entre dos tierras. Peter Geipel

entre dos tierras - Peter Geipel


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Flugzeug stürzt in das World Trade Center, ein zweites Flugzeug stürzt in den zweiten der Twin Tower. Ein drittes stürzt auf das Pentagon, ich kann es nicht fassen. Ich zappe von Sender zu Sender. Es mischen sich die französischen Sender unter die deutschen Sender, die deutschen unter die französischen. Das Deutsche mischt sich unter das Französische. Was ist das mit dem Europa? Ich sitze in meinem Wagen, fahre quer durch Europa und kann nicht einmal Informationen in deutscher Sprache empfangen. Verflucht sei das Europa. Oder liegt das gar an meinem Radio? Was ist das mit dem Fortschritt? Was ist das mit der Zukunft, schießt es durch meinen Kopf. Es wird jetzt immer schwieriger, einen Sender klar zu bekommen. Ich ändere den Sender auf Langwelle. Nur spärlich kommt ein Sender durch, ganz schwach und ziemlich weit weg, aber ich kann wenigstens noch, wenn auch nur schwach, die deutsche Sprache hören.

       Stopp, wie, was? Ich verstehe nicht

      Die nächsten Nachrichten es ist nicht zu fassen. Stopp, wie? Was? Ich verstehe nicht. Das kann doch nicht sein. Oder doch? Zwei Flugzeuge vom Typ Boeing 767 rasten in das World Trade Center und ein Flugzeug, eine Boeing 575, in das Pentagon und ein weiteres Flugzeug, eine Boeing 575, ist in Pennsylvania abgestürzt. Das scheint mir jetzt aber eine gewaltige Nummer zu sein. Jetzt, so langsam, fangen die Meldungen an, sich zu überschlagen. Nach der etwas ruhigeren Phase der Zurückhaltung mit den Informationen geht jetzt so richtig die ganze Maschinerie der Information in Gang. Es prasselt so richtig los, es prasselt und trommelt Gedachtes vor sich hin. Es ist eine wahre Schlacht. Es fällt mir auf, dass kein Zusammenhang zwischen all den Meldungen hergestellt wird. Wie groß ist eigentlich das World Trade Center (417 und 415 Meter)? Wie groß ist eine Boeing?

      Langsam dringt in meinem Hirn nach vorne: Da müssen wohl auch noch Menschen dringesessen haben. Die Musik hat sich jetzt geändert, sie ist viel ruhiger geworden, der ganze aufgeregte Pop-Kram ist mit einem Mal verschwunden. Es wird da von Liebe gesungen und von Frieden. Jetzt setzten sie den Dämpfer drauf, denke ich. Das ruhige Dämpfer-Gedudele geht mir ganz schön auf die Nerven.

      Der Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten, Jürgen Offenbach, hat einmal zu mir gesagt, als ich sein neues Zuhause besichtigte, was in einem Jumbo möglich ist, muss doch auch in so einer Wohnung möglich sein. Er zeigte mir gerade die Winzlings-Gästedusche und die Winzlings Gästetoilette im oberen Stockwerk. Tatsächlich hat das Format der langgestreckten, doppelstöckigen Wohnung das Format eines Jumbos einschließlich des Obergeschosses, in dem sich sein Büro befindet. Das ist enorm. Das hat was von Größe.

      Zwischen den Songs werden vage Vermutungen laut. Es könnte sich um ein Attentat handeln. Es ist nicht zu fassen. Immer wieder schießen Gedanken durch meinen Kopf. Wer macht das, und warum? Es gibt wieder Krieg. Mein Gott, was ist nur los?

      Quelle horreur! Qu’est-ce qui s’est passé?

      Jetzt ist es schwierig geworden, die Langwelle klar durchzubekommen. Die Informationen setzten langsam aus. Ungefähr 100 Kilometer liegen noch vor mir, bis ich Paray-le-Monial erreiche. Hoffentlich reicht es zu den 20.00 Uhr Nachrichten im Fernsehen. So bekomme ich wenigstens die Bilder mit, der Rest der Sprache, der lässt sich schon finden. Ich finde meinen Weg nicht mehr, alles neu, völlig neue Straßen, Auffahrten, Abfahrten, vierspurig, auf einmal überall Leitplanken, wo eben noch die gemütliche Rue Nationale gewesen ist, ist jetzt eine hochmoderne, vierspurige Anlage entstanden. Europa lässt grüßen. Ich verliere völlig die Orientierung, die alte Rue Nationale hat sich völlig verändert.

      Vier Flugzeuge sind in so kurzer Zeit hintereinander verunglückt. Das ist aber ein merkwürdiger Zufall. Warum hat sie denn niemand zurückgehalten? Auf dem Radar hätte es doch auffallen müssen. Da sitzen hochbezahlte Menschen an den Geräten und keinem fällt auf, dass sich da eventuell eine Katastrophe anbahnt. Die Wahrzeichen der USA stehen im Fadenkreuz und keinem fällt was auf? Niemand merkt etwas? Nicht das geringste bisschen? Sonderbar! Die Luftkontrolle ist doch sonst die beste von allen. Die Lotsen an den Bildschirmen beobachten doch jedes Flugzeug und dessen Rute ganz genau. Bei der geringsten Auffälligkeit nehmen sie mit den Maschinen Kontakt auf und begleiten sie, damit es zu keinen Kollisionen kommt. Warum ist das hier nicht passiert? Selbst die Höhe der Flugzeuge wird kontrolliert. Wenn ein Flugzeug in 10.000 Meter Höhe seinen Kurs ändert und rapide an Höhe verliert, das soll niemand bemerkt haben? Das fast zeitgleich bei vier Flugzeugen? Es gab keine Landeerlaubnis oder so etwas, die das rechtfertigen könnte? Wenn ein Flugzeug einer Grenze zu nahe kommt, ohne autorisiert zu sein, dann sind die Abfangjäger innerhalb von zehn Minuten in der Luft und kümmern sich darum, was da los ist. Im schlechtesten Fall wird das Flugzeug abgeschossen, wenn es nicht angemessen reagiert. Es gibt eine Sicherheitszone über dem Pentagon! Es ist der Hauptsitz des amerikanischen Verteidigungsministeriums.

      Charollais, das müsste doch eigentlich da vorne sein, ich finde es nicht. Ein sicheres Zeichen war immer ein kerzengerades Stück der Rue Nationale mit dem Einsetzten der Dunkelheit, ich bin ja mehr oder weniger immer um dieselbe Zeit an dieser Stelle. Um diese Zeit kann man schon etwa drei Kilometer vorher einen neonleuchtenden Charollais-Bullen erkennen. Das gilt immer als sicheres Zeichen, es gleich geschafft zu haben.

      Aber das muss doch hier irgendwo sein. Gott sei Dank ist es noch etwas heller als sonst. So kann ich mich wenigstens etwas orientieren. Verdammt noch mal. Es müsste doch eigentlich viel tiefer liegen, ahh, jetzt geht’s runter, immer wieder und wieder, ein neuer Rond-Point - so sehr ich diese Rond-Point liebe, einer nach dem anderen. Aber langsam werden es zu viele. Ich bin falsch. Charollais liegt direkt an der Rue Nationale, das kann ich doch nicht verfehlen. Die lange Auffahrtsstraße geht direkt von der Rue Nationale ab. Verflucht. Europa? Nein. Ein bisschen nein. Wo ist das? Charollais. Wo ist mein liebes, kleines Hotel? Auch wenn es dunkel ist, den grünen Neon leuchtenden Charollais-Bullen auf dem Holzschild kann man doch schon weit entfernt gut erkennen. Jetzt geht es aufwärts, das kann schon gar nicht sein. Der Kanal liegt doch unten. Jetzt wird’s völlig falsch. Ich drehe um. Schon wieder verfluche ich das neue Europa. So ein Mist. Ich trete auf das Gaspedal und fahre irgendwohin - direkt nach Paray-le-Monial hinein. Ich muss irgendwie nach unten kommen zum Kanal. Von dort aus kann es nicht mehr weit sein, von dort aus finde ich mich schon zurecht. Jetzt drängt die Zeit. Zurück - wieder all diese Rond-Point, Rond-Point, Rond-Point - ich liebe sie, diese Rond-Point, flugs rein und wieder raus, rein und wieder raus und flugs rein und wieder raus. Kein Warten, keine Ampel, kein Strom, kaum ein Schild. Rein und wieder raus. Ganz schlicht und einfach. Drinnen, der hat Vorfahrt und Ende der Durchsage. Keiner muss jemals lange warten. Das ist endlich mal ein richtig schöner voreuropäischer Rond-Point-Gedanke. Wunderbar und herrlich in seiner Schlichtheit und in seiner einfachen Gangart.

      Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Vor mir ein Clio, zu langsam für mein Vorhaben. Wieder trete ich kräftig das Gaspedal durch, überhole, obwohl ich über dem hohen Gras schon erkennen kann, dass mir einer entgegenkommt. Ich wage es trotzdem, durchhalten, die Nerven behalten, ruhig bleiben und ordentlich das europäische Gaspedal durchtreten, oh, der kommt aber schnell, runter schalten, los, gib Gas, oh man, puh, geschafft.

      Nur irgendwie zurück. Oh man. Auf diese neue Straße. Da. Da ist sie, endlich, jetzt aber los. Ich bin wieder auf der neuen Rue Nationale. Da ist eine Ausfahrt. Das Schild - ich erkenne es nicht richtig, denn ich überhole gerade einen ziemlich langen Brummi, genau an dieser Stelle verdeckt er das Schild. Zu spät. Vorbei, das wär’s gewesen, die Ausfahrt. Nein, bitte, das darf doch nicht wahr sein. Oh bitte, das jetzt nicht auch noch. Das war doch eben schon genug Verirrung. Ich schaue nach links. Yes that’s it. Das wär’s gewesen. Da unten liegt Charollais. Das große Holzschild ist nicht zu übersehen. Die lange Auffahrt mit dem weißen Rangerzaun, die Trauerweide, der See, in der Mitte der hohe Springbrunnen. Jetzt bin ich vorbei. Ah, nein, ich glaub es einfach nicht. Ich schaue auf die Uhr - viertel vor Acht. Es hätte alles so gut klappen können - nächste Ausfahrt, dann raus und zurück. Endlos scheinen mir die Kilometer. Mein Gott, wie lange geht denn das jetzt noch, bis endlich die nächste Abfahrt kommt?

       Gedanken jagen durch meinen Kopf

      Gedanken jagen durch meinen Kopf, Krieg, Zerstörung, Leid, Religionen, die Abfahrt, wann kommt sie denn nun endlich? World Trade Center, Pentagon, Pennsylvania. Da ist was Großes im Gange, was ganz Großes. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Die Zeit scheint aufgehört haben zu laufen, so langsam läuft sie jetzt. Aber endlich


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