So Gut Wie Tot. Блейк Пирс
sie krank gewesen? Hatte sie an einer tödlichen Krankheit gelitten? Oder war ihr Tod ein Unfall gewesen? Eine schnelle, unvermeidliche Tragödie – ihre Schwester Opfer eines Verkehrsunfalls, eines Gaslecks, eines Einbruchs oder Überfalls?
Cassie hob sich die Stirn. Ihre Schläfen pochten laut. Sie war so nah dran gewesen, hatte ihre Schwester um Haaresbreite verpasst und nun entdeckt, dass sie sie nie wiedersehen würde.
„Oh, Jacqui“, flüsterte sie. „Es tut mir leid. Ich habe es versucht, das habe ich wirklich.“
Als sie langsam die Tragweite ihrer Worte begriff, folgte die Trauer und Cassie begann, unkontrolliert zu weinen.
Sie vergrub den Kopf in ihren Händen und konnte nichts anderes tun, als den Schmerz zu ertragen und zu weinen. Der Verlust schien unaushaltbar zu sein, die Qual so stechend wie eine Messerwunde. Die Worte der Frau hatten Wunden der Trauer in ihr geöffnet und sie fürchtete, nie wieder heilen zu können.
Eine gefühlte Ewigkeit später hob Cassie den Kopf. Sie fühlte sich schwach und erschöpft, hatte aber keine Tränen mehr übrig.
Sie ging ins Badezimmer, spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht und rieb sich die Augen. Als sie ihre geschwollenen Augen im Spiegel betrachtete, realisierte sie, dass sie die Stufe des Schocks und der Akzeptanz bereits überwunden hatte. Nun war ihr Kopf voller Fragen.
Wann war sie gestorben? Hatte es eine Beerdigung gegeben, war Jacqui beigesetzt worden? Wer hatte das tragische Ereignis organisiert?
Und eine weitere wichtige Frage drängte sich an die Oberfläche: Warum hatte Mirabella aufgelegt, nachdem sie ihr diese zerstörenden Nachrichten überbracht hatte? Warum war sie nicht in der Leitung geblieben, um mit Cassie zu sprechen und die Geschehnisse zu erklären? Schließlich hatte Cassie sich als Jacquis Schwester vorgestellt. Mirabella hatte gewusst, mit einer Familienangehörigen zu sprechen.
Jetzt, wo Cassie wieder klarer denken konnte, konnte sie keinen gültigen Grund für Mirabellas Verhalten finden. Es war unlogisch, verwirrend und außerdem unglaublich grausam.
Erschrocken fragte sich Cassie, ob sie sich nicht korrekt an die Unterhaltung erinnerte.
Was, wenn die Frau ihr tatsächlich erklärt hatte, was mit ihrer Schwester geschehen war? Was, wenn Cassie – im Schrecken des Augenblicks – eine Erinnerungslücke erlitten und das eigentliche Gespräch vergessen hatte?
Ihre Handflächen wurden feucht, denn sie wusste, dass es möglich war. Es war ihr schon zuvor wiederfahren und wurde gewöhnlich von extremen Stresssituationen ausgelöst.
Die Art von Stress, der eine Person ausgesetzt wurde, wenn sie vom Tod ihrer Schwester erfahren hatte.
Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Sie musste Mirabella erneut anrufen und nach den Details des Todes ihrer Schwester fragen.
Sie nahm erneut das Telefon in der Hand und wählte mit angstvoller Übelkeit die Nummer.
Zu ihrer Verwirrung nahm Mirabella nicht ab. Der Anruf wurde nicht einmal zur Mailbox weitergeleitet, sondern klingelte lediglich durch.
Sie legte auf und fragte sich, ob die Verbindung gescheitert war. Während sie erneut wählte, gab sie sich Mühe, ihre Gedanken zu sortieren.
Sie war nicht verrückt. Sie war sich sicher, die Unterhaltung richtig in Erinnerung zu haben. Und sie war überzeugt, dass ihre Schwester nicht tot sein konnte. Nicht innerhalb so kurzer Zeit, nachdem sie erst kürzlich gesund und am Leben gewesen war.
Vielleicht hatte Mirabella genug von Leuten, die sich nach Jacqui erkundigten. Vielleicht hatte Jacqui einen hartnäckigen Ex-Freund, der jeden verrückt machte. Vielleicht hatte sie die Boutique im Streit verlassen und Mirabella hatte im Jähzorn entschieden, diese furchtbare Geschichte zu erzählen.
Für Cassie war dies ein Hoffnungsschimmer, den sie allerdings nicht bestätigen konnte. Erneut ging der Anruf ins Leere. Dann verrieten ihr das Klicken und Kratzen der Haustüre, dass die Kinder zurück waren.
Nach ihrem einsamen Morgen und der schockierenden Entdeckung, war sie froh, Nina und Venetia zu sehen. Sie war dankbar für ihre Gesellschaft, die sie von ihren verzweifelten Gedanken ablenkte.
„Wie war die Schule?“, fragte sie.
Die Mädchen sahen genauso ordentlich und zurechtgemacht aus wie am Morgen. Cassie erinnerte sich vage an ihre eigene Schulzeit, in der sie stets zerzaust und unordentlich nach Hause gekommen war. Entweder hatte sie ein Haarband verloren, ihre Tasche kaputt gemacht oder eine Jacke verlegt.
„Mein Tag war gut, danke“, sagte Nina höflich.
Venetia war gesprächiger.
„Ich hatte einen Mathetest und war Klassenbeste“, sagte sie, was Nina ebenfalls dazu brachte, etwas hinzuzufügen.
„Bei uns findet morgen ein Buchstabier-Wettbewerb statt. Darauf freue ich mich, denn letztes Mal hat mein Team gewonnen.“
„Gut gemacht, Venetia. Und Nina, ich bin mir sicher, dass dein Team ganz hervorragend abschneiden wird. Ich kann dir später beim Üben helfen, wenn du möchtest. Habt ihr beide schon zu Mittag gegessen?“
„Ja, haben wir“, antwortete Nina.
„Dann zieht euch euere Schuluniformen aus. Und dann können wir uns überlegen, was wir tun können, bevor es dunkel wird.“
Die Mädchen sahen sich an, wie sie es oft zu tun schienen, als würden sie sich miteinander absprechen.
„In Ordnung“, sagte Nina.
Als die Mädchen gehorsam nach oben gingen, um sich umzuziehen, verblüffte ihr übermäßig formelles Verhalten Cassie. Sie hatte erwartet, im Laufe der Zeit ein entspannteres Auftreten und normalisierte Persönlichkeiten vorzufinden. Es kam ihr vor, als hielten die Mädchen sie bewusst auf Abstand und sie machte sich Sorgen, von ihnen abgelehnt zu werden. Sie wusste nicht, warum ihre Anwesenheit den Mädchen missfallen könnte.
Dadurch wurde es auch schwer, mit ihnen zu interagieren. Sie benahmen sich wie zwei kleine, perfekt trainierte Roboter. Bisher hatten sie lediglich über ihre Hausaufgaben gesprochen.
Es gab nur eine Person, die daran etwas ändern konnte: sie. Zweifellos waren die Kinder nicht daran gewohnt, von normalen Menschen beaufsichtig zu werden, die weder hochintelligente Spezialisten noch Geschäftsführer waren. Aber sie konnte nichts daran ändern, wer sie war.
Ihr kam der Gedanke, ihnen bei den Hausaufgaben zu helfen, aber Schularbeiten waren eine langweilige Beschäftigung. Und die Mädchen schienen es zu bevorzugen, ihre Verantwortlichkeiten unabhängig und ohne Hilfe auszuführen.
Warum nicht ein richtiges Spiel spielen? Das schien den ernsten und leistungsstarken Leben zu fehlen. Die Kinder waren vielleicht brillant und auf Erfolg getrimmt – aber sie waren erst acht und neun Jahre alt und brauchten Zeit zum Spielen.
Cassie freute sich, eine Aktivität gefunden zu haben, die ihnen gefallen könnte und zu der sie mit ihrer eigenen Energie und Vorstellungskraft beitragen konnte. Sie ging nach oben, um ihre Jacke zu holen.
„Es sieht nach Regen aus, aber noch ist es trocken. Sollen wir im Garten spielen?“, fragte sie Nina.
Nina sah sie höflich an.
„Das tun wir für gewöhnlich nicht“, sagte sie.
Cassies Herz wurde schwer. Die Kinder schoben sie von sich.
Venetia tauchte im Türrahmen auf.
„Ich würde gerne spielen“, sagte sie.
Cassie sah, dass sich im Regal über Ninas Büchern auch einige Spielsachen befanden. Sie standen so weit oben, dass die Kinder sie nicht erreichen konnten. Die wunderschöne Puppe wirkte vielmehr wie ein teures Sammlerstück als ein Spielzeug, ein Puzzle war ungeöffnet. Daneben lag ein weicher, bunter Ball.
„Sollen wir draußen mit dem Ball spielen?“, schlug sie vor und griff nach dem Ball.
Wieder sahen die Mädchen einander an, als träfen sie eine Entscheidung.
„Wir dürfen nicht mit den Spielsachen spielen“,