Rubinrot. Керстин Гир

Rubinrot - Керстин Гир


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fragte Charlotte zurück.

      »Wirklich, das Letzte, was Charlotte im Augenblick gebrauchen kann, sind blöde Bemerkungen«, sagte Tante Glenda.

      Ich fing an zu bereuen, heruntergekommen zu sein.

      »Beim ersten Mal springt der Gen-Träger nie weiter zurück als hundertfünfzig Jahre«, erklärte Großtante Maddy liebenswürdig. »Dieses Haus ist 1781 fertiggestellt worden, hier im Musikzimmer ist Charlotte also absolut sicher. Sie könnte höchstens ein paar musizierende Ladys erschrecken.«

      »In dem Kleid bestimmt«, sagte ich so leise, dass nur meine Großtante mich hören konnte. Sie kicherte.

      Die Tür flog auf und Lady Arista kam herein. Sie sah wie immer aus, als habe sie einen Stock verschluckt. Oder auch mehrere. Einen für ihre Arme, einen für ihre Beine und einen, der in der Mitte alles zusammenhielt. Die weißen Haare waren straff aus dem Gesicht gekämmt und im Nacken zu einem Knoten gesteckt, wie bei einer Ballettlehrerin, mit der nicht gut Kirschen essen war. »Ein Fahrer ist unterwegs. Die de Villiers erwarten uns in Temple. Dann kann Charlotte bei ihrer Rückkehr gleich in den Chronografen eingelesen werden.«

      Ich verstand nur Bahnhof.

      »Und wenn es heute noch gar nicht passiert?«, fragte Charlotte. »Charlotte, Liebes, dir war schon dreimal schwindelig«, sagte Tante Glenda.

      »Früher oder später wird es passieren«, sagte Lady Arista. »Kommt jetzt, der Fahrer wird jeden Augenblick hier sein.«

      Tante Glenda nahm Charlottes Arm und zusammen mit Lady Arista verließen sie den Raum. Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, sahen Großtante Maddy und ich uns an.

      »Manchmal könnte man denken, man sei unsichtbar, nicht wahr?«, sagte Großtante Maddy. »Wenigstens ein Auf Wiedersehen oder ein Hallo ab und an wäre doch nett. Oder auch ein kluges Liebe Maddy, hattest du vielleicht eine Vision, die uns weiterhelfen könnte?«

      »Hattest du eine?«

      »Nein«, sagte Großtante Maddy. »Gott sei Dank nicht. Ich kriege nach den Visionen immer so schrecklichen Hunger und ich bin ohnehin zu fett.«

      »Wer sind die de Villiers?«, fragte ich.

      »Ein Haufen arroganter Schnösel, wenn du mich fragst«, sagte Großtante Maddy. »Alles Anwälte und Bankiers. Sie besitzen die Privatbank de Villiers in der City. Wir haben unsere Konten dort.«

      Das klang herzlich wenig mystisch.

      »Und was haben die Leute mit Charlotte zu tun?«

      »Sagen wir mal, sie haben ähnliche Probleme wie wir.«

      »Welche Probleme?« Mussten sie auch mit einer tyrannischen Großmutter, einer biestigen Tante und einer eingebildeten Cousine unter einem Dach wohnen?

      »Das Zeitreise-Gen«, sagte Großtante Maddy. »Bei den de Villiers vererbt es sich an die männlichen Nachkommen.«

      »Sie haben also auch eine Charlotte zu Hause?«

      »Das männliche Gegenstück dazu. Er heißt Gideon, soviel ich weiß.«

      »Und der wartet auch darauf, dass ihm schwindelig wird?«

      »Er hat es schon hinter sich. Er ist zwei Jahre älter als Charlotte.«

      »Das heißt, er springt seit zwei Jahren munter in der Zeit herum?«

      »Das ist anzunehmen.«

      Ich versuchte, die neuen Informationen mit dem wenigen, was ich bereits wusste, zusammenzubringen. Weil Großtante Maddy heute so ungeheuer auskunftsfreudig war, gönnte ich mir aber nur ein paar Sekunden dafür. »Und was ist ein Chroni-, Chrono.. .?«

      »Chronograf!« Großtante Maddy verdrehte die blauen Kulleraugen. »Das ist eine Art Apparat, mit dem man die Gen-Träger – und nur die! – in eine bestimmte Zeit schicken kann. Hat irgendwas mit Blut zu tun.«

      »Eine Zeitmaschine?« Betankt mit Blut? Lieber Himmel!

      Großtante Maddy zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, wie das Ding funktioniert. Du vergisst, dass ich auch nur weiß, was ich zufällig mitbekomme, während ich hier sitze und so tue, als könnte ich kein Wässerchen trüben. Das ist alles sehr geheim.«

      »Ja. Und sehr kompliziert«, sagte ich. »Woher weiß man denn überhaupt, dass Charlotte dieses Gen hat? Und warum hat sie es und nicht zum Beispiel. .. ähm .. . du?«

      »Ich kann es nicht haben, gottlob«, antwortete sie. »Wir Montroses waren zwar schon immer komische Vögel, aber das Gen kam erst durch deine Großmutter in unsere Familie. Weil mein Bruder sie ja unbedingt heiraten musste.« Tante Maddy grinste. Sie war die Schwester meines verstorbenen Großvaters Lucas.

      Weil sie selbst keinen Mann hatte, war sie schon in jungen Jahren zu ihm gezogen und hatte ihm den Haushalt geführt. »Nach der Hochzeit von Lucas und Lady Arista hörte ich das erste Mal von diesem Gen. Die letzte Gen-Trägerin in Charlottes Erblinie war eine Dame namens Margret Tilney und die wiederum war die Großmutter deiner Großmutter Arista.«

      »Und Charlotte erbte das Gen von dieser Margret?«

      »Oh nein, dazwischen erbte es Lucy. Das arme Mädchen.« »Was für eine Lucy?«

      »Deine Cousine Lucy, Harrys älteste Tochter.«

      »Oh! Die Lucy.« Mein Onkel Harry, der aus Gloucestershire, war deutlich älter als Glenda und meine Mum. Seine drei Kinder waren schon längst erwachsen. David, der Jüngste, war achtundzwanzig und Pilot bei British Airways. Was leider nicht bedeutete, dass wir billiger an Flugtickets kamen. Und Janet, die Mittlere, hatte selber schon Kinder, zwei kleine Nervensägen namens Poppy und Daisy. Lucy, die Älteste, hatte ich nie kennengelernt. Viel wusste ich auch nicht über sie. Die Familie pflegte Lucy totzuschweigen. Sie war nämlich so etwas wie das schwarze Schaf der Montroses. Mit siebzehn war sie von zu Hause abgehauen und hatte seitdem nie wieder etwas von sich hören lassen.

      »Lucy ist also eine Gen-Trägerin?«

      »Oh ja«, sagte Großtante Maddy. »Hier war die Hölle los, als sie verschwand. Deine Großmutter hatte beinahe einen Herzinfarkt. Es war ein fürchterlicher Skandal.« Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre goldenen Löckchen völlig durcheinandergerieten.

      »Das kann ich mir denken.« Ich stellte mir vor, was wohl passieren würde, wenn Charlotte einfach ihre Koffer packen und abhauen würde.

      »Nein, nein, das kannst du nicht. Du weißt ja nicht, unter welch dramatischen Umständen sie verschwand und wie das alles mit diesem Jungen zusammenhing. . . Gwendolyn! Nimm den Finger aus dem Mund! Das ist eine grässliche Angewohnheit!«

      »Entschuldigung.« Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich angefangen hatte, an meinem Fingernagel zu knabbern. »Das ist nur die Aufregung. Es gibt da so viel, das ich nicht verstehe.. .«

      »Das geht mir genauso«, versicherte Großtante Maddy. »Und ich hör mir den Kram schon an, seit ich fünfzehn bin. Dafür besitze ich so etwas wie eine natürliche Begabung für Mysterien. Alle Montroses lieben Geheimnisse. Das war schon immer so. Nur deshalb hat mein unglückseliger Bruder deine Großmutter überhaupt geheiratet, wenn du mich fragst. Ihr liebreizender Charme kann es auf keinen Fall gewesen sein, denn sie hatte keinen.« Sie tauchte ihre Hand in die Bonbondose und seufzte, als sie ins Leere griff. »Ach herrje, ich fürchte, ich bin süchtig nach diesen Dingern.«

      »Ich laufe schnell zu Selfridges und hole dir neue«, sagte ich.

      »Du bist und bleibst mein liebstes Engelchen. Gib mir einen Kuss und zieh dir einen Mantel an, es regnet. Und kau niemals mehr an deinen Fingernägeln, hörst du?«

      Da mein Mantel noch im Spind in der Schule hing, zog ich Mums geblümten Regenmantel an und zog die Kapuze über den Kopf, als ich vor die Haustür trat. Der Mann im Hauseingang von Nummer 18 zündete sich gerade eine Zigarette an. Einer plötzlichen Eingebung folgend winkte ich ihm zu, während ich die Treppen hinuntersprang.

      Er


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