Das Auge der Medusa. Johanna T. Hellmich

Das Auge der Medusa - Johanna T. Hellmich


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stieg erst wieder ins Trockene, als sie von oben bis unten zitterte. Manchmal tat es ganz gut, seine Gedanken einzufrieren.

      Sie trocknete sich ab und stellte resigniert fest, dass auch dieses Handtuch schon mehr Löcher hatte, als sie tolerieren wollte. Sie hatte sich ihre eigene Wohnung anders vorgestellt, doch sie würde sich nicht beschweren. Sie hatte ein Dach über dem Kopf und genug zu essen im Haus. Ihr knurrender Magen erinnerte sie daran, dass es Zeit fürs Frühstück war.

      Sobald sie aus dem Bad trat, das löchrige Handtuch um sich geschlungen, machten sich die Erinnerungen an die letzte Nacht erneut breit in ihrem Kopf. Jemand musste etwas unternehmen. Sie musste jemanden finden, der sich um diesen Sektenanführer kümmerte und ihn daran hinderte, eine alte Gottheit zu beschwören. Plötzlich wusste sie mit Gewissheit, dass sonst das Böse gewinnen würde. Während sie in Gedanken versunken ihren knarrenden Kleiderschrank nach etwas Tragbarem durchsuchte, schlich eine Katze unter Medusas Bett hervor. Ihr Fell war fast komplett schwarz, nur ihre Schwanzspitze war weiß. Diese war hoch erhoben, als die Katze schnurrend um Medusas Beine strich.

      „Dir auch einen guten Morgen, Medea.“

      Medusa zog ein nur wenig zerknittertes T-Shirt aus einem Wäschehaufen und hielt es vor sich, bevor sie sich hinunter beugte, um Medea hinter den Ohren zu kraulen. Die Katze schnurrte laut als Antwort.

      „Du wirst nicht glauben, was für eine verrückte Nacht ich hatte.“ Medusa zog sich das Queen-Wappen-T-Shirt an und warf das Handtuch achtlos auf den Boden, wo Medea sich sofort darauf stürzte. „Anscheinend hat unser Freund Charly diesen Sektenführer in der wachen Welt gesehen, deshalb hat er jetzt jede Nacht diese Albträume. Dieser Typ … Ach, ich kann ihn ja nicht die ganze Zeit Sektenführer nennen, oder? Ich sage, wir geben ihm einen Namen, was meinst du, Medea?“

      Medea schien sich für das Problem nicht zu interessieren. Medusa zog an dem Bein einer schwarzen Hose, um sie unter einem Stapel herauszuziehen, und zog sie an, bevor sie genervt feststellte, dass sie vergessen hatte, Socken anzuziehen. Mit einem verärgerten Stirnrunzeln hob sie zwei ungleiche Exemplare vom Boden auf und zog sie ohne weiteren Kommentar an. Mit einem energischen Sprung drehte sie sich zu ihrer Katze um, die erschrocken von ihrem Handtuch-Bett aufsprang.

      „Ich hab’s! Ich werde ihn ab jetzt einfach Alfred nennen. Dieser Name wirkt so ungefährlich.“

      Ohne auf eine Reaktion zu warten, machte Medusa sich auf den Weg in die Küche, Medea folgte ihr. Das Erste, was sie tat, war die Futterschüssel ihrer Katze zu füllen und das Wasser zu wechseln. Danach ignorierte Medea sie. Medusa musste schmunzeln, sie konnte die Katze verstehen. Sie würde auch lieber einfach alles um sich ignorieren und den ganzen Tag nur schlafen, trinken und fressen.

      Sie nahm sich eine Schüssel aus dem Regal und füllte sie mit Müsli und Milch. Mit der Schale in der Hand setzte sie sich auf die Anrichte und griff nach einem Löffel aus der Schublade, in der Besteck für höchstens vier Personen lag. Medusa ließ ihre Beine baumeln und betrachtete die weiße Schwanzspitze ihrer Katze, die sich hypnotisierend hin und her bewegte. Mit einem tiefen Seufzer begann sie ihr eigenes Frühstück zu löffeln. Sie hatte Zeit, um zu trödeln. Sie war früh aufgewacht und hatte erst um neun Uhr eine Verabredung mit Clara und ihren Uni-Freunden. Bis dahin musste sie sich überlegen, was sie Clara erzählen wollte. Schließlich ist es ihre Freundin gewesen, die vorgeschlagen hatte, afrikanische Traumwurzeln zu verwenden, um ein besseres Bild von dem Träumer zu bekommen und mehr Kontrolle über diesen wiederkehrenden Albtraum, dem Medusa nicht zu entkommen schien.

      Clara war die Einzige, die über Medusas Fähigkeiten Bescheid wusste. Genau genommen, war sie die einzig Normale, der Medusa ihr Geheimnis anvertraut hatte. Medusa hatte schon bald herausgefunden, dass sie nicht allein war mit ihren Kräften. In ihrem dritten Jahr in der Schule hatte ein Junge den Wasserhahn in ihrem Klassenraum zum Explodieren gebracht. Er war von einem Mann mit Glatze und grauem Anzug abgeholt worden, angeblich ein Transport in ein Krankenhaus für begabte Kinder. Medusa hatte schnell gelernt, ihre Kräfte nicht in der Öffentlichkeit zu verwenden.

      Ein junger Professor an ihrer zweiten Schule, Herr Klein, hatte ihre Fähigkeiten dennoch erkannt und sie zu seiner eigenen kleinen Lerngruppe für Begabte eingeladen. Dort hatte er ihnen beigebracht, mit ihren Talenten, wie er sie nannte, verantwortlich umzugehen. Er selbst konnte Begabte und ihre Auren sehen und hatte deshalb die Aufgabe übernommen, so vielen von ihnen zu helfen, wie er nur konnte. Erst später erfuhr Medusa, dass Klein für ein Unternehmen arbeitete, das sich darauf spezialisierte, Begabte ausfindig zu machen, zu trainieren und für sich arbeiten zu lassen. Die Gem Corporation. Das erklärte zumindest, woher dieser einfache Unterstufenlehrer so viel wusste. Er erzählte ihnen von Magie, dass jeder Mensch sie besaß, sie jedoch nur alle paar Jahrhunderte und bloß unter den richtigen Bedingungen aktiviert wurde. Er hatte sie „Glückskinder“ genannt. Er hatte ihnen von der offiziellen Klassifizierung erzählt, von Rubinen, Saphiren, Smaragden und Diamanten. Doch Klein konnte ihnen nicht sagen, wer diese Kategorien entworfen hatte, wer bestimmte, in welche man fiel. Er hatte Medusa einen Smaragd genannt, ihre Magie würde sich auf den Geist, den Verstand und auf Emotionen konzentrieren. Er hatte ihr Einzelunterricht gegeben und wollte ihr beibringen, andere Begabte mit ihrem dritten Auge aufzuspüren, doch sie hatte es nie geschafft. Als ein Mädchen während einer Sportstunde plötzlich tot umfiel, führten alle Wege bald zu Klein. Als die Elternvertretung und das Direktorat von seinem kleinen Club und den Privatstunden erfuhren, konnte er nur noch verschwinden und untertauchen. Medusa und die anderen Kinder wurden befragt und zu Psychologen geschickt, doch keiner verlor ein Wort über das, was in diesem Club vor sich ging, sie hatten alle zu viel Angst. Keiner von ihnen sah Professor Klein jemals wieder.

      „Miiaaaaoooo!“

      „Du hattest genug, Medea.“

      Medusa sah auf ihr eigenes Frühstück. Ihr war der Appetit vergangen. Sie hatte noch eine gute halbe Stunde Zeit, bevor sie sich auf den Weg machen musste. Sie überwand sich, das Müsli hinunterzuschlingen, in ihrem Haus wurde kein Essen weggeworfen! Dann stapelte sie das Geschirr geübt in die Abwaschwanne, darum würde sie sich später kümmern. Ihre Wohnung war relativ klein, ein schmaler Gang führte vom Eingang in das Wohnzimmer, an dessen Nordseite sich die Küchenzeile befand. Eine Tür führte in eine kleine Abstellkammer, in der Medeas Katzenklo stand. Eine zweite Tür führte in das Schlafzimmer, das gerade groß genug für eine Person war, und in das Medusa nun trat. Von dort gab es eine weitere Tür, die in das kleine Badezimmer führte.

      Medea strich um Medusas Beine, als diese sich an ihren Schreibtisch setzte, den sie gelegentlich zu einem Schminktisch umfunktionierte. Sie öffnete eine Lade und betrachtete sich in dem aufgeklappten Spiegel.

      Sie war geübt darin, mit Concealer und Puder die Narbe zumindest ansatzweise zu verdecken. Sie war noch immer sichtbar, aber sie zog nicht mehr so viel Aufmerksamkeit auf sich. Ihr war bewusst, dass sie jeglichen Gedanken an den Albtraum und an ihr Treffen mit Clara vermied. Sie entschied, dass sie sich darüber unterwegs immer noch Gedanken machen könnte.

      Etwas schwarzen Eyeliner und schwarzen Lippenstift später trat Medusa aus ihrer Wohnung und sperrte die Tür hinter sich zu. Sie mochte die Art, wie Leute sie ansahen, sobald sie den schwarzen Lippenstift trug. Denn sie wusste, dass die Menschen in diesem Moment eine selbstbewusste, interessante Frau sahen und nicht einen Freak mit einem dritten Auge und Schlafstörungen. Sie hasste ihre Fähigkeiten und sah keinen Nutzen darin, es war eher eine Belastung für sie. Sie schloss die schwarze Lederjacke über ihrem Queen-Shirt. Sie trug Springerstiefel in derselben Farbe. Ihr Traumfänger-Amulett lag sicher um ihren Hals, um eine ihrer Schultern hatte sie eine kleine Tasche geworfen. Es wurde wärmer, der Frühling zeigte sich.

      Medusa wusste nicht, was die Zukunft für sie bereithielt oder wie genau sie mit Alfred umgehen sollte, wen sie um Hilfe fragen könnte. Doch die bereits kräftigen Sonnenstrahlen zauberten ein schmales Lächeln auf ihr blasses Gesicht. Zum ersten Mal, seit sie aufgewacht war, wurde das Gewicht, das dieser Traum auf ihre Schultern gelegt hatte, etwas leichter. Sie atmete die frische Luft tief ein. Der Geruch von Backwaren der Bäckerei nebenan kitzelte in ihrer Nase.

      Ja, Medusa wusste nicht, was die Zukunft, was dieser Tag für sie bereithielt, doch sie war einen Schritt näher an ihrem Ziel, diese ganze Geschichte hinter sich zu


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