Im gleißenden Licht der Sonne. Clare Clark

Im gleißenden Licht der Sonne - Clare  Clark


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      Clare Clark

      Im gleißenden Licht der Sonne

      Roman

      Aus dem Englischen von Bernhard Jendricke und Christa Prummer-Lehmaier

      Kollektiv Druck-Reif

      Atlantik

      Für Clare A, in Liebe

      Ich hielt es für geboten, ihm Ratschläge zu geben …

      Ab diesem Moment machte mein van Gogh erstaun-

      liche Fortschritte. Er schien zu erahnen, was in ihm steckte, und so entstanden Sonnenblumen über

      Sonnenblumen im gleißenden Licht der Sonne.

       Paul Gauguin, Avant et après (1903)

      Julius

      Berlin 1923

      I

      Für die Rückfahrt von Paris nahm Julius den Nachtzug. Er schlief unruhig, sein leichter Schlaf wurde vom Pfeifen der Lokomotive und dem Rütteln und Rattern der Räder begleitet. Als er aufstand, war es noch dunkel. Im Speisewagen servierte ihm ein gähnender Kellner eine Tasse dünnen Kaffee. Dieser Waggon war mit seiner Teakholztäfelung und den Schirmlampen alles, was von dem eleganten Nordexpress, der vor dem Krieg diese Strecke befahren hatte, übrig geblieben war. Julius starrte aus dem Fenster. Kein Mond zu sehen. Die vorbeihuschenden Telegraphenmasten schnitten die Schwärze in Rechtecke.

      Ich sollte wütend sein, dachte er, oder sogar traurig, aber er spürte nur die Erschöpfung, die für gewöhnlich einer Niederlage folgt. Seine Ehe war zu Ende, und ihr Schlusspunkt war, wie so vieles, was Luisa tat, geschmacklos und unsäglich banal. Die beiden, stöhnend und ineinander verschlungen in Luisas zerwühltem Bett, ihr blankes Entsetzen, als er das Licht einschaltete. Er gab ihnen eine Minute, um aus dem Haus zu verschwinden, bevor er die Polizei rufen würde. Frau Lang hielt sich die Schürze vors Gesicht, als die beiden die Treppe hinabhasteten, ihre Kleidung zusammengeknüllt in den Armen. Hätte er doch auch weggeschaut. Ich bete den Nackten an wie einen Gott, hatte Rodin einmal gesagt, aber an ihrer Nacktheit, an ihren verschrumpelten Schwänzen, an ihren bleichen dürren Unterschenkeln war nichts Göttliches.

      Und später Luisa, die selbstvergessene Luisa in dem von leeren Flaschen übersäten Salon, ihr Make-up verschmiert, das Kleid über eine Schulter gerutscht, den Arm um Lehmbrucks Kniende geschlungen, ein silbernes Röhrchen zwischen den Fingern wie eine Zigarette. Ihr verächtliches Grinsen, als sie sich vorgebeugt und mit funkelndem Blick vom steinernen Schenkel der Skulptur eine Prise Kokain geschnupft hatte. Er hatte zu ihr gesagt, er wolle die Scheidung, aber sie hatte nur gellend aufgelacht, schrill wie das Geräusch von zerberstendem Glas.

      »Darauf trinke ich«, hatte sie gesagt, nach dem Hals einer Champagnerflasche gegriffen und sie an die Lippen gesetzt. Der Wein war ihr aus dem Mund und übers Kinn gelaufen.

      Der Zug wurde jetzt langsamer. Über der dunklen Silhouette der Hügel zog eine graue Dämmerung herauf. Quecksilberartige Regentropfen glitten diagonal über das Waggonfenster. Julius schloss die Augen und massierte sich den Nacken. Auch wenn er es sich ungern eingestand, war er ebenso schuld wie sie. Du und dein Faible für schöne Dinge, hatte sein alter Freund Bruno trocken bemerkt, als Julius die beiden einander vorstellte, und Julius hatte daraufhin nur gelacht. Er war damals dreiundfünfzig, erst kurz zuvor aus dem Kriegsdienst entlassen worden und vor Verlangen schier benommen. Luisa war vierundzwanzig. In den trostlosen, deprimierenden Monaten nach der Kapitulation war ihm ihre Schönheit wie ein Wunder vorgekommen. Er hatte nicht genug von ihr bekommen können. In ihren Armen verblasste die Vergangenheit mit ihren Schrecken, und die Zukunft versprach, grandios zu werden. Er dachte, sie würde ihn heilen, er könnte sich, umgeben von ihrem klaren, frischen Wesen, all den Schmutz abwaschen. Als er seinen Irrtum erkannte und begriff, dass sich hinter ihrer makellosen Erscheinung eine unreife, gleichgültige Person verbarg und das, was er für Unschuld gehalten hatte, nichts anderes war als Dummheit und mangelnde Vorstellungskraft, war sie bereits seine Ehefrau.

      Fünf Jahre, drei davon mehr oder weniger miserabel. Sie beide waren füreinander nicht das, was sie sich erhofft hatten. Ihre Auseinandersetzungen – anfangs noch temperamentvoll geführt – wurden aus Enttäuschung bitter und zornig. Es gab keine leidenschaftlichen Versöhnungen mehr, nur noch Phasen des Schweigens; kurze, argwöhnische Feuerpausen. Wie einander belauernde Armeen verschanzten sie sich in ihren Stellungen. Julius nahm die Gewohnheiten seiner Junggesellenzeit wieder auf und vergrub sich in die Arbeit. Luisa gab sich ihrem Kaufrausch hin, tanzte und johlte bis zum Morgengrauen.

      In Wahrheit schämte er sich. Das Renommee, zu dem er im Lauf seines Lebens gekommen war, verdankte er seiner Fähigkeit zu sehen – nicht nur mit den Augen, sondern mit dem Herzen. In Die Genese der modernen Kunst hatte er gegen einen Kunstbetrieb gewettert, der sich von der Verführungskraft technischer Virtuosität blenden ließ, und stattdessen deutlich zu machen versucht, dass jeder großen Kunst in ihrem Wesenskern ein heroischer Kampf zugrunde lag, und dennoch war er, was Luisa betraf, genau demselben Irrtum erlegen. Er war auf ihre Oberfläche hereingefallen, hatte aufgrund ihrer körperlichen Vollkommenheit mit einer Reinheit des Geistes gerechnet, mit etwas darüber Hinausweisendem und Wahrem.

      Ein Paar betrat den Speisewagen. Die Frau war klein, hatte dunkles Haar und schläfrige Augen wie eine Figur von Modigliani. Sie lächelte Julius an und wünschte ihm einen guten Morgen, in einem Deutsch mit starkem russischem Akzent. Julius erwiderte den Gruß mit einem Nicken. Er würde sich anständig verhalten. Da der Kaiser mit dem ihm eigenen Mitgefühl die unüberwindliche Abneigung zwischen Ehepartnern als Scheidungsgrund für unzureichend erklärt hatte, musste eine der beiden Seiten notgedrungen die Schuld auf sich nehmen. Ehebruch war die sauberste Lösung. Im Falle eines nachweisbaren Ehebruchs wurde die Scheidung automatisch ausgesprochen. Die Zeitungen würden sich vielleicht dennoch dafür interessieren, aber es würde keinen öffentlichen Skandal geben, wie so oft nach einem Rosenkrieg. Noch heute Nachmittag würde er mit Böhm reden, damit dieser alles Nötige in die Wege leiten konnte. In Berlin gab es mehr als genug Frauen, die vorgeben würden, sie seien gegen Bezahlung mit einem ins Bett gegangen.

      Natürlich würde ihn seine Anständigkeit einen Preis kosten. Nur schuldig gesprochene Ehemänner waren zu Unterhaltszahlungen verpflichtet. Doch während er sich einerseits darüber ärgerte, weiterhin Luisas Verschwendungssucht zu finanzieren – denn die bourgeoise Tochter eines zur Pfennigfuchserei neigenden Bankdirektors hatte stets wie selbstverständlich eine atemberaubende Gier nach Prunk und Luxus an den Tag gelegt –, überwog seine Erleichterung. Ein Mann von Ehre zahlte selbstverständlich für seine Fehler. Er würde die Strafe auf sich nehmen, so hart sie auch sein mochte. Darin lag auch eine Art Läuterung, eine Demut, die fast etwas Nobles an sich hatte. Außerdem fehlte es ihm nicht an den nötigen finanziellen Mitteln. Das Buch über van Gogh war ein überwältigender Verkaufsschlager geworden, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und Großbritannien. Selbst Amerika war sehr interessiert. Die Tantiemen würden ihm weiterhin ein komfortables Leben ermöglichen, trotz des kürzlichen Wertverfalls der Mark. Bei den gegenwärtigen Wechselkursen konnte er es sich leisten, großzügig zu sein. Im Übrigen musste man an das Kind denken. Auch wenn sich die Leute wie stets das Maul zerreißen würden, sollte niemand behaupten können, er habe die Mutter seines Sohnes schlecht behandelt.

      In Berlin regnete es anhaltend. Es war die geschäftigste Stunde des Vormittags. Die Menschen auf den Gehsteigen drängelten und schubsten einander, spannten ihre Regenschirme wie Schutzschilde auf, während die Trambahnen an ihnen vorbeiratterten und die Omnibusse das schmutzige Wasser am Straßenrand hochspritzen ließen. Um halb zehn hielt das Taxi schließlich vor der Villa in der Meierstraße. Julius blieb einen Moment lang auf dem Gehweg stehen und betrachtete die elegante Fassade. Lange her, dachte er, dass ich mich darauf gefreut habe, nach Hause zu kommen.

      Eine rotgesichtige Frau Lang begrüßte ihn an der Tür. Sie mied seinen Blick, als sie ihm Hut und Mantel abnahm. Sein Frühstück, sagte sie, stehe schon im Speisezimmer bereit, es werde langsam kalt. Es klang, als sei er daran schuld. Als er erklärte, er habe


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