Der Werwolf von Hannover - Fritz Haarmann. Franziska Steinhauer

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sie, was nicht angeschraubt ist!

      Sie haben keine Erziehung, kennen keine Moral.

      In Grunde, das muss ich mal in aller Deutlichkeit sagen, sind sie nichts wert.

      Manche, wie der kleine Paul zum Beispiel, geben sich wenigstens Mühe, möchten ihre Kunden zufriedenstellen.

      In der letzten Nacht hatte er sich wirklich um mich gekümmert.

      Ich lag schon wach, überlegte gerade, was ich ihm zum Abschied schenken könnte.

      Als es fordernd gegen die Tür hämmerte, bekam ich einen heillosen Schreck.

      Klar, wer da im Flur stand. Schon wieder. Der Vater von Friedel gab keine Ruhe.

      »Aufmachen! Polizei!«

      Wir sahen uns an.

      Paul zog geistesgegenwärtig die Decke über den Kopf und machte sich möglichst flach. Während ich selbst aus dem Bett sprang und die Tür aufsperrte, bevor das ganze Haus mitbekam, was hier vor sich ging.

      »Guten Morgen, die Herren!«

      Nun, die Sache würde für mich nicht straffrei ausgehen. War mir sofort klar, als der Beamte die Decke zurückschlug. Paul zählte gerade 15 Lenze.

      Erst dachte ich, sie hätten nun gefunden, wonach sie suchten, doch während Paul in seine schäbigen Klamotten kroch, sahen sich die Beamten zum wiederholten Mal gründlich bei mir um.

      Fanden nichts.

      Hätten aber den nackten Schädel von Friedel entdecken können.

      Ich wusste das natürlich. Schweißgebadet sah ich zu, wie sie in alle Ritzen guckten.

      Den vom Fleisch befreiten Kopf …

      Sie zogen ab, nahmen Paul mit, der nun kein Frühstück bekommen würde.

      Na ja. Sie würden mir nichts Unrechtes nachweisen können. Wir hatten natürlich längst abgesprochen, was auszusagen wäre, damit wir beide auf freiem Fuß bleiben würden. Wenn jeder nur so vor sich hin wichste, war das nicht strafbar. Also … Den Schädel brachte ich nach Stöcken und beerdigte ihn in einem frischen Kindergrab. War ich ihm schuldig. Ich weiß schließlich, was sich gehört.

      9. Kapitel

      1924 im Juni

      »Proviant!«, verkündete Frau Lamm und stellte ein gut geschnürtes Päckchen auf den Tisch.

      Wuschelte im Vorbeigehen durch die Haare ihres Sohnes.

      »Solltest du nicht noch zu Heidrun? Die Haare sind doch viel zu lang. Vielleicht schiebt sie dich dazwischen, dann ist es schnell erledigt. Ich könnte auch …«

      »Aber nein!« Theo versuchte, die streichelnde Hand abzuschütteln. »Die bleiben so.« Er deutete auf die Verpflegung und bedankte sich artig.

      »Ich habe euch einen Kuchen gebacken. Aus Rührteig. Der hält sich ein paar Tage und feuchtet nicht durch. Im schlimmsten Fall gibt’s Krümel zum Kaffee. Und Brot habe ich auch gebacken. Das reicht für die erste Zeit.«

      »Und ich steuere Wurst und Käse bei!«, rief Ludwig fröhlich und trat in die Stube. Stellte ein zweites Paket auf den Tisch. »Einer meiner Onkel ist Metzger, der wollte uns gern etwas mitgeben und meine Großmutter hat den Käse rausgerückt. Den macht sie noch immer selbst. Der ist richtig gut.«

      »Aber kein Harzer, oder? Sonst müsst ihr den gleich extra packen. Damit nicht alles andere auch nach Käse riecht und schmeckt.«

      »Nein, keine Sorge, Frau Lamm. Der stinkt nicht. Ist nur unwahrscheinlich lecker.!«

      »Habt ihr beide an warme Jacken und Pullover gedacht?«, wollte die besorgte Mutter wissen.

      »Aber natürlich. Kerzen, Streichhölzer und Decken haben wir auch schon parat gelegt.«

      »Seife habe ich. Und zwei Flaschen, die wir mit Wasser füllen können, falls die Leine mal nicht direkt am Weg liegt.«

      Theo lachte: »Das passt niemals in unsere Tornister und die Tasche für den Träger.«

      »Und wo wollt ihr schlafen?« Theos Vater saß in seinem Sessel, die Beine auf dem Schemel und musterte die beiden kritisch. »Hast du das Zelt wirklich bekommen? Ehrlich gesagt, ihr seht beide nicht aus, als wäret ihr an das Schlafen unter freiem Himmel mit Blick in Baumkronen gewohnt. Was, wenn wilde Tiere euch besuchen, wenn es tagelang regnen sollte?«

      »Das Zelt habe ich, es ist ein großes Paket. Ich dachte, wir könnten den Radanhänger von Walter nehmen. Steht der noch hinten im Schuppen? Da kriegen wir eine Menge rein.« Theo war aufgesprungen.

      »Nein. Da steht er nicht. Ich dachte mir schon, dass ihr den brauchen würdet. Jakob hat ihn für euch überarbeitet. Die Reifen haben Luft, die Bretter sind alle wieder fest. Rost ist auch ab. Er wartet vor der Tür auf euch.«

      Tatsächlich. Jakob, der Lehrbub, stand dort, griente breit und hielt den Anhänger an der Deichsel.

      »Na, nu kann sie losgehen, die große Reise. Alles fest. Die Schrauben nachgezogen, die Reifen dicht«, verkündete er nicht ohne Stolz.

      »Vielen Dank, Jakob. Das ist großartig!« Die Freunde inspizierten den kleinen Holzkasten und kamen überein, dass sie ihn wechselseitig ziehen würden. Das Zelt war nicht ganz leicht – aber der Proviant würde sich selbstredend aufzehren. Alles kein Problem.

      Theo schob ihn ein Stück. »Quietscht. Das macht uns verrückt, wenn wir dem stundenlang zuhören müssen.«

      »Hab ich schon bemerkt«, erklärte Jakob und zog ein Fläschchen Öl aus der Tasche. »Das tröpfel ich noch drauf. Dann ist Ruhe. Aber die Flasche nehmt ihr besser mit.« Er kümmerte sich sofort darum, zog den Anhänger ein paarmal hin und her. Das Geräusch war verschwunden.

      »Hier.« Damit drückte er Ludwig das Öl in die Hand. »Aber an einen sicheren Platz stellen. Wenn es ausläuft, ist eure ganze Kleidung auf ewig hin!« Dann kehrte der junge Mann in die Werkstatt zurück.

      »Na, dann fangen wir gleich an mit dem Einpacken, und los geht’s!«, freute sich Ludwig und klatschte doch tatsächlich in die Hände, wie er es zu Schulzeiten schon immer getan hatte.

      Theo lachte laut. »Und ich dachte, du bist schon so erwachsen!«

      »Nur manchmal!«, gab der andere gutmütig zurück. »Um die Leute zu täuschen!«

      Sie holten die großen Gepäckstücke, stapelten die Vorräte vorsichtig und banden das Öl in einer Ecke fest, damit es nicht umkippen konnte.

      »Weißt du was?«, Ludwigs Wangen waren gerötet, seine Augen leuchteten voller Tatendrang. »Das wird der schönste Sommer unseres Lebens!«

      10. Kapitel

      1924 Presseclub Falkennest

      »Schon wieder solch ein grausiger Fund! Diesmal gleich zwei!«

      »Ja, habe ich auch gehört. Ist ein wenig unheimlich! Aber die Polizei wiegelt noch ab. Friedhofsschändung käme infrage. Oder die Köpfe von in die Leine geworfenen Typhusopfern. Na, das mag ich ja nun wirklich nicht glauben.« Hans schüttelte den Kopf. »Meines Wissens wurden die alle richtig bestattet.«

      »Im Mittelalter, bei einem Pestausbruch, kam es auch zu unorthodoxen Entsorgungen der Toten«, erinnerte der Pirat die Kollegen. »Da gab es nur wenige, die freiwillig die vielen Toten zusammensammelten, um sie in Massengräber zu legen. Da mag so was schon vorgekommen sein. Aber doch nicht bei Typhus im 20. Jahrhundert!«

      »Die Leute auf der ›Insel‹ reden von Mord.«

      »Das tun sie schon länger. Die gruseln sich gern.«

      »Aber nun ist es ihnen ernst. Manche denken, es gibt einen auf der ›Insel‹, der Jungs fängt und nach Afrika verschachert. Wenn von denen einer nicht wollte? Sich herzhaft und entschlossen gewehrt hat? Dabei zu Tode kam?« Hans legte die Stirn in dicke Falten.


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