AVOGADRO CORP.. William Hertling
Ablauf von Garys Ultimatum in Ordnung bringen oder nicht?«
»Nun ja, ich habe ein paar gute Nachrichten, aber fahre ruhig fort.«
»Ich versuchte, eine Korrelation herzustellen, konnte aber keine finden. Du weißt, dass man die Serverlast ganz gut schätzen kann, die es braucht, um Mails zu analysieren. Das war jedenfalls bis vor zwei Tagen so. Jetzt kann ich überhaupt keinen Zusammenhang mehr sehen. Die Serverlast geht durch die Decke, obwohl die System-Logs besagen, dass niemand irgendwelche Tests laufen lässt. Es ist, als ob das System an irgendetwas arbeiten würde, aber es wird nirgendwo dokumentiert.«
David starrte wieder aus dem Fenster. Mike spürte, wie es in seinen Schläfen pochte. Er kämpfte seit Tagen mit diesem verdammten Performanceproblem. »Also, was soll ich sagen, David. Ich habe mit deiner Frau geschlafen und sie hat gesagt, es würde dir nichts ausmachen.«
»Ja, alles in Ordnung. Warte mal. Was hast du gerade gesagt?«
Mike platzierte sich vor dem Fenster, um David die Aussicht zu versperren.
»Na gut«, sagte er ärgerlich, »warum erzählst du mir nicht einfach, was los ist, da du offensichtlich an der Lösung unseres Problems nicht mehr interessiert bist.«
»Oh, sieh dir einfach diese E-Mail von Gary an«, antwortete David, wobei er den Zorn in Mikes Stimme komplett ignorierte. Zum ersten Mal seit Mike sein Büro betreten hatte, wirkte er lebendig. »Sie kam vor ein paar Minuten rein. Uns wurden gerade 5000 dezidierte Server per Ausnahmegenehmigung zugeteilt. Wegen der Ausnahmeregelung kriegen wir Server, die bereits für ein anderes Produkt in Vorbereitung waren. Wir werden also bereits morgen früh Zugang zu der gesamten Rechenleistung haben.«
Mike kam um den Tisch herum um über Davids Schulter hinweg auf den Bildschirm zu schauen und stieß ein leises Pfeifen aus. »Donnerwetter, 5000 Server. Wie hast du Gary nur dazu überreden können?«
»Ich schickte ihm eine Mail, in der ich anfragte, ob wir dezidierte Server für ELOPe erhalten könnten, sodass wir nicht mit den AvoMail-Servern in Konflikt geraten.« Die Aussage war nur zum Teil gelogen, aber sie lieferte auch nicht den eigentlichen Grund für die unerwartete Zuteilung.
»Wow, das sind ja fantastische Neuigkeiten«, sagte Mike in spontaner Begeisterung angesichts der Möglichkeiten. Er vergaß seinen Zorn und lief hektisch vor dem Fenster auf und ab, während er die unmittelbaren Folgen bedachte.
»Mit 5000 Servern … wir können sofort in die nächste Projektphase eintreten und auf vorläufigen Produktstatus gehen. Wir könnten mit der Stapelverarbeitung von Nutzermails beginnen als direkte Vorbereitung für die anstehende Veröffentlichung.«
»Ich denke, wir sollten mit Avogadros internen Mails beginnen«, sagte David. »Auf diese Weise gibt es keine negativen Auswirkungen auf Kunden, falls irgendetwas schiefläuft. Wenn wir im großen Stil interne Mails analysieren, könnte ich Sean anbieten, die automatisierte Vorschlagsfunktion für alle Mitarbeiter freizuschalten.«
»Das klingt fantastisch. Ich vergesse also die leidige Performance und konzentriere mich ganz auf die Analyse interner Mails. Das sind wirklich tolle Neuigkeiten, David.«
Auf seinem Weg zur Tür hinaus vollführte Mike einen kleinen Tanz.
Sobald Mike sein Büro verlassen hatte, starrte David wieder aus dem Fenster. Es waren natürlich gute Neuigkeiten, dass sie die Server erhalten hatten. Aber warum stellten sich ihm dann die Nackenhaare auf? Er hatte diese Mail an Gary gesendet. Dieser Teil hatte der Wahrheit entsprochen. Aber da war auch noch dieses unbedeutende Detail von ELOPe's Einfluss, den er Mike gegenüber nicht erwähnt hatte. David hatte ELOPe außerdem auch Zugang zu Garys E-Mails gewähren müssen, um diese analysieren zu können. Dann, wie es sich herausstellte, hatte ELOPe Zugang zu jedem Account benötigt, dem Gary je eine Mail geschrieben oder von dem er Nachrichten empfangen hatte.
Deshalb war er auch nicht überrascht, dass Mike massive Hintergrundprozesse auf den Servern entdeckt hatte. Wegen Davids Vorgaben musste ELOPe eine enorme Menge an Mails importieren. Er hatte sein Tun verschleiert, indem er dafür sorgte, dass es nicht Teil der normalen System-Logs wurde, aber das Auftreten erhöhter CPU Last konnte er nicht verbergen.
