Graues Land. Michael Dissieux

Graues Land - Michael Dissieux


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seriösen Eindruck auf Sarah zu machen. Mein Vater hat mir einmal gesagt, der erste Eindruck, den man bei einer Frau hinterlässt, sei der Wichtigste.

      Sie redet nicht viel, und wenn, dann mit leiser Stimme.

      Die meiste Zeit schweige auch ich, da ich weiß, dass es viele Frauen nicht gerne haben, wenn ihre männliche Begleitung zu viel redet.

      Seit einer Woche bin ich nun aus Europa zurück.

      `Eine Auszeit nehmen´, nannte ich meinen Trip über den Atlantik. Mein trister Bürojob war mir zuviel geworden, ebenso die stets gepflegten Masken meiner Kollegen und das gleißende Neonlicht, denen ich acht Stunden am Tag ausgesetzt war.

      Das, in Verbindung mit dem hektischen Klappern der Schreibmaschinen, hatte mich irgendwann zu der Überzeugung gebracht, dass es an der Zeit war, ein paar Wochen Urlaub zu nehmen und dem mechanisierten und langweiligen Leben den Rücken zu kehren. Mit meinen Ersparnissen konnte ich mir eine Reise quer durch Europa finanzieren. Und so hatte ich voller Inbrunst die Metropolen des Kontinents besucht, von denen ich normalerweise nur aus den Zeitschriften oder dem Fernsehen etwas erfahren hatte.

      Paris, London, Athen und München waren nur einige Stationen meiner Odyssee gewesen. Und in jeder dieser Städte fühlte ich mich, trotz des Trubels und der lauten Menschen, zufrieden und entspannt. Obwohl die Rastlosigkeit, die sie ausstrahlten, die Eile im Büro noch bei Weitem übertraf.

      Am zweiten Tag, nachdem ich wieder sicher in der Heimat gelandet war, hatte mich mein Bruder Alan in sein Haus eingeladen, um den Abend mit ihm und seiner Frau Sheila beim gemütlichen Abendessen zu verbringen.

      Zu diesem Anlass war auch Sheilas beste Freundin Sarah eingeladen.

      Ob es Zufall war oder ein inszeniertes Spiel wusste ich nicht zu sagen.

      Doch war ich Alan und Sheila für dieses Arrangement durchaus dankbar gewesen.

      Denn von diesem Abend an war Blau meine Lieblingsfarbe.

      Es hat weitere zwei Tage gedauert, bis ich endlich den Mut gefunden hatte, Sarah über die Telefonnummer, die mir Sheila mit einem Augenzwinkern zugesteckt hatte, anzurufen. Und weitere zwei Tage musste ich harren, bis ich endlich mit ihr durch die Straßen unserer kleinen Stadt schlendern konnte.

      Wir sind auf dem Weg zu einem kleinen Restaurant, das mir Alan empfohlen hatte.

      Wenn ich daran denke, Sarah beim Essen gegenüberzusitzen, bekomme ich weiche Knie. Ich weiß, dass ich sie anstarren und mich wie ein kleiner, schüchterner Junge verhalten werde. Ihr außerdem Komplimente wegen ihrer herrlichen Augen machen werde, die sie alle schon hundert Mal gehört hat. Und ich werde ihr meine Abenteuergeschichten aus dem Büro erzählen, bis sie sich gelangweilt von mir abwendet.

      `Dieser Abend ist etwas ganz Besonderes in meinem Leben´, denke ich mir. Und gleichzeitig werde ich mit jedem Schritt, mit dem wir uns dem Restaurant nähern, nervöser.

      So seltsam sich das auch anhören mag, aber ich will nicht, dass die beiden Schatten auf dem trostlosen Pflaster jemals wieder getrennt werden …

      Ein langgezogenes, unmenschliches Heulen lässt mich aufschrecken.

      Verwirrt blicke ich mich um. Die Kerze ist heruntergebrannt. Die Flamme der Petroleumlampe leuchtet ruhig.

      Die Schatten im Zimmer haben sich in ein vergessenes Grau gewandelt.

      Von Sarahs Bett kann ich ein leises Schnarchen hören.

      Ein Blick zum Holzladen vor dem Fenster bestätigt mir meine Vermutung. Ich muss am Abend eingeschlafen sein und habe die ganze Nacht in dem Korbsessel verbracht.

      Das Heulen …

      Erschrocken starre ich auf den grauen Spalt zwischen den Läden. Der neue Tag beginnt mit der gleichen Dunkelheit wie die Tage davor.

      Fast eine Minute lausche ich angestrengt. Doch dieser unheimliche Laut, der seit Tagen das Einzige ist, das das Schweigen der Welt bricht, wiederholt sich nicht. Mein kraftloser Blick fällt auf die Uhr an meinem Handgelenk. Das letzte Geschenk von Sarah. Ich drehe den Arm so, dass der gelbe Schein der Lampe sich auf dem Glas der Uhr spiegelt.

      Fast acht Uhr.

      Die Nacht ist vorüber. Am Tage hört man Sie nicht.

      Das Heulen muss von einer letzten verirrten Kreatur stammen. Oder von meinen düsteren Träumen erzeugt worden sein.

      Mein Blick fällt wieder auf Sarah.

      Sie wirkt friedlich. Ihre Brust hebt sich in langsamen Atemzügen. Dass ich in dieser Nacht nicht neben ihr gelegen habe, hat sie nicht einmal gemerkt.

      So, wie sie oft nicht weiß, dass ich bei ihr bin.

      Oder dass sie noch lebt …

      Meine Knochen protestieren ächzend ob der langen Nacht im Sessel. So gerne ich mir auch einzureden versuche, für mein Alter relativ rüstig zu sein, so sehr werde ich in diesen Minuten Lügen gestraft.

      Es kostet mich eine gewaltige Anstrengung zum Bett zu gelangen, wo ich mich mit einem heiseren Stöhnen auf den Rand der Matratze setze.

      Während ich mit der Hand den schmerzenden Rücken zu massieren versuche, blicke ich auf das friedliche, schlafende Gesicht von Sarah.

      Ihre Augenlider flackern. Ich frage mich, von was sie gerade träumt.

      War sie überhaupt noch dazu in der Lage zu träumen?

      Die Haut über ihren Wangen spannt sich. Im Schein der Petroleumlampe und des dämmernden Morgens wirkt sie kränklich gelb.

      Ihre Lippen sind nicht mehr als eine zusammengekniffene Linie. Trocken und rissig.

      Ein glänzender Speichelfaden rinnt aus ihrem Mundwinkel und läuft ihre Wange hinab zum Hals.

      »Erzähl mir deine Träume«, flüstere ich und streiche ihr verschwitztes Haar aus der Stirn. Ich habe das Gefühl, harte Stahlwolle zu berühren.

      Sie regt sich kurz. Ihr Gesicht scheint sich mir entgegenzustrecken. Ein tonloses Keuchen entrinnt ihrer Kehle.

      Ich denke an den Traum der Nacht zurück. Bruchstücke davon haben sich in meinem Unterbewusstsein abgesetzt.

      Sarahs Augen und unsere Schatten auf rissigem, grauen Asphalt. Meine Angst, mich ihr in dem kleinen Restaurant gegenüberzusetzen.

      Am meisten jedoch der unbändige Wunsch, dass sich diese Schatten nie wieder trennen mögen.

      Mit zitternden Fingern nehme ich ihre Hand in meine und drücke sie sanft.

      Ich weiß, dass ich zart mit ihr umgehen muss, denn ihr Körper ist zerbrechlich geworden. Ein Schatten jener Sarah, an deren Stärke ich mich einst geklammert hatte.

      Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie meinen Druck erwidert. Doch mir ist bewusst, dass dies bloß die Wünsche eines einsamen, alten Mannes sind.

      Ihre Hand liegt schlaff und kalt in der meinen.

      Auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett steht das Tablett mit einem letzten Rest Haferschleim. Er erinnert mich daran, was ich an diesem Tag zu erledigen habe.

      Nachdem ich Sarah mit einem Lappen gewaschen und sie umgezogen habe, setze ich mich noch einmal zu ihr und betrachte ihr hageres Gesicht.

      Bilder meines Traumes versuchen, sich in meine Erinnerung zu stehlen. Doch ich verdränge sie.

      »Ich gehe zu Murphy«, sage ich leise und beuge mich dabei nach vorn, damit Sarah mich besser verstehen kann. Ich weiß, dass sie es nicht tut. Doch es ist eine alte Gewohnheit von mir. Und Gewohnheiten sind alles, was mir von unserer gemeinsamen Zeit geblieben ist.

      »Unsere Vorräte gehen zur Neige.«

      Mein Blick fällt zu dem schmalen Streifen Licht, der zähflüssig durch die Ritzen des Fensterladens tropft.

      »Ich


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