Haus im Grünen II. Ernst Friedrichsen
Peter, du lebst noch?«
»Darf ich vorstellen? Meine Schwester, Margot. Sibylle, meine Freundin.«
Die beiden Frauen gaben sich artig die Hand.
Sibylle druckste ein wenig herum. »Ich habe da auch gleich eine peinliche Frage. Kannst du mir eine Hose borgen?«
»Aber selbstverständlich. Peter, magst du die Pferde in die Box bringen? Komm mal mit.«
Sibylle folgte gehorsam.
»In welche Box sollen die Gäule?«
»Stell dich nicht an. Es sind Mädchen in den Ställen, die können dir helfen.« Margot schüttelte den Kopf. »Der hat sich auch nicht verändert. Pferde sind nicht sein Ding. Komm, Sibylle, wir machen Modenschau.«
Sibylle stand vorm Spiegel und betrachtete das Beinkleid mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.
»Was bedrückt dich? Stress mit Peter?«
»Wie kommst du denn nun auf den Gedanken?«
»Ich bin Kindergärtnerin. In den Gesichtern der Kleinen sehe ich, wenn es denen nicht gut geht. Wie sie sich fühlen ist an ihrer Mimik abzulesen. Dein Lächeln ist nicht rund. Es müsste bis in die Wangen gehen, es hört aber schon in den Mundwinkeln auf. Das sagt mir, dass du Sorgen hast, die du nicht zugeben möchtest. Der Spiegel lügt nicht.«
Die beiden hatten Blickkontakt über den Spiegel.
»Nein, alles in Ordnung.«
»Na komm, mach mir bitte nichts vor. Ich bin da, wenn du reden möchtest.«
Sibylles Unterlippe zitterte ein wenig. »Ich habe bereits einen, der mir zuhört, aber danke für dein Angebot.« Sie drehte sich zu Margot um.
»Bist du mal geritten?«, fragte Margot.
»Wie kommst denn darauf?«
»Wie du stehst … eigentlich haben nur Reiter eine so aufrechte Körperhaltung, der Durchschnitt steht wie ein krummes Würstchen. Und deine Schenkel sind kräftiger als bei Nicht-Reitern« Margot reichte ihr noch eine Hose. »Wollt ihr heiraten?«
»Wenn es nach Peter ginge gestern. Zweimal hat er mich schon gefragt. Ich brauche Zeit. Ich habe in den letzten Wochen Dinge erlebt, die verdaut werden wollen. Im Moment habe ich Unordnung im Kopf. Wenn das sortiert ist, habe ich Raum für die Zukunft. Dann ist da noch unsere Arbeit … als Ehepaar können wir nicht zusammen in den Einsatz, das würde die Sicherheit des Partners gefährden. Einer müsste in eine andere Schicht. Aber wenn wir uns nicht sehen, fehlt uns was.«
»Wie gesagt, wenn du reden möchtest: ich bin da! Wie ist es? Wie fühlt man sich, wenn man so vom Altar geraubt wird? Das stelle ich mir als Operette vor. Es stand in allen Zeitungen.
Große Schlagzeile: Braut aus der Kirche entführt, dem Bräutigam entrissen. Ehe vor dem Altar verhindert. Dass ihr das wart ist irgendwie aufregend, das hätte ich meinem Bruder gar nicht zugetraut.« Margot machte es sich auf dem Bett bequem.
Sibylle setzte sich neben sie. »Es war ein Gefühl, das kann man nicht beschreiben. Der Puls war schon hoch wegen der Feier selbst. Dann dieses Nein, das durch die Kirche hallte. In dem Moment schoss der Puls in die Höhe. Die Zeit schien still zu stehen. Es war der Punkt, an dem sich meine Welt auf den Kopf gestellt hat. Ja, wir werden heiraten, aber von Vernunft gelenkt, nicht überstürzt.«
»Ist Peter auch so geduldig?«
»Nein, der drängt. Aber er ist Realist genug, um zu verstehen – Eile ist keine Brücke, sondern eine Krücke, würde mein Opa gesagt haben. Ich finde deinen Bruder putzig, so zielorientiert er im Beruf ist, so ungeschickt ist er in kleinen Dingen. Wenn er die Mine eines Kulis wechselt, ist das eine Beobachtung wert.«
»Ja, das kenne ich. Schon als Kind war er in kniffeligen Dingen nicht zu schlagen. Einen Nagel in die Wand zu hauen, das hat Daumen gekostet – der Nagel hat es immer überlebt.«
Die beiden kamen von einem zum anderen. Mit beiden Händen an der Fessel gehalten, sah Sibylle Margot an, voller Vertrauen zu einem Menschen, den sie nicht kannte. Dass die Körpermerkmale von Margot sowie die Gesichtszüge mit denen von Peter korrespondierten, war ihr nicht bewusst, aber der Einfluss auf ihr Vertrauen war deutlich.
Sibylle schaute auf ihre Hände, dann zu Margot. »Ich war öfter verliebt, zumindest dachte ich es. War dann aber doch nur falscher Alarm. Bei Peter ist es ein Nervenbrand. Als wir uns das erste Mal begegneten, berührte nur sein kleiner Finger meine Hand. Es war wie eine Infektion.« Sibylle sah auf ihre Hand und rieb mit der anderen darüber. »Bei der zweiten Begegnung ist die Krankheit ausgebrochen, bei uns beiden zugleich. Die Liebe ist dabei die Vernunft zu verbrennen. Ja, wir werden sicher heiraten, aber alles zu seiner Zeit. Es ist nicht einfach nur Liebe, mir fehlen die Worte, um es zu beschreiben. Er ist ein Teil von mir und das ist erdrückend. Ein Überborden der Gefühle dieser Art ist mir fremd. Verstehst du mich?«
Margot legte ihre Hände auf Sibylles, sah sie eine Weile an. »Ich habe auch meine Lieben gehabt. War von dem einen oder anderen begeistert, waren dann aber nichts für den Alltag. Ihr beide seid füreinander bestimmt. Auch wenn ihr nicht mehr in derselben Schicht arbeiten werdet, es ist bei anderen das Gleiche. Das ist Ehe nun einmal. Nicht nur Honig, auch Pfeffer.«
Sibylle stimmte nickend zu, senkte den Kopf zugleich – Margot sollte nicht sehen, dass sich eine Träne ihren Weg suchte.
»Möchtest du reiten?«
»Ich habe als Schulmädchen in der Reithalle mein Taschengeld aufgebessert, bin wohl deshalb in die Reiterstaffel gegangen, von da weiter zur Kripo. Es ist bestimmt zwei Jahre her, dass ich auf einem Pferd saß. Ja, mal sehen, ob ich mich noch halten kann.«
Sie gingen über den Hof zur Halle.
»Möchtest du ein Sanftes oder eines, das Leben hat?«
Etwas zögerlich sagte sie: »Kann ruhig etwas lebhaft sein.«
Margot rief einem Mädchen zu, sie solle Lausbub satteln und in die Halle bringen.
Als das Pferd in die Halle geführt wurde, bäumte es sich auf und zog am Zügel, sodass es kaum zu halten war.
Sibylle trat von vorne an das Pferd heran, sah ihm in die Augen und sprach ganz behutsam auf das Tier ein – es richtete die Ohren nach vorne. Dann kontrollierte sie noch einmal Zaumzeug und Sattel. Zu dem jungen Mädchen sagte sie: »Hat nichts mit dir zu tun, nur Gewohnheit und der Sicherheit wegen.«
Das Mädchen lächelte und übergab die Zügel.
Mit einem Schwung saß Sibylle auf dem Rücken des Tieres, das sofort beweisen musste, wer der Stärkere war. Aber Sibylle behielt die Ruhe und die Oberhand. Ohne wildes Peitschen, nur mit Einfühlung gelang es ihr in wenigen Minuten, das Vertrauen des Pferdes zu gewinnen.
Margot sah das junge Mädchen an. »Die kann ja richtig reiten, da können wir noch was lernen, alle Achtung.«
Peter hatte sich auf die Tribüne gesetzt. Er hatte die Frauen in die Halle gehen sehen.
Seine Mutter gesellte sich zu ihm. »Na, ist sie das?«
»Ja, das ist sie. Ist sie nicht eine schöne Frau?«
»Geschmack hattest du schon immer. Und die hast du aus der Kirche geraubt?«
»Ja, verrückt, oder?«
»In gewisser Weise beeindruckend. Und es muss die große Liebe sein, denn du hast schon öfters Mädchen mit nach Hause gebracht, aber beim Reiten zugesehen hast du nie. Das ist doch nicht etwa Lausbub den sie reitet? Dass sie den bändigen kann … alle Achtung. Sie hat eine stabile Haltung, den Rücken gerade … sie kann richtig reiten. Hat sie das beruflich gemacht?« Sie sah Peter an. »Das Essen ist fertig, kommt ihr dann zu Tisch?«
»Dass sie reiten kann, wusste ich nicht. Ich weiß vieles nicht von ihr, scheinbar kenne ich diese Frau nicht.«
»So, wie du sie betrachtest, hat es dich voll erwischt.«