David wusste nicht, wie er es Mike erklären sollte. Über kurz oder lang würde Mike es herausfinden. Er hoffte nur, dass es eher später als früher war. Am besten erst, nachdem alle Ressourcenprobleme bereits gelöst waren. David wollte nicht, dass jemand wusste, wie er ELOPe benutzte, um die Server zu bekommen, die ihr Projekt am Laufen halten würden und das schloss Mike mit ein. Es war nun in die Mailserver integriert und ein einziger Bug konnte, zumindest theoretisch, AvoMail komplett zum Absturz bringen. Wenn etwas Schlimmes passierte, würden David und sein Projekt einigen Ärger bekommen, sollte es je herauskommen. Aber das war nicht der eigentliche Grund für die Angst, die sich in seinem Bauch breitmachte. Nein, die wahren Sorgen machte er sich wegen der Änderungen, die er während seines nächtlichen Programmiermarathons gemacht hatte. David war tief in den Programmcode für die Sprachanalyse eingetaucht und hatte eine vorrangige Direktive eingefügt, die die vorgegebene Grundhaltung bei allem positiv verändern würde, was das Projekt betraf. Der Effekt war, dass wann immer ELOPe in einer Mail erwähnt wurde, von jemand oder an jemanden innerhalb von Avogadro, ELOPe den Inhalt stillschweigend so verändern würde, dass er dem Erfolg des Projekts zugute kam. Die resultierenden Mails waren in Sprache und Schreibstil nicht von denen zu unterscheiden, die der eigentliche Absender verfasst hatte, alles dank der Arbeit seines Teams. Während die Analysemodule die Zielsetzung der E-Mail herausfilterten, würde das Optimierungsmodul Fragmente aus tausenden anderen Mails verwenden, um eine realistische Nachricht zu produzieren, in einem Tonfall, der dem des Versenders ähnlich war.
David genoss den Erfolg seines Teams und wünschte sich, mit den anderen teilen zu können, was sie gemeinsam erreicht hatten. Ihr Projekt war der Höhepunkt von fast drei Jahren grundlegender Forschung und Entwicklung. Es hatte mit Davids Arbeit für den Netflix-Preis begonnen, noch bevor man ihn angeworben hatte, auch wenn dieser Teil der Arbeit auf den Schultern von Genies geruht hatte, die vor ihm gekommen waren. Dann waren da die acht Monate gewesen, in denen er und Mike auf sich allein gestellt waren, um das Konzept zu entwickeln und zu beweisen, dass es ein ganzes Team wert war. Schließlich, während der letzten 18 Monate hatte ein komplettes F+E Team an dem Projekt gearbeitet, um die Programmarchitektur zu entwickeln und die Effektivität schrittweise von Woche zu Woche zu verbessern. Der Beweis lag in den Resultaten. ELOPe's Sprachanalyse und seine Modifikationen hatten erreicht, dass nun tausende von Servern für seinen Betrieb zur Verfügung standen. David war sich nicht ganz sicher, wie es dazu gekommen war. Er konnte die modifizierten Mails nicht einsehen, eine der unglücklichen Konsequenzen daraus, dass er die Logs unterdrückte, damit niemand sehen konnte, was er getan hatte. Hatte Gary eine E-Mail erhalten, die überzeugend genug gewesen war, um ihn umzustimmen? Oder hatte ELOPe Garys Antwort benutzt und sie in etwas Vorteilhafteres verwandelt? David fand es mehr als nur ein wenig beunruhigend, dass er nicht wusste, was da geschah. Je mehr er darüber nachgrübelte, desto mehr spürte er auch die Furcht in seinem Bauch.
Aber eines war sicher. Seine Server standen bereit. Und das war doch etwas, über das man sich freuen konnte. Es gab eine Mail von der Beschaffungsabteilung, die das bestätigte, während eine weitere vom Betrieb den Termin ankündigte, an dem die Server verfügbar waren. Was immer ELOPe auch getan hatte, es hatte funktioniert. Es mochte die serverlastigste Anwendung der ganzen Firma sein, vielleicht sogar der ganzen Welt, aber verdammt noch mal, es funktionierte wirklich.
Wenn David über diesen Aspekt nachdachte, dann war er begeistert. Das Projekt war sein Leben geworden. Sein geistiges Kind war nun erwachsen und tat, wofür es geschaffen war. Nun gut, vielleicht tat es sogar ein wenig mehr als das.
Aber er hatte nicht wirklich begriffen, wie es sein würde, eine so große Täuschung zu inszenieren und ELOPe heimlich hinter den Kulissen agieren zu lassen. Wenn irgendjemand entdeckte, was er getan hatte, dann wäre dies das Ende seiner Karriere. Er sah aus seinem Bürofenster. Draußen, im momentanen Sonnenschein, gingen die Leute ihren Tätigkeiten nach, sie spazierten, redeten und joggten. Von seinem Bürofenster aus sahen sie alle so entsetzlich unbekümmert aus.
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