Scheidung kann tödlich sein. Andrea Ross

Scheidung kann tödlich sein - Andrea Ross


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Hätte man die Ereignisse während des Zusammenlebens auch noch niedergeschrieben ... oh je! Doch das Lesen meiner Aufzeichnungen hätte, wie sie Attila gegenüber bemerkte, den zeitlichen Rahmen dieses Gutachtens gesprengt. Natürlich, solche Denkweisen kannten wir schon zur Genüge. Machen wir es uns doch lieber einfach, wen interessiert schon Attilas Blickwinkel!

      Das wirklich Schlimme an diesem Gutachten zur Erziehungsfähigkeit war, dass es im Grunde weitgehend zutreffende Darstellungen enthielt, sieht man von der meines Erachtens entgleisten Schlussfolgerung einmal ab. Ich hatte längst ebenfalls schon den Verdacht für mich erhärtet, die Kinder seien einfach kaum erzogen, hätten nie Grenzen kennengelernt und versuchten deshalb, die Eltern gegeneinander auszuspielen. Was auch noch recht einfach gelang, weil die beiden sich ja meist nicht einig waren und ihnen neue Munition gegen den Partner häufig gerade recht kam. Während der Ehe genauso wie heute.

      Dass die Schreianfälle Ronjas und das extreme, theatralische Zicken Solveigs ausschließlich im häuslichen Umfeld auftauchten, verwunderte vor diesem Hintergrund überhaupt nicht. Es wurde schließlich wunschgemäß darauf reagiert, und das auf beiden Seiten. Dass die Kinder von den Eltern gelernt haben, durch Geschrei das zu erreichen, was sie beabsichtigten, ist auch nicht erstaunlich. Die Eltern haben herrlichste Ehekräche vor den Augen und Ohren der Kinder hingelegt. Wer dabei am lautesten schreit oder das meiste Geschirr zerschlägt, gewinnt.

      Das sind die nachteiligen Folgen, wenn man versucht, eine Ehe wider besseres Wissen über Jahre irgendwie hinzuschleppen, obwohl sich die einstige Liebe längst in Hass verkehrt hat. Wenigstens jeweils bis zur nächsten, kurzzeitigen Versöhnung.

      Uschi und Attila haben bis heute eine stark emotional aufgeladene Beziehung, auch das hat die Gutachterin richtig erkannt. Genau dieser Umstand ist es, der mir oft so zu schaffen macht. Wer kann sich schon auf eine neue Liebe, eine neue Beziehung samt neuem Leben konzentrieren, so lange er die alte sorgsam aufrechterhält?

      Genau das tat er jedoch und wenn es bloß war, um seinen Krieg gegen sie zu gewinnen. War sich dessen aber selbst nicht vollumfänglich bewusst; auch nicht, welche Folgen dies für mich und sein neues Leben nach sich zog. Konnte etwa keiner von den beiden ohne den anderen existieren, ohne hierbei extreme Emotionen, gleich welche Art, wachzurufen?

      Wobei ... wenn ich an das Telefonat zwischen Attila und Uschi in der Nacht der stressigen Serverumstellung vor einigen Wochen dachte, war ich mir wieder einmal nicht ganz sicher, ob wirklich

      nur noch Hass übrig sein konnte. An diesem Tag war Attila zu allen anderen Menschen kurz angebunden und muffelig gewesen, weil er arbeitstechnisch sehr angespannt war. Einzig mit Uschi sprach er am Telefon nicht nur nett, sondern sogar einfühlsam und für meinen Geschmack übertrieben freundlich, einschließlich der fast schon liebevollen Verabschiedung. Und das war beileibe nicht das erste Mal gewesen, dass mir so etwas auffiel. Er hatte es an diesem Abend damit erklärt, dass er Informationen über die Kinder aus ihr heraushorchen wollte und daher so auffallend nett gewesen sei, weil sie ansonsten bestimmt sofort aufgelegt hätte.

      Doch er vergaß hierbei, dass ich nicht nur die Worte gehört, sondern auch seine Mimik gesehen hatte. Aus dieser kann man oft mehr herauslesen als aus bloßen Worten. Genau wie aus der Tatsache, dass er Uschi nach wie vor gegenüber Jedermann als »seine Frau« titulierte, was mir immer wieder einen herben Stich in die Herzgegend versetzte.

      Die Gutachterin glaubte an eine emotionale Abhängigkeit Uschis, Attila betreffend. Auch sie konnte ihn nicht loslassen. Sicher, ich wusste aus eigener Erfahrung, dass einen Attila derart faszinieren konnte, ob man sich nun über ihn ärgerte oder ihn liebte. Nur: wenn diese Feststellung zutraf, dann bedeutete das, dass Uschi weiterhin alles unternehmen würde, um ihn an sich zu erinnern oder gar an sich zu binden. Völlig unabhängig davon, ob die beiden geschieden wären oder nicht. »Schöne« Zukunftsaussichten für mich, zweifellos!

      Vermutlich litt auch Solveig an dieser »emotionalen Abhängigkeit«, denn sie war ja einst seine Lieblingstochter gewesen, wurde behandelt wie eine Königin, wie eine Erwachsene. Als sie mich als Konkurrenz bei Papa bekam – jedenfalls muss es für sie wohl so ausgesehen haben – wollte sie keine Sekunde der Aufmerksamkeit ihres Vaters an mich abtreten und zickte daher eifersüchtig, was das Zeug hielt. Bis hin zum völligen Bruch mit Papa.

