Im gleißenden Licht der Sonne. Clare Clark

Im gleißenden Licht der Sonne - Clare  Clark


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als ihre Oberfläche, wie Spiegel. Vielleicht, dachte Julius trübsinnig, ist dies das Geheimnis ihres Erfolgs. Die Dadaisten mochten Narren und Scharlatane sein, aber bei ihrer Destruktion allen künstlerischen Tuns waren sie auf eine unabänderliche Wahrheit gestoßen: Eine Gesellschaft hat die Kunst, die sie verdient.

      Und noch immer kein Rachmann. Schließlich schob sich Julius, des Wartens überdrüssig, durch die Menge Richtung Ausgang. Walter Ruthenberg stand unweit der Tür. Als er Julius bemerkte, schüttelte er den Kopf und verdrehte die Augen.

      »Ein ganz schönes Spektakel, was?«, sagte er über den Lärm der Stimmen hinweg. »Und nichts dahinter. Ich bin überrascht, Sie hier zu treffen. Entspricht ja nicht gerade Ihrem Geschmack.«

      Julius zuckte die Achseln. Ruthenberg, der als Professor an der Universität lehrte, hatte seine wissenschaftliche Monographie über van Gogh zur selben Zeit veröffentlicht wie Julius seinen Vincent. Er hatte Ruthenberg bemitleidet, bis er merkte, dass dieser gegenüber ihm genauso empfand.

      »Ich hatte gehofft, Sie hier zu treffen«, sagte Ruthenberg. »Hätten Sie kurz Zeit?«

      Sie traten hinaus auf den Gehsteig, wo es ruhiger war. Außerhalb des Lichtscheins, der aus der Galerie kam, lag die Straße im Dunkel. Die Stadtverwaltung ließ die Laternen nicht mehr brennen, die Stromkosten überstiegen ihr Budget. Ruthenberg zog eine Pfeife und einen Tabakbeutel aus seiner Tasche. »Hat mir ein fürsorglicher Freund aus Amsterdam geschickt. Auf die meisten Dinge kann ich verzichten, aber das hier?« Er zupfte sorgsam ein Häufchen Tabak heraus und stopfte es in den Pfeifenkopf. »Ich habe etwas, was Sie vielleicht interessiert. Einen ziemlich schönen kleinen Corot. Soviel ich weiß, kaufen Sie an.«

      Er spielte auf den Seurat an. Julius hätte sich denken können, dass man in Berlin nichts unbemerkt unter der Hand kaufen konnte.

      »Die Provenienz ist unsicher, aber wann ist sie das bei einem Corot nicht?«, sagte Ruthenberg. Er zündete ein Streichholz an, hielt es an die Pfeife und sog am Stiel. »Ein junger, mir bekannter Händler hat ihn in Hamburg gefunden und mir zur Echtheitsprüfung gebracht. Ich habe ihm gesagt, er soll ihn behalten oder noch besser nach Paris bringen, aber wenn Sie interessiert wären …«

      Julius runzelte die Stirn. Sollte er anbeißen, würde Ruthenberg eine fette Provision kassieren. Für die meisten Händler mit einem Corot im Angebot wäre das kein lohnendes Geschäft »Welcher Händler?«, fragte er. »Kenne ich ihn?«

      »Rachmann heißt er, die Gemäldegalerie hat ihn mir empfohlen. Kluger Junge, aber noch grün hinter den Ohren. Er wollte Francs haben.«

      Julius starrte Ruthenberg an. Dann zuckte er betont beiläufig die Achseln. »Ich könnte wohl einen Blick darauf werfen. Ist er noch in Berlin?«

      »Was haben Sie beide hier draußen zu klatschen?«

      Julius wandte sich um. Salazin stand in der Tür, seine Augen über den Tränensäcken glänzten.

      »Walter hat mir von Ihrem Freund Rachmann erzählt«, sagte Julius. »Wie ich höre, hat er großen Erfolg.«

      »Natürlich hat er großen Erfolg«, erwiderte Salazin. »Bei Männern seines Schlags ist das eben so.«

      »Seines Schlags? Mir kommt es vor, als hätte er für Ihr Geschäft eher zu hohe Grundsätze.«

      Salazin lachte. »Mein lieber Julius, dieser Junge wird sich durchboxen. Stammt natürlich aus einfachsten Verhältnissen. Der Vater war Schmied, hat seine Söhne auf der Straße Feuerböcke verhökern lassen, um die Familie vor dem Elend zu bewahren. Glauben Sie mir, hinter dem hübschen Gesicht ist der kleine Rachmann so zäh wie ein alter Stiefel.«

      Am nächsten Morgen rief Rachmann an. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit traf er in der Meierstraße ein. Er schien besorgt. Als Julius ihm die Hand schüttelte, machte sich in seinem Lächeln ein nervöses Zucken bemerkbar, und sein Blick glitt zur Seite Richtung Boden.

      »Schön, dass Sie da sind«, begrüßte ihn Julius. »Das letzte Mal ist schon eine ganze Weile her.«

      »Ja, nun, ich war kaum noch in Berlin.«

      »Sie haben doch Ruthenberg getroffen«, entgegnete Julius ein wenig schärfer als beabsichtigt, und in Rachmanns Miene flackerte Überraschung auf. Verlegen deutete Julius auf seine dünne Ledermappe. »Sagen Sie nicht, Sie haben da einen Corot hineingequetscht?«

      Rachmann zögerte. Deshalb sei er gekommen, meinte er schließlich. Um es Julius persönlich mitzuteilen. Der Corot sei verkauft. An einen Geschäftsmann, der anonym bleiben wolle.

      »In Berlin?«, erwiderte Julius schroff. »Wohl kaum.«

      »Ein ausländischer Geschäftsmann.«

      »Gibt es denn heute noch andere?« Es war als Scherz gemeint, aber Rachmann lächelte nicht. »Ich hätte ihn gern gesehen. Es heißt, er sei wundervoll.«

      Rachmann biss sich auf die Lippen. »Ich hätte das Bild Ihnen bringen sollen.«

      »Nun ja. Sie wurden zu Ruthenberg geschickt.«

      »Nein, eigentlich nicht, man hat mich zu Ihnen geschickt, aber ich … ich konnte nicht. Ich habe es einfach nicht gekonnt.«

      »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«

      »Nein? Wo doch mehr falsche Corots im Umlauf sind, als es Originale gibt? Er ist der am häufigsten gefälschte Künstler heutzutage. Wie hätte ich Ihnen nach dem Trübner einen Corot bringen können? Wie hätte ich sicher sein können? Es ist mir im Grunde egal, was Herr Ruthenberg von mir hält, aber nicht, was Sie von mir halten. Wie hätte ich das riskieren können?« Er sah Julius in die Augen, sein Kummer färbte seine bleichen Wangen rot, dann schlug er die Hände vors Gesicht. Die ganze Zeit über hatte er wiederkommen wollen, dachte Julius, und die Freude darüber brannte in seiner Kehle wie nach einem Schluck Cognac.

      »Haben Sie wirklich geglaubt, ich gebe Ihnen wegen des Trübners die Schuld?«

      »Haben Sie das nicht?«

      »Natürlich nicht. So etwas wie mit dem Trübner passiert schon mal. Ein guter Händler sollte keine Angst vor Risiken haben. Nur vor Habgier und Hässlichkeit.«

      Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Dieses Risiko, dieser Fehler hat mir fast den Rest gegeben. Ich dachte, ich sei erledigt.«

      »Das sind Sie nicht. Schauen Sie, Sie sind immer noch da.«

      Rachmann blickte Julius an. Seine Augen waren sehr grün. »Ich hätte es nicht ertragen«, sagte er einfach, und erneut spürte Julius einen Kloß im Hals.

      V

      Julius wartete auf Zelma Staub vor dem Theater am Bülowplatz, einem schäbig aussehenden Etablissement mit bröckelnder Fassade, in dem sie arbeitete. Sie war während des Kriegs mit Luisa befreundet gewesen und auch dann noch zu ihren Feiern gekommen, als Luisas Zuneigung schon vergangen war. Ihre Rolle war es gewesen, die schmutzigen Gläser einzusammeln und verständnisvoll zu nicken, wenn Männer ihr von anderen Frauen erzählten. Ihr Mantel war schäbig, ihr gefärbtes Haar am Ansatz grau. Sie wusste nichts von Luisas und Julius’ Trennung. Als Julius sie fragte, ob er sie zum Essen einladen dürfe, zögerte sie.

      »Sie kannten sie«, sagte er. »Das hilft.«

      Sie gingen in ein Café in der Nähe. Zelma aß schnell und legte die Hände um ihren Teller, als hätte sie Angst, jemand könnte ihn ihr wegnehmen. Als Julius auf die alten Zeiten zu sprechen kam, entspannten sich ihre Gesichtszüge.

      »Der Abend von Luisas Geburtstag, erinnern Sie sich noch?«, fragte er. Luisa hatte ihm die Geschichte so oft erzählt, dass er das Gefühl hatte, selbst dabei gewesen zu sein. »Als dieser Freund von Luisa Gitarre spielte und der andere Mann dazu sang? Himmel, wie hieß er noch mal?«

      »Pieter Placzek. Er soll jetzt im Radio singen.«

      »Placzek, genau. Er hat Luisa ein Ständchen gebracht, und alle waren zu Tränen gerührt, erinnern Sie sich? Alle bis auf den Freund, mit dem er da war, groß, blond, jungenhafte


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