Der wilde Weg der Honigbienen. Christoph Nietfeld

Der wilde Weg der Honigbienen - Christoph Nietfeld


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zwischen „Wissen“ und „Weisheit“ dar. Dabei ging es auch um Fehler, die zunächst gemacht werden müssen, und eigene Erfahrungen, die unser Denken und Handeln mindestens genauso prägen wie wissenschaftliche Erkenntnisse.

      Marco Bindelli referierte über einen Paradigmenwechsel: über die derzeit wachsende Erkenntnis, dass sich die Welt nicht allein aus wissenschaftlicher Sicht erklären lässt, und über die Notwendigkeit der Ablösung einer rein materialistischen Perspektive, hin zu einer, die die geistigen, feinstofflicheren Bestandteile der Welt stärker miteinbezieht. Er ermutigte die Kursteilnehmer dazu, ihre Sinne für die Wahrnehmung der Welt und insbesondere der Bienen wieder zu schärfen – weg vom künstlichen, hin zu einem künstlerischen Umgang mit den Bienen und einfach einmal etwas Überflüssiges wegzulassen, etwas, das sich nicht mehr stimmig anfühle – selbst wenn es der „guten (alten) imkerlichen Praxis“ entspräche. Warum nicht eine Richtungsänderung vornehmen, wenn sie überlebensnotwendig sein könne? … Sprich: „Mach dir die Varroa zum Freund!“, denn du wirst sie mit keiner Restentmilbung der Welt ausrotten können. Du und die Bienen, du Mensch im Wesentlichen, du wirst dich mit der Varroamilbe arrangieren müssen. Deutlicher kann das Erfordernis eines grundsätzlichen Wandels in dieser Angelegenheit nicht formuliert werden. Und ich war dankbar, dass Uwe diese Eindrücke mit mir teilen konnte.

      Möglicherweise dürfen wir uns heute von dem Zwang lösen, den vermeintlichen Feind weiterhin mit den härtesten Mitteln bekämpfen zu wollen. Nehmen wir die Varroamilbe stattdessen vielmehr als einen Weckruf wahr und schauen, was wir auf der Seite der Bienen dafür tun können, um diese darin zu unterstützen, eine überlebensfähige Koexistenz mit den Milben zu erreichen. Und ich denke, die Bienen würden dies schaffen, wenn wir sie nur ließen …

      Schlussendlich bestätigte dieser „Spaziergang“ durch die aktuellen Umgangsformen mit der Varroamilbe mein Bauchgefühl, dass ich die Bienen in meiner Klotzbeute nicht diesen Behandlungen aussetzten wollte. Es gab die leise Hoffnung, dass die Bienen auch und gerade ohne die Behandlung der Milbe trotzen könnten, wenn ich sie in Ruhe ließe. Dafür sprachen auch die Tatsachen, dass bei den verschiedenen Möglichkeiten zur Kontrolle des Milbenbefalls erst ab einer bestimmten Anzahl an gefundenen Milben gegen diese behandelt werden muss und dass selbst mit mehreren Behandlungen nicht alle Milben aus einem Bienenvolk entfernt werden können. Somit scheint für die Bienen eine gewisse Anzahl an Milben verkraftbar zu sein, ohne dass sie daran sterben. Fällt dies einem starken Volk leichter als einem schwachen? Nicht umsonst heißt es, dass ein starkes Bienenvolk ein gesundes ist. Das klingt beim ersten Hinhören logisch. Aber was ist ein starkes Volk eigentlich? Was macht es aus? Als ich meine Bienen in den Magazinbeuten hielt, war für mich ein starkes Volk in erster Linie ein großes Volk. Aber ist das auch natürlich? Oder ist mit einem starken Volk eher ein vitales Volk gemeint und spielt neben der Quantität auch die (Lebens-)Qualität eine Rolle?

      Schauen wir uns dazu einige weitere Forschungen an. Nach einer Untersuchung des amerikanischen Bienenforschers Prof. Dr. Thomas D. Seeley bevorzugen Schwärme, die ihre Behausung selbst wählen dürfen, eine Baumhöhle mit einem Volumen von etwa 45 Litern.18 Meine Völker in den Segeberger Kunststoffbeuten hatten im Sommer für gewöhnlich vier Zargen in Anspruch genommen. Das entspricht einem Volumen von rund hundertdreißig Litern. Das ist in etwa das Dreifache. Was ist der Unterschied zum aufgeblasenen Kuheuter einer Hochleistungsmilchkuh? Ich fragte mich, ob ein Volk auch zu groß sein kann und wenn ja, welche Probleme damit verbunden sein könnten. Vielleicht gab es eine Größe, die zu Schwierigkeiten bei der Kommunikation im Volk führte, weil der eine nicht weiß, was der andere tut. Oder es gab Probleme bei der Regulierung des Raumklimas, wenn der Bienenstock zu groß war. Das alles ist schwer zu sagen. Aber ich habe einen interessanten Hinweis in einem Text von dem am Forschungsinstitut des Goetheanum tätigen Molekularbiologen Johannes Wirz gefunden. Er vermutet einen Zusammenhang zwischen der Volksgröße und dem Befall von Varroamilben. Wirz verweist auf Untersuchungen, in denen die Wildvölker, die gegen die Milben tolerant erschienen, stets kleiner waren als die behandelten Kontrollvölker und weniger Brut aufzogen. Da sich die Milben in der Brut vermehren, führe ein hohes Brutaufkommen auch zu einer stärkeren Vermehrung der Milben. Deshalb sei eine Brutpause, die durch das Schwärmen eintrete, auch so wichtig, damit die Entwicklung der Milbenpopulation unterbrochen werden könne.19

      Die Volksgröße spielte auch in einem Versuch von Thomas D. Seeley eine Rolle. Bei einem Vortrag in der Imkerei Fischermühle berichtete er im Juli 2016 über einen Versuch, bei dem zwölf Bienenvölker in kleinen Beuten sich selbst überlassen wurden und bei zwölf weiteren Völkern die Magazinbeute kontinuierlich vergrößert und der Honig entnommen wurde, wie es in der Imkerei üblich ist. Beide Gruppen wurden nicht gegen die Varroamilbe behandelt und es wurden keine Maßnahmen zur Schwarmverhinderung getroffen. Nach zwei Jahren lebten von den Völkern in den kleinen Beuten noch acht und von den Völkern in den großen Beuten noch zwei. Bei der Kontrolle des Milbenbefalls konnte Seeley nachweisen, dass die Bienenvölker in den großen Beuten im Verhältnis zu der Volksgröße mehr Milben hatten als die Bienenvölker in den kleinen Beuten.20

      Der Versuch zeigt, dass es den Bienen unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist, ohne Behandlung gegen die Varroamilbe zu überleben. Ein in diesem Zusammenhang häufiger erwähnter Versuch wurde auf der schwedischen Insel Gotland durchgeführt. Im Jahre 1999 wurden auf der Insel insgesamt hundertfünfzig Bienenvölker ohne imkerliche Eingriffe sich selbst überlassen. Im Mai 2004 lebten davon noch sieben Völker, Ende 2006 waren es wieder dreizehn. Dabei war die Sterberate von über fünfundsiebzig Prozent im Jahre 2002 in den Jahren 2004 bis 2006 auf zehn bis zwanzig Prozent gesunken.21 Der Versuch hat gezeigt, dass die Bienen sehr wohl dazu in der Lage sind, sich an die Varroamilbe anzupassen. Sicher ist die Sterberate am Anfang sehr hoch, aber die wenigen Völker, die es schafften, sich gegen den Parasiten zur Wehr zu setzen, hatten sich schlussendlich sogar wieder vermehrt. Innerhalb von zwei Jahren verdoppelte sich ihre Anzahl beinahe.

      Eine weitere Forschungsarbeit zum Thema kommt von Martin Dettli. In einem Vorversuch wurden sechs Bienenvölker ohne Varroabehandlung gelassen, von denen ein Volk sechs Jahre lang überlebte. Danach folgte ein weiterer Versuch, bei dem zehn Völker unbehandelt blieben. Hierbei überlebten sieben Völker den ersten Winter und drei Völker den zweiten Winter. Ein Volk überlebte schließlich auch den dritten Winter. Martin Dettli beobachtete dabei, dass sich der Milbenbefall in den Völkern in außergewöhnlichen Lebenssituationen reduzierte. Er nennt diese außergewöhnlichen Situationen „Überlebenssituationen“ und fasst zusammen, dass jede einen Einzelfall darstelle und gleichzeitig Gemeinsamkeiten dahingehend bestünden, die den Zeitpunkt der volkseigenen Sanierung und große Bienenverluste betreffen, die zu einer Kleinvolk-Phase mit Brutpause führen.22 Das ist ein interessantes Ergebnis. Es heißt, ein Bienenvolk gerät in eine Notlage und reduziert z. B. das Brutgeschäft, um Kräfte zu sparen. Dadurch kommt es auch zu einer Stagnation der Milbenvermehrung, weil keine oder nur noch sehr wenig Brut vorhanden ist. Somit konnten die Völker, deren Größe sich drastisch verkleinerte, ihren Milbenbefall reduzieren. Genau diese Völker sind es wahrscheinlich auch, die im Weiteren lernen, mit der Milbe umzugehen. Dr. Werner Mühlen von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen beschreibt es so: „Man kann sich Folgendes vorstellen: Je mehr Milben sich entwickeln, umso höher ist der Parasitierungsgrad der Brut. Jungbienen werden zunehmend geschwächt, ihre Lebenserwartung wird herabgesetzt. Das Volk wird kleiner und kleiner. Irgendwann stellt die Königin das Brutgeschäft ein. Jetzt spätestens löst der Imker dieses Volk auf. Er schwefelt es ab und sagt, seine Bienen seien gestorben. Dabei hat er gar nicht abgewartet, ob sie wirklich sterben. Denn in diesem zusammenbrechenden Volk hat auch die Varroa keine Fortpflanzungschance mehr, sie hat ihren eigenen Lebensraum zerstört. Theoretisch ist es denkbar, dass sich dieses Volk bei ausreichender Nahrungsversorgung und guten klimatischen Bedingungen (u. a. Flugwetter, Jahreszeit) bis zum Winter wieder erholen kann. Die Königin beginnt dann neu zu brüten, wenn Nektar und Pollen eingetragen werden können. Es gibt nur noch wenige Milben im Volk, die sich entwickelnde Brut ist gesund, die Jungbienen sind vital und leistungsfähig. Bevor die Varroamilben wieder überhandnehmen, ist das Volk erstarkt und möglicherweise überwinterungsfähig.“23

      Leider habe ich es früher auch so gemacht und solche Völker vor dem Winter „aufgelöst“, weil ich ihre Überlebenschancen als gering einschätzte. Wenn ich im Frühjahr


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