      Danach trieb sie im Grunde dasselbe Spielchen wie ihre Mutter, um Papa aus der Reserve zu locken. Der neueste Clou: bei einer Gutachterin zu äußern, man gehe lieber in Fremdunterbringung, als bei Mutter oder Vater wohnen zu wollen, wobei diese Gutachterin seltsamerweise auch noch voll darauf einstieg. Andernfalls, so drohte Solveig, werde sie vor lauter Frust gleich Selbstmord begehen. Solche Ankündigungen hatte sie schon, taktisch geschickt, mehrfach angebracht.

      Anstatt das Mädel darauf hinzuweisen, dass Erpressung nicht geduldet werde, dachte man beim Jugendamt tatsächlich darüber nach, ob man ihrem Wunsch nach Fremdunterbringung stattgeben sollte. Im Grunde überließ man eine so weitreichende Entscheidung dem mittlerweile 13-jährigen Kind selbst.

      Auch auf die Gefahr hin, dass ich vielleicht altmodisch klinge: dem Mädchen hätte rechtzeitig einmal der Hintern versohlt gehört. Die wusste nämlich anscheinend gar nicht, dass sie noch lange ein Kind mit eingeschränkter Entscheidungsgewalt bleiben wird. Auch von den Institutionen wurde ihr dies offensichtlich nicht vor Augen geführt.

      Somit würden wir für lange Zeit wohl weder Uschi vom Hals bekommen noch vor Solveigs oder Ronjas Launen sicher sein. Wie sollte ich damit umgehen? Zumal Attila alles liegen und stehen ließ, wenn von dieser Seite etwas kam.

      Und dann die Schlussfolgerung des Gutachtens! Uschi sei zwar eigentlich nicht erziehungsfähig, trinke viel zu viel Alkohol und nehme überdies Psychopharmaka ein, aber die Kinder sollten dennoch bei ihr belassen werden. Sofern sie sich weiterhin der Hilfe von außen bedienen würde. Unter anderem, damit die Kinder beim Vater keine neue Sprache lernen und sich in kein neues Umfeld eingewöhnen müssten. Außerdem hätten alle Kinder so und so geäußert, bei der Mutter bleiben zu wollen.

      Man wollte sie somit mit Hängen und Würgen bei der Mutter lassen, selbst wenn dies bedeutete, dass weiterhin mit Psychiatrieaufenthalten, der Erziehungsbeistandschaft und womöglich sogar mit notwendiger Fremdunterbringung zu rechnen war. Bis alle drei Kinder 18 Jahre alt wären. Auch für den Fall, dass Uschi, wie bisher, null einsichtig ob ihres Verhaltens und dessen Folgen sein würde. Kein Wort fiel davon, wie überhaupt sichergestellt werden sollte, dass Uschi sich rechtzeitig adäquate Hilfe holte, wenn sie mit den Kindern nicht klarkam. Nach den bisherigen Erfahrungen geschah das alle paar Tage.

      Wenn ich mir vorstelle, meine Mutter hätte früher ein Heer von Erziehungsbeiständen und Psychiatern beschäftigt, nur um mir Herr zu werden ... welche Kinder sind schon komplett harmlos? Der Unterschied dabei ist nur: wir hatten einen gewissen anerzogenen Respekt, und wenn es nur derjenige vor den Folgen unserer Handlungen war. Die notwendige Frusttoleranz, die man im Leben nun einmal benötigt, wurde uns auf jeden Fall beigebracht. Die Grenzen waren fest abgesteckt und wer sie übertrat, der tat das mit voller Absicht und wusste, worauf er sich einließ.

      Immer wieder aufs Neue.

      1973 – Der schwarze Schaukelstuhl-Freitag

      Ich liebe die Freitage. Wenn ich aus der Schule komme, vertilge ich immer mein Mittagessen, kümmere mich kurz um die Hausaufgaben und dann, ja dann winkt die große Freiheit. Nicht nur wegen des Wochenendes. Am Freitagnachmittag erledigen meine Eltern stets den Großeinkauf der Familie und sind nur allzu froh, wenn ich gelangweilt anmerke, dass ich nicht unbedingt mitgehen möchte und sogar, wenn es denn sein muss, auf den kleinen Bruder aufpassen werde. Sie sind wohl glücklich, dass ihnen keine nervigen Kinder an der Kasse beharrlich Süßigkeiten herauspressen wollen. So hat jeder etwas von diesen Freitagen: die Eltern ihre Ruhe, und wir Kinder Zeit für Sachen, die unsere Alten besser nicht mitbekommen sollten. Herrlich!

      So auch heute. Kaum hat meine Mutter nach den üblichen Ermahnungen die Türe hinter sich zugezogen, erwachen meine Lebensgeister. An genau diesem Freitag werde ich versuchen, die Experimente von früher zu wiederholen, deren Ergebnis mir damals sehr zugesagt hatte.

      Mein Bruder nannte ein Schaukelpferd sein Eigen, was ich ihm ziemlich neidete. So was hatte man mir früher nicht


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