AVOGADRO CORP.. William Hertling

AVOGADRO CORP. - William Hertling


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Fahrt an den Tagen, an denen er seine Kinder abliefern musste. Er kam dann immer zu spät ins Büro und wenn er die Arbeit erreichte, hatte sein Smartphone bereits seit einer geschlagenen Stunde gepiept und gesummt, während sich die E-Mails häuften. Er hasste es, mit diesem Rückstand seinen Tag zu beginnen. Sein einziger Trost war, dass die Schule der Kinder ganz in der Nähe eines Stumptown Cafés lag. John nippte an dem Kaffee aus äthiopischem Anbau. Die dunkle, bittersüße Wärme zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Nachdem der Kaffee sein Gehirn Schritt für Schritt in Gang gebracht hatte, war er bereit, sich durch seinen Posteingang zu arbeiten. Er stutzte, als er auf eine rätselhafte Mail von Gary Mitchell stieß. Sie war frühmorgens versendet worden und forderte ihn auf, 5000 Server umzuleiten. John las die kurze Mail dreimal vollständig durch.

      Von: Gary Mitchell (Kommunikationsprodukte)

       An: John Anderson (Beschaffung)

       Betreff: ELOPe Projekt

       Zeit: 6:22

      Hallo John,

       Sean Leonov bat mich, den Jungs von ELOPe auszuhelfen. Sie brauchen schnellstmöglich zusätzliche Server und uns gehen hier die freien Kapazitäten aus. Können Sie 5000 Standardserver aus dem normalen Beschaffungszyklus herausziehen und der IT zur sofortigen Auslieferung zur Verfügung stellen? Bitte übertragen Sie die Zugriffsrechte direkt an David Ryan.

       Vielen Dank,

       Gary Mitchell

      John dachte kurz über die Ausnahmeregelung nach. Normalerweise stellte eine Abteilung, die neue Server wollte, eine Kaufanforderung. Dann wurden die Teile erworben, zu den Avogadro Datenzentren transportiert, zu firmentypischen Servern zusammengebaut und in die Serverracks integriert. Dann übernahm eine andere Gruppe, installierte das Betriebssystem und die Standardsoftware. Insgesamt würde es, abhängig von der Größe und Dringlichkeit des Auftrages, irgendwo zwischen 6 und 12 Wochen dauern bis die angeforderten Server betriebsbereit waren.

      Sollte eine Abteilung eilig zusätzliche Server benötigen, dann konnte sie eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Im Ausnahmeprozess wurden Server, die für eine andere Gruppe bestimmt waren und sich bereits in der Pipeline befanden, zu der Abteilung umgeleitet, die sie dringend benötigte. Dann würden ersatzweise Computer für die erste Gruppe bestellt, die nun ein wenig länger warten musste. Ausnahmeanforderungen waren nicht üblich, aber auch nicht ungewöhnlich. Nein, der rätselhafte Teil war nicht die Anforderung an sich, sondern dass Gary sie als Mail versendet hatte. Nur die offizielle Bestellsoftware konnte genutzt werden, um Server zu bestellen, zu versenden und umzuleiten. Gary sollte das (eigentlich) wissen.

      Er hatte die Hand schon am Telefon, um Gary anzurufen, und zog sie dann wieder zurück. Ein Anruf bei Gary würde ihn mindestens eine Viertelstunde kosten. Er hatte mit der Zeit gelernt, dass, unabhängig von den Regeln der Bestellvorgänge, jeder nur mit ihm debattieren wollte, wenn John sie ihm zu erklären versuchte. Und je höher jemand in der Firmenhierarchie war, desto mehr würde er diskutieren, so als ob seine Anwesenheit in den luftigen Höhen der Verwaltung ihn mit besonderen Kräften ausstatten würde, die die Regeln aushebeln können. Eine schnelle Mail würde vermeiden, dass ihm das Ohr abgekaut wurde.

      An: Gary Mitchell (Kommunikationsprodukte)

       Von: John Anderson (Beschaffung)

       Betreff: E-Mail-Bestellformulare

      Gary,

       wir können keine Ausnahmeregelung für Server aufgrund einer E-Mail erteilen. Ich könnte das nicht einmal für 5 Server tun und schon gar nicht für 5000. Benutzen Sie bitte das Online-Bestellformular um Ihre Anfrage einzureichen: http://procurement.internal.avogadrocorp.com oder lassen Sie es von Ihrem Sekretariat erledigen. Das ist der einzige Weg, den wir für Ausnahmegenehmigungen benutzen können. Wir werden Ihren Ausnahmeantrag gerne bearbeiten, wenn Sie den offiziellen Weg beschreiten und eine ausreichende Begründung vorlegen. Vielen Dank. John Anderson

      John arbeitete weiter an den aufgelaufenen Mails, wobei er nach und nach seinen Kaffeebecher leerte. Hunderte von neuen Nachrichten in seinem Posteingang konnten einem flüchtigen Beobachter den Eindruck vermitteln, dass er für eine Woche nicht an seinem Arbeitsplatz gewesen war. Dabei war er nur zu spät gekommen, weil er seine Kinder absetzen musste. Er nahm einen weiteren Schluck Kaffee und arbeitete sich weiter durch die Mails. Der Rest seines Tages würde, wie jeder andere Tag, aus endlosen E-Mails und endlos vielen Tassen Kaffee bestehen. Garys Mail mochte etwas ungewöhnlich gewesen sein, aber sie war schnell vergessen in der Flut anderer Probleme.

      Ein paar Stunden später, auf der entgegengesetzten Seite des Campus, brachte Pete Wong sein Mittagessen aus der Cafeteria in Gebäude 6 zum Gebäude 3 schräg gegenüber, wobei er kurz im verglasten Gebäudeübergang stehen blieb. Die Sonne war hervorgetreten und er hob ihr für einen Augenblick sein Gesicht entgegen. Als er nach unten schaute, sah er das Sonnenlicht auf den nassen Straßen glitzern, etwas, dass er am Regenwetter womöglich am meisten liebte. Er erinnerte sich, dass er, als er noch ein Kind gewesen war, an regnerischen Tagen nach draußen gerannt war, wenn die Sonne durch die Wolken brach und so getan hatte, als ob Feen die Straße mit magischem Staub bedeckt hätten. Eine Gruppe lachender Menschen, ihrer Kleidung nach Leute aus dem Marketing, betraten den Übergang und rissen ihn aus seinen Erinnerungen. Er ging weiter und stieg dann die Treppe vier Stockwerke nach unten in sein Büro. Aus der Sonne heraus direkt in das fluoreszierende Halbdunkel der Kellerbüros hinein.

      In unzähligen Abteilungsmeeting war Pete versichert worden, dass sein Team für Interne Anwendungen (IA), zuständig für die Bereitstellung der IT-Tools, die innerhalb der Firma verwendet wurden, verlegt werden würde, sobald ein oberirdischer Büroraum zur Verfügung stand. Pete schüttelte den Kopf, als er darüber nachdachte. Es war keine Überraschung, dass sein Team in dem festsaß, was gemeinhin als das Verlies von Avogadro Corp. bezeichnet wurde. Jeder in ihrem Unternehmen nutzte ihre Anwendungen, um die tägliche Arbeit zu machen, vom Bestellen von Bürobedarf, zur Erweiterung ihres Plattenspeichers bis hin zu dem Ausfüllen ihrer Stundenzettel.

      Da sie aber nicht die coolen kundenorientierten Produkte entwickelten, waren sie die absoluten Underdogs des Unternehmens. Kein Manager, niemand aus der Forschung und Entwicklung würde je in ein Kellerbüro verbannt werden. Schon das allein ließ ihn manchmal mit den Zähnen knirschen.

      Als Pete zu seinem Schreibtisch zurückkehrte, ließ er sich von seinem Mittagessen trösten. Sein Büro mochte mies sein und sein Job wurde nicht gewürdigt, aber wenigstens war die Verpflegung gut. Frische Gnocchi in Buttersoße, gemischter grüner Salat und ein Becher Eis, in einem speziell isolierten Becher, der es kühl hielt, während er aß. Alles natürlich aus lokalem, biologischem Anbau. Der Kaffee war auch nicht übel, obwohl er von Kobos kam. Pete zog Ristretto-Röstungen denen Kobos vor, aber natürlich waren nur wenige von Portlands Kaffeeröstereien groß genug, um Avogadros Hauptquartier zu beliefern. Ristretto war eine der besten kleinen Röstereien in der Stadt. Petes Frau, eine Teetrinkerin, konnte Portlands Kaffeebesessenheit nicht verstehen. Während er aß, sah Pete in seinen Posteingang. Er entdeckte eine neue Mail und öffnete sie.

      An: Pete Wong (Interne Anwendungen)

       Von: John Anderson (Beschaffung)

       Betreff: E-Mail-Bestellformulare

      Hallo Pete,

       ich bin John Anderson und arbeite in der Beschaffungsabteilung. Obwohl wir eine eigene Webapplikation haben, die von euch Jungs stammt, bekommen wir trotzdem hunderte von Mailanfragen in unsere Abteilung. Teil des Problems ist, dass wir Verkäufer im Außendienst haben, die Mails von ihren Smartphones versenden können, aber es ist schwierig für sie, auf diesem Wege eine sichere Verbindung zu den internen Webseiten aufzubauen. Ist es möglich, eine Mail-Internet-Schnittstelle zu erstellen, die es diesen Leuten ermöglicht, uns Mails zu schicken und ein Antwortformular zu erhalten, um ihre Bestellungen einzureichen? Ich habe dies Sean Leonov gegenüber angesprochen und er sagte, dass ihr Jungs so etwas in ein bis zwei Tagen hinbekommen könntet.

       Vielen Dank,

       John

      Pete starrte die seltsame E-Mail


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