entre dos tierras. Peter Geipel

entre dos tierras - Peter Geipel


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tiefste Stille der Stille, endlose Zeit, die zärtlich in eine tiefe Sinkstille nahtlos übergeht. In die sinkstillste Sinkzeit, der Sinkzeit - endlos und wunderbar, wunderstill, wundersinkstill. Da pikst kein Stückchen Stroh in meinem Schuh, auch keine Dornen piksen die sanfte Haut, es liegt auch kein Schafsmist herum, der die Hose hätte dreckig machen können, die blaue Jeans, Grasflecken gibt es hier oben auch nicht. Da reibt kein Fels die Haut mehr wund, das Knie reibt sich auch nicht mehr wund – so still ist es hier, ganz still - eine endlose, unendliche große und mächtige, helle Stille breitet sich da aus, hellgelb und hellblau, hellrot und rosarot, lilarot und purpurrot.

      So viel Stille auf einmal, dass stille Töne auftauchen, seltsam stille Töne, sonderbare, nie gehörte Stillentöne - sie tauchen einfach auf und so einfach, wie sie seltsamerweise aufgetaucht sind, verschwinden sie wieder. Töne schwellen langsam an, langsam - bunte Töne - bunte, bunte Töne, die manchmal in schneller Folge erklingen, manchmal in ganz langsamer Folge, erklingen sie, und die schnellen, bunten Töne mischen sich mit den langsameren Tönen zu einer richtigen Komposition. Sie breiten sich aus und legen sich einfach in die Landschaft, einfach so. Es breitet sich ein richtiges Oratorium, ein Gloria Oratorium in der Landschaft aus. Es füllt jeden Raum, es schwillt aus dem Nichts herauf zu einem großen Orchester, fast barock, manchmal gotisch, blüht auf und dann verhallen sie wieder im Nichts, verklingen langsam wieder in der lauten Stille des Nichts, bis die Schafe mit ihren hellen, klaren Glöckchen die Führung wieder übernehmen.

      Große Stille, langes, langes Schweigen, endloses, zeitloses Schweigen, zeitloses Sinkstillschweigen und dann plötzlich geht es da doch noch weiter den Berg hinauf, einen Weg, den ich zuvor noch nie gesehen hatte, ich steige doch noch etwas höher den Berg hinauf, es geht tatsächlich doch noch etwas weiter und weiter, es geht sogar so weit hinauf, bis ich unten fast nichts mehr erkennen kann, fast nichts. Das irdische Geschehen da unten ist so klein geworden, dass es sich fast zur Bedeutungslosigkeit verloren hat. So weit oben bin ich jetzt angekommen.

       Auf nach Biarritz - Mariposas

      Ich werde durch etwas gestört - eine sanfte Stimme. „Auf nach Biarritz - nach Biarritz. Nach Biarritz! Nach Biarritz ist es nur einen Katzensprung.“ Das Café, in dem ich mich wiederfinde, ist zypressig, es ist viel zu zypressig gerahmt. Ein gemütliches Zypressen-Straßencafé an einer fast menschenleeren kleinen Dorfstraße mit einem Kellner, der sich für diese Jahreszeit etwas zu langsam bewegt. Er lässt Andra und mich einfach sitzen und warten. Nicht das normale Warten, das gebührliche. Der gemütliche Sich-Wohlfühl-Warte-Moment, der an dieser Stelle auf unerhörte Weise überdimensional ausgeweitet wird, so, dass wir uns fast schon lächerlich vorkommen in dieser Wartezeit. Das Café ist bis auf uns menschenleer. Es gibt also keinen Grund, uns nicht zu bedienen nach einer kleinen Wohlfühlpause. Dieser Schuft. Der schuftet sich gar nicht mehr ab. Der septembert sich ab. Dieser blöde Schuft, der blöde. Statt dass er sich abjunit oder abjulit, flott, flott, hopp, hopp, mit dem Junigemünzel oder dem Juligemünzel, nein, was macht der, er quatscht Gethektes mit seinen Kollegen und septembert sich ab. Der blöde Kerl, der blöde. Wir überlegen zu gehen, aber Andra kann so schön in mein Gesicht lachen, dass es mir leichtfällt, über dieses unerhörte, ignorierende und unverschämte Verhalten über das Wohlfühlmoment hinaus die Zeit des Wartens zu genießen. Ich genieße den lauen Septembernachmittag und den leeren Tisch vor mir in vollen Zügen. Andra scheint es mit mir zu genießen, denn sie macht es mir leicht, Hellgelb und Zitronengelb und auch ein helles, helles Blau. Engelsleicht gestaltet sie den Moment. Ach, da ist ja doch noch eine Bedienung, ein Kellner, aber was für einer. Kommt der doch dermaßen überheblich und abfällig daher, dass ich am liebsten in Grund und Boden versinken sollte, so toll ist der Septemberkerl. Dieser nebensächliche, strafende, abfällige, strenge Blick, das ist doch die Höhe, der Gipfel des Unverschämten und Geringschätzigen. Ein typischer Biarritzer Septemberkerl ist das. Eigentlich ist mir jetzt die Lust auf den Espresso bereits vergangen, aber Andra kann mit dieser eigentlich unmöglichen Situation sehr gut umgehen. Denn ihr Wesen ist auf solche Situationen gut vorbereitet. Wir trinken trotzdem genüsslich unseren wohlverdienten, schwer und leicht erwarteten September-Espresso in dem kleinen Zypressen-Straßencafé in der lauen Luft und verlassen es anschließend schweigend.

       Sie wagt sich weit hinaus in das Septemberwasser

      Biarritz, Spanien

      Der Strand von Biarritz ist felsig und sandig zugleich. Das Septemberwasser strömt heftig auf das Land zu. Andra wagt sich weit in das Septemberwasser hinaus, zu weit für mich. Der Wind ist zu laut, das Gebrause des Wassers ist zu laut, aber wir können den braun gebrannten Mann in den kurzen Hosen aus dem weißen Holzhäuschen auf den Strand laufen sehen, und die Trillerpfeife ist nicht mehr zu überhören. Ich rufe: Andra, Andra. Der Lärm des Wassers und des Windes ist zu laut, als dass sie mich hören kann. Sie blickt zurück und lacht mich an, breitet die Arme nach oben aus, was ist? Andra läuft im knietiefen Wasser weiter hinaus. Andra läuft weiter in das Septemberwasser hinein. Mir fällt es schwer, meine Füße zu bewegen, die Kraft des Wassers ist zu stark, als dass ich es als ein gemütliches Septemberbaden nennen kann.

      Das Wasser zerrt an meinen Füßen hin und her. Der schwarz-weiße Badeanzug verschwindet im Septemberwasser. Der Trillerpfeifenmann pfeift mich zurück, ich bin ihm dankbar, weil die unbändige, drohende, ziehende Kraft, die an mir zerrt und zieht, endlich nachlässt. Andra ist verschwunden. Der Delfin ist verschwunden. Der Delfin weiß sich im kräftigen Wasser zu bewegen, denke ich. Er ist fort, rosarot und hellblau, sonnengelb und hellgrün. Ich mache mir Sorgen und bin ängstlich. Einige Meter neben mir taucht der Delfin wieder aus dem kräftigen Wasser auf und lacht mir entgegen. Ça va. Sie nimmt mich in die Arme und küsst mich auf den Mund. „Wenn du die Strömung kennst, hast du keine Angst mehr vor dem Ziehen und Drücken. Komm, komm, probier es.“ Der Delfin schwimmt noch einmal hinaus und kommt zurück, mit Leichtigkeit. Mir bleibt schier das Herz stehen über solchen Mut. Aber ein Delfin kennt keinen Mut, er kennt nur die Strömung. Ich kenne die Strömung noch nicht, aber ich bin auch kein Delfin. Deshalb verlasse ich mich lieber auf das sichere Sandige. Es zieht und drückt. Es reißt mir schier die Beine weg. Ich kann mich kaum noch halten.

      Und wieder ist der Delfin hinausgeschwommen. Der Trillerpfeifenmann läuft nervös am Strand herum. Er nimmt sein Fernglas in die Hand und guckt. Aber es ist nichts zu sehen von dem schwarz-weißen Badeanzug. Wo ist der Delfin hin? Ah, da ist er wieder, aufgetaucht, plötzlich und so nah.

      Wir legen uns nach dieser Aufregung auf unsere Handtücher und ruhen uns ein wenig aus. Ich lege vorsichtig meinen Arm auf ihren Rücken, es fühlt sich schön an. Die leicht angewärmte Haut, ab und zu ein Sandkorn; doch ein kleines Sandkorn kann diese schönen Sekunden nicht zerstören. Sie ist eingeschlafen, wahrscheinlich hat sie nicht einmal meinen zärtlichen Anflug bemerkt, denn er war zu flüchtig und zu vorsichtig, als dass sie ihn hätte bemerken können.

       Ein getrocknetes, leicht eingerolltes Ahornblatt

      Villefranche-sur-Mer, Frankreich

      Uff, ich wache auf, mir ist plötzlich warm geworden, so warm, dass ich aus meinen Träumen aufgewacht bin, meine Stirn ist nass. Ich fühle mich unwohl, warm. Der Platz neben mir ist leer, es liegt niemand mehr auf dem Handtuch. Ich sehe mich nach allen Richtungen um, aber ich kann Andra nicht sehen, die mit weit geöffneten Armen da steht und mir entgegen lacht. Ach, sie ist sicher wieder im Wasser, der Delfin, aber dort ist auch nichts zu sehen.

      Ich rufe laut: Andra! Mein Schrei verhallt im Nichts.

      Eben liegt Andra in ihrem schwarz-weißen Badeanzug noch neben mir. Jetzt ist der Platz leer. Ich bin das letzte Souvenir hier am Strand, das eben einmal eingeschlafen ist. Langsam realisiere ich, dass ich wohl etwas länger eingeschlafen bin. Ich bin meiner Müdigkeit zum Opfer gefallen. Ich habe mich wohl eingeseptembert in den Schlaf.

      Ach, ich sinke wieder auf mein bunt gemustertes Handtuch zurück. Ich zolle meinem Handtuch noch einmal allen Respekt, dass es das alles so tapfer aushält. Hut ab. Danke, mein allerliebstes, mein bestes, mein schönstes Handtuch aller Handtücher. Fast möchte ich sagen, es ist ein kleines Weltmeisterhandtuch im Aushalten. Ja, weil du das alles aushältst und weil du das alles ausgehalten hast und schon so lange, lange geschwiegen hast, für so langes Schweigen, so, so lange schon, ja dafür


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