als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst
du denn auf dem Herzen?“ Ich lief rot an. Hatte er mir angesehen, dass ich etwas wollte, oder hatte er einfach nur ein gutes Gespür? Ich druckste herum und brachte kein vernünftiges Wort heraus.
Unser Pfarrer war ein leutseliger und gutmütiger Mensch und wusste sehr wohl um meine Schüchternheit. Er machte den Anfang:
„Wo kann ich dir denn helfen? Ich sehe doch, dass da was ist.“
Ich schaute ihn nur mit großen Augen an. Er lächelte.
„Du kannst ruhig mit mir reden. Hat es was mit Roman zu tun?“
Ich war sprachlos. Entweder war er ein Hellseher, oder er kannte seine Pappenheimer. Ich entschied mich für ersteres und mein Respekt wurde noch größer. Dann platzte ich heraus:
„Herr Pfarrer, Roman möchte einen Brief an den Bischof schreiben, denn er findet, dass Pfarrer heiraten sollten und Frauen Priester werden.“
Ich lief noch knallröter an und hätte mich gerne versteckt. Aber jetzt war es heraußen.
„Und er hat mich gefragt, ob ich unterschreibe, und ich… ich… ich habe es nicht getan.“
Ich weiß nicht, ob ich mir erwartet hatte, dass der Pfarrer mir gratulierte, oder ob er Roman unterstützen würde. Er reagierte anders, als ich mir gedacht hatte. Er lachte. Nicht laut oder bösartig, sondern es war ein fröhliches, gutmütiges Lachen.
„So, hat er das?“, sagte er. „Na, das ist doch keine so schlechte Idee. Ich denke damit können wir leben. Was denkst du denn darüber, Babette?“
Ich war perplex. Was ich dachte? Ich wusste nicht was ich denken sollte. Das hatte mich noch niemand gefragt. Schon gar nicht zu diesem Thema. Ich begann zu überlegen, was ich darüber dachte. Gar nichts. Ich war immer so damit beschäftigt gewesen herauszufinden, was die anderen dachten und mir dann eine Meinung auszuwählen, dass ich nicht auf die Idee gekommen wäre mir selbst ein Urteil zu bilden. Ich schüttelte den Kopf, stammelte ein „Ich weiß nicht so recht…“ und verzog mich mit gemischten Gefühlen. Ich war peinlich berührt. Meine Frage kam mir im Nachhinein lächerlich vor. Gleichzeitig fühlte ich mich erleichtert. Ich konnte meinem angebeteten Roman sagen, dass ich nun doch unterschreiben würde.
Zwei Wochen später rief der Bischof höchstpersönlich an und beschwerte sich über Romans Brief. Das war es dann. Und irgendwann war wieder Gras über die Sache gewachsen. Passiert war gar nichts. Weder in die eine, noch in die andere Richtung. Das Zölibat blieb unantastbar.
Roman kämpfte weiter für eine Reform in der Kirche. Ich verstand diesen Eifer nicht ganz. Wozu denn? Die Kirche, die ich erlebte, war doch sehr schön. Ich genoss die Jugendgebete, das Lager, die gemeinsamen Ausflüge und die Diskussionen. Vor allem genoss ich es, eine Heimat gefunden zu haben. Ich war jemand. Ich war die von der Flo-Jugendgruppe und ich sang im Jugendchor. Innerlich hob ich vor lauter Begeisterung ab. Ich engagierte mich. Musikalisch. Inhaltlich. Ich lernte zu diskutieren und ich begann meine Schüchternheit zu überwinden.
noah und die flut
Ich muss ungefähr siebzehn gewesen sein, als eine Diskussion in unserer Jugendgruppe meinen Kinderglauben grundlegend ins Wanken brachte. Nun, er kam nicht wirklich ins Schwanken, denn insgeheim war es eine Bestätigung für etwas, was ich innerlich schon längst erahnt hatte.
In unserer Pfarre gab es zwei Jugendgruppen. Mit meinen siebzehn Jahren war ich noch bei den Jüngeren. Mein Angebeteter Roman war natürlich bei den Großen. Manchmal wurden wir Kleinen in die andere Jugendgruppe eingeladen. Da ging es dann meistens um biblische Themen, denn die Großen wollten uns Kleinen zeigen, was sie schon alles wussten und konnten. Sie liebten es, sich in unserer Bewunderung zu sonnen. Der Leiter der großen Jugendgruppe war Peter Priester. Im richtigen Leben hieß er Peter Klein und er war im Priesterseminar. Für uns war er Peter Priester, denn in unseren Augen war er schon am Weg zur absoluten Heiligkeit. Er war zu Höherem berufen und absolut untadelig.
An jenem besagten Abend hatten wir also die Ehre den Großen beizuwohnen. Zu den sechs Großen waren noch drei Kleine dazugekommen: Christian, Evelyn und ich. Unser Seminarist war spät dran, dafür umso motivierter. Er stürmte geradezu in den Jugendkeller.
„Heute werden wir uns mit Dubletten in der Bibel beschäftigen“, rief er enthusiastisch aus.
Dubletten? Wir waren ratlos. Und wie ein Meister, der seinen Jüngern ein großes Geheimnis offenbart, konfrontierte er uns mit einer Erzählung aus dem Alten Testament.
Es ging um die Rettung Noahs aus der Flut5. Gleich einem Quiz in einer Fernsehshow stellte Peter uns Fragen:
„Wie viele Tiere nahm Noah in seine Arche mit?“
Wir blätterten eifrig in unseren Büchern. Schnell fand ich die richtