frauen, die sich Kinder wünschten, sie auf ihr Lager legen mußten. Doch die Mädchen hatten noch andere Wünsche und pflückten ganz im geheimen eine seltene Pflanze, die nur an feuchten, schattigen Stellen der Täler wuchs, um sie in den Nächten, in denen kein Mond schien, unter ihren Kopf zu legen. Dann waren sie sicher, einen starken und tüchtigen Mann zu finden, bei dem es ihnen niemals an Nahrung mangeln würde, der niemals unter dem Vorwande der Jagd Tage und Nächte fern dem häuslichen Herd verbringen, der nie den kinderlosen Frauen, diesen Hyänen, nachstellen wird, und von dem keine Roheiten zu befürchten waren.

      Obwohl Mah noch ein Jahr warten mußte, ehe sie an den Hochzeitsspielen teilnehmen durfte, suchte sie den Verkehr mit älteren Gefährtinnen, teilte ihre Beschäftigung, ihre Freuden und ihr erwartungsvolles Fieber. Das Fest, das zu Mitten des Sommers stattfand, und bei dem sich alle drei benachbarten und befreundeten Stämme, die am Ufer des Flusses wohnten, zusammenfanden, entschied über das Los der Mädchen. Dann mußten sie die Gegend, in der sie geboren waren, verlassen. Die alten, ewigen Gesetze, auf deren Einhaltung strenge gesehen wurde, verboten die Heirat innerhalb des Stammes.

      Man beging die Hochzeitsspiele mit größter Feierlichkeit, und die Weisen wachten strenge darüber, daß die alten Gebräuche in allen ihren Vorschriften genau erfüllt wurden, denn die Zukunft des Stammes hing davon ab. Die Ehen waren nicht mehr so kinderreich wie ehemals. Damals zählte ein Haushalt noch zehn und mehr Kinder, und die Hälfte davon blieb am Leben. Jetzt aber sah man kaum mehr als fünf oder sechs, von denen drei oder vier im frühesten Alter starben. Und überdies lag über manchen Frauen der Fluch, kinderlos zu bleiben. Sie brachten Unglück allen denen, die sich ihnen näherten und verursachten Unfrieden in den Ehen. Vergeblich suchten die Weisen die Gründe dieses Übels, und verschiedene Mittel wandten sie an, um den bösen Bann, der auf diesen Frauen lag, zu brechen. In Elfenbein und Horn wurden weibliche Formen als Sinnbild der Mütterlichkeit geschnitzt. Es waren mächtige Frauengestalten mit breiten Hüften, deren Unterleib sich vorwölbte, um ein kräftiges Kind zu tragen, und deren geschwellte Brüste unerschöpfliches Quellen gesunder Nahrung verhießen. An den Wänden der heiligen Grotten fanden sich diese Bilder, von Farben belebt, und die Kinderlosen verweilten dort angsterfüllt und in Tränen während der drei Vollmondnächte des Sommers. Die Männer erwarteten sie am Ausgang. Die Paare formten sich und entschwanden in der Nacht den Fluren zu.

      Doch all diese Mittel, die einstmals geholfen hatten, blieben – auch dies war ein Zeichen dafür, daß die Zeiten sich geändert hatten – vergeblich. Und schon gab es Schwarzseher, die dem herrlichen Volke, das sich von seinem Stammvater, dem großen Bären, herleitete, ein baldiges Ende voraussagten. So war man mehr denn je darauf bedacht, an den festgesetzten Riten des Hochzeitsfestes nichts zu vernachlässigen und an den überlieferten Gebräuchen, die das Alter der Mädchen, die zugelassen werden durften, mit sechzehn Jahren festsetzten, nichts zu verändern.

      Wohl manchen schien dieses Alter zu hoch, und sie wiesen auf die Schwierigkeit hin, die Mädchen so lange zu hüten. Hatte es sich doch schon ereignet, daß Mädchen, ohne die Hochzeit abzuwarten, Kinder bekamen. Zu anderen Zeiten, als das Volk noch stark war, hatte es dafür nur eine Strafe gegeben: den Tod für Mutter und Kind. Doch dann hatten zwei Mädchen in der vorhergehenden Generation prächtige Knaben zur Welt gebracht. Nach langen Beratungen, in denen alles erwogen wurde, beschloß man, sie leben zu lassen.

      Jene, die an den alten Gebräuchen hingen, sahen in dieser Nachgiebigkeit den Grund zahllosen, neuen Unglücks. Die Furcht war nicht unbegründet, daß andere Mädchen dem Beispiele folgen würden, die Töchter des ganzen Stammes in schlechten Ruf geraten müßten, und daß im Sommer beim Hochzeitsfest die Jünglinge der anderen Stämme kein Mädchen aus dem Volke des Bären zum Weibe nehmen würden.

      Die Mütter bemühten sich strenge, über ihre Töchter zu wachen. Aber die Frauen verließen ja kaum den nächsten Umkreis der Hütten, und die Arbeiten der Töchter, das Sammeln der Kräuter und Beeren, der Fischfang, das Einbringen der Tannenzapfen riefen diese oft hinaus. So wurde angeordnet, daß die Mädchen niemals einzeln, sondern stets nur in größeren Gruppen weggehen durften.

      Mah und ihre Freundinnen ruhten an der Lehne eines Hügels. Während des Nachmittags hatten sie Blumen für ein Fest gesammelt, das in jedem Frühjahr zur Feier des Wiedererwachens der Natur nach langem Winter begangen wurde.

      Ermüdet wanden ihre Hände Girlanden, in denen Waldrebe und Efeu einander umrankten. Eine einzelstehende Eiche auf dem Gipfel eines Hügels, ein heiliger Baum, sollte damit geschmückt werden. Alljährlich, wenn frisches Grün an ihm sprießte, kamen die Mädchen, um ihn in der Dämmerung zu bekränzen. Und während sie arbeiteten, sangen sie halblaut, als summten Bienen auf blumiger Wiese, althergebrachte Worte zu vorgeschriebenem Takt, wie der überlieferte Brauch es verlangte. Denn nur auf diese Weise schlang man mit den duftenden Fesseln geheimnisvolle Bande um all die Geister, die in Wäldern und Tälern hausten, und machte sie sich freundlich gesinnt. Es war ein Vers, der sich in wenig Takten zur Melodie entfaltete, um immer wieder zu einem eintönigen Beginn zurückzukehren. Hohe und tiefe Stimmen wechselten miteinander ab, als verfolgten sie einander, ohne ihren sehnsüchtigen Wunsch, einander zu erreichen, jemals erfüllen zu können. Dann und wann kam in unregelmäßigen Zwischenräumen und unbegründet ein rascher Übergang der Melodie und stieg wie ein Pfeil zum Himmel.

      Auch in diesem Jahre zogen die Mädchen, als der Abend sank, auf den Hügel, den die heilige Eiche krönte. Es war ein uralter Baum, dessen Stamm zwar nicht allzustark, doch knotig und hart wie Stein war. Mehrfach hatte der Blitz ihn schon getroffen. Jedes Mädchen trug in seiner linken Hand einen Eichenzweig, der vom vorigen Jahr in den Hütten aufbewahrt worden war. Auf der Höhe angelangt, schichteten sie die Zweige zu einem Stoß, den sie weinend und wehklagend anzündeten. Als die Flammen erloschen waren, schritten sie zweimal im Kreise um den Baum und sangen langsam und in klagender Art ihre Verse. Dann wurden die Girlanden, die sie vorbereitet hatten, an den Zweigen befestigt, und sobald dies geschehen war, umstellten die Mädchen wieder im Kreise den Baum und machten ihm mit vor der Brust gekreuzten Armen eine Reihe tiefer Verbeugungen. Sie neigten wiederholt den Oberkörper nach rückwärts und senkten ihn wieder vor, womit die Bewegungen des Baumes nachgeahmt wurden, der vom Winde geschüttelt wird. Im Augenblick, da die Sonne sank, pflückten sie grüne Zweige vom Baume, die sie, laute Freudenschreie ausstoßend, heftig durch die Luft schwenkten. Noch zweimal, jetzt aber in fröhlichem und raschem Takt, tanzten sie, einander an den Händen fassend, um den Baum, dann verließen sie, noch immer ihre Hände festhaltend, eine fröhlich bewegte, lichte Kette, den Hügel, um in das dunkelnde Tal hinabzusteigen.

      Mah, als die Jüngste, führte den Reigen. Efeu und Blumen zierten ihr Haar, um ihren schlanken Hals waren Narzissen und Veilchen geschlungen. Durch ihr halb geöffnetes Wams schimmerte die jugendliche Brust, so schwebte sie mit den geschmeidigen Beinen eines jungen Rehs, das bei jedem Schritt zu zögern scheint, ehe es das gebogene Bein auf den Boden setzt, wie die Verkörperung der grünenden Jahreszeit selbst, mit allen ihren frisch erblühten Reizen verführerisch über die Wiese.

      Als sie zum Flusse kam, erblickte sie unweit vor sich den alten Häuptling Rahi, der, auf einem umgestürzten Stamme sitzend, mit einem der Weisen sprach.

      Rahi blickte auf und der Schar der jungen Mädchen entgegen, die, immer noch singend, blumengeschmückt herankamen. Mah erschien ihm wie das Abbild der Jugend, die seine Sinne schon so lange vergessen hatten. Er sah sich wieder stark und geschmeidig mit behendem Fuß die Wälder durcheilend. »Ach,« seufzte er zu sich selbst, »wenn es jemand vermag, mir für kurze Zeit noch meine einstigen Kräfte zurückzugeben,


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