Wem gehört die Zukunft?. Jaron Lanier

Wem gehört die Zukunft? - Jaron Lanier


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keine nettere Elite vorstellen. Aber das hilft leider nicht. Die einschlägigen Kult-Online-Imperien gelten als sakrosankt. Theoretisch darf man gern bemerken, dass die kostenlosen Online-Dienste nicht so viele Arbeitsplätze schaffen, wie sie vernichten, aber in der Realität halten wir die neumodischen Unternehmen als Beispiele dafür hoch, wie Innovationen die Wirtschaft vorantreiben.

      Das Problem ist umfassend, wir alle sind ein Teil davon. Unabhängig von unserer gesellschaftlichen Stellung können wir uns diesem verlockenden System nicht entziehen, selbst wenn sich dieses System auf lange Sicht selbst zerstört. Wer lehnt schon die schnelle Selbstbestätigung im Netz ab oder ein unglaubliches Schnäppchen, das ein Online-Gutschein bietet, oder auch einen einfach zu bekommenden Kredit für eine Immobilie? Auf den ersten Blick stehen diese Versuchungen in keinem Zusammenhang, aber wenn man Informationssysteme nicht in veraltete Kategorien einordnet, sondern sie als bloße Informationen betrachtet, zeigen sie ihr wahres Gesicht.

      Im Grunde wird man, ohne dass man es bemerkt, quasi erpresst, als Schachfigur im Netzwerk eines anderen zu fungieren. Eine seltsame Art der getarnten Erpressung, denn nach außen hin wirkt das Geschäft verlockend, aber man sieht eben nicht alles, was man sehen sollte.

      Wir waren begeistert von den unglaublich günstigen Krediten, die so einfach zu bekommen waren, aber auf einer irrsinnigen Überschuldung basierten. Wir sind begeistert von der kostenlosen Musik, die durch wahnwitziges Kopieren möglich ist. Wir sind begeistert von den günstigen Preisen im Online-Handel, die von Unternehmen angeboten werden, die früher wie ein nationaler Geheimdienst gewirkt hätten. Diese neueren Spionagedienste arbeiten nicht für unsere Sicherheit, sondern wollen herausfinden, wie man die einzelnen Glieder der Kette dazu bringen kann, möglichst wenig für ihre Informationen zu verlangen. Wir profitieren nicht von den Wohltaten eines gottähnlichen Wesens mit künstlicher, also übermenschlicher Intelligenz. Wir beuten uns nur gegenseitig aus, ohne etwas dafür zu bekommen, während diejenigen, die unsere Informationen sammeln und konzentrieren, sehr wohl etwas verdienen. Wir lieben die kleinen Geschenke, aber irgendwann werden wir feststellen, dass wir damit unseren eigenen Wert herabmindern.

      Auf diese Weise wird die Wirtschaft über kurz oder lang in Schwierigkeiten geraten, obwohl es im System so viel Vermögen gibt und wir eine Zeit der zunehmenden Effizienz erleben. Große Vermögen werden durch das Schrumpfen der Wirtschaft verdient, nicht mit ihrem Wachstum. Das ist nicht das Ergebnis eines hinterhältigen Plans, sondern eine Nebenwirkung der idiotischen Vorstellung, dass die Technologie immer klüger wird und für sich selbst existieren kann, ohne die Menschen.

      Strahlendes Risiko

      Ein Sirenenserver kann Informationen sammeln, um das mit seinem Betrieb verbundene Risiko zu mindern, was ganz einfach bedeutet, dass man das Risiko auf die Gesellschaft allgemein abwälzt, also auf Sie und mich. Amazon bietet dafür ein gutes Beispiel.

      Die üblichen Klagen über Amazon stammen von der Konkurrenz,22 daher ist es ganz natürlich, sie nicht ernst zu nehmen. Doch für eine kleinere Buchhandlung ist die Lage ziemlich ernst.

      Ein »Bot«-Programm in der Amazon-Cloud überwacht den Preis der Bücher, die weltweit verkauft werden, und stellt automatisch sicher, dass Amazon nie unterboten wird. Der Informationsvorsprung bei den Preisen für kleine, lokale Händler besteht nicht mehr. Das führt zu bizarren Ergebnissen, etwa dass manche Bücher bei Amazon gar nichts kosten, weil sie andernorts zu Werbezwecken verschenkt werden.[5] Dadurch werden Sonderangebote für normale, kleine Händler teuer und riskant. Die Informationshoheit eines Unternehmens erzwingt eine Verhaltensänderung in der übrigen Welt.

      Das Gesamtrisiko auf dem Markt bleibt vielleicht unverändert, es ist aber ungleichmäßig verteilt. Die kleinen Marktteilnehmer müssen ein hohes Risiko eingehen, während der Marktteilnehmer mit dem größten Computer ein geringeres Risiko hat. Das Risiko für Amazon wird reduziert – das Unternehmen verliert keinen Käufer, weil ein anderes Unternehmen das Produkt billiger anbietet –, während die lokalen Händler erhöhten Risiken ausgesetzt sind, wenn sie an ihrer eigenen Preisstrategie festhalten.

      Das ist nur ein einfaches Beispiel, wie sich Informationsvorteile zu Geld machen lassen und man seine Machtposition damit ausbauen kann. Alle Beteiligten mit einer weniger globalen Informationsposition sind gezwungen, höhere Risiken einzugehen, während der Beteiligte mit einem besseren Informationsstand das Risiko für sich senken kann.

      Ein Server erkennt bei Ihnen immer mehr als Sie bei ihm

      Das Seltsame ist, dass sich die Buchkäufer ebenfalls Sorgen machen müssen, auch wenn das zunächst gar nicht so einleuchtend ist. Aus Sicht des Kunden sorgt Amazon ja anscheinend für niedrige Preise, was natürlich erfreulich ist. Doch die Sache ist deutlich komplizierter.

      Um die Jahrtausendwende war Amazon in eine Debatte um eine »differenzierte Preisgestaltung« verstrickt. Das heißt im Grunde, dass ein Online-Anbieter von manchen Kunden mehr für eine Ware verlangt als von anderen, beispielsweise von Ihrem Nachbarn.[6] Amazon erklärte damals, das sei keine Diskriminierung, sondern ein Experiment. Man verlange von verschiedenen Menschen unterschiedliche Preise, um herauszufinden, wie viel sie bezahlen würden.

      Amazon steht nicht allein da mit dieser Preisstrategie. Betrachten wir zum Beispiel die Reiseplattform Orbitz, die gegründet wurde, um die Nutzer teurer Computer zu teuren Reisen zu verleiten.[7] Wen sollte das überraschen? Es ist doch ganz natürlich, dass ein Unternehmen einen offenkundigen Vorteil ausnutzt, wenn er sich ihm bietet. Wahrscheinlich gibt es noch viele weitere Beispiele. Kunden beschleicht zwar ein unangenehmes Gefühl, wenn man ihnen diese Praktiken aufzeigt, doch sie sind meistens ganz legal.

      Obwohl im Internet-Zeitalter angeblich alles so transparent und offen ist, fällt den Kunden die Preisdifferenzierung nicht unbedingt auf. Wir können auch nie wissen, in welchem Umfang sie angewandt wird. In einem realen Ladengeschäft würde man es dagegen sofort merken, wenn der Kassierer den Kunden erst einmal mustern und dann entscheiden würde, welchen Preis er zahlen soll.

      Ich erwähne die Preisdifferenzierung, weil sie ein besonders krasses Beispiel ist. Selbst wenn sie nicht oft vorkommen sollte, erhalten gewöhnliche Menschen im Umgang mit Sirenenservern nicht genügend Informationen für eine fundierte Entscheidung. Wenn es nicht die Preisdifferenzierung ist, dann wird eben eine andere Masche angewandt, um das Informationsungleichgewicht auszunutzen. Dafür ist es ja schließlich da.

      Warten auf Robin Hood

      Schön wäre es, wenn zum Ausgleich ein Server für die Kunden aktiv werden würde. Ein solcher Server könnte beispielsweise Preisvergleiche vornehmen, um die Verbraucher auf eine Preisdifferenzierung oder andere Risiken aufmerksam zu machen.

      Manchmal bringt das Internet tatsächlich einen Dienst hervor, der hilfreich ist. Ein Beispiel ist Flightfox,[8] eine Plattform, bei der gewöhnliche Menschen für andere Reisende nach den günstigsten Flügen suchen und bei der Planung schwieriger Reiserouten helfen. In dieser speziellen Nische können die großen automatisierten Reisedienste wie Orbitz nicht mithalten.[9] Ein nicht-automatisierter Nischendienst wie Flightfox kann durchaus wirtschaftlich sinnvoll sein. Das liegt daran, dass der Erfolg nicht darauf basiert, die Welt anhand der allgemeinen Informationshoheit des Servers nachzubilden. Stattdessen besteht ein spezieller, lokaler und begrenzter Vorteil. Das Wort lokal bezieht sich dabei nicht zwangsläufig auf den geographischen Ort. Es kann auch ein Punkt in einer »Energielandschaft« sein. In diesem Fall schafft das speziell menschliche Verständnis komplizierter Reiserouten eine Art lokalen Vorteil.

      Sirenenserver bilden dagegen die Welt nach, weshalb sich ihre Funktionsweise auch nicht mit konventionellem wirtschaftlichen Denken erfassen lässt. Wenn ein großer Cloud-Dienst vorschlägt, er hätte den besten Preis für Sie gefunden, sollten Sie darüber nachdenken, was das bedeuten könnte. Sirenenserver haben Zugang zu ungeheuren Informationsmengen über Sie, über den Verkäufer und über alle anderen in der Kette. Sie bieten Ihnen das Schnäppchen nicht an, weil sie den richtigen Lieferanten kennen oder über eine bestimmte Ecke der Welt ein bisschen besser Bescheid wissen. Nein, sie können Ihnen ein so günstiges Angebot machen, weil sie bei der automatischen Sammlung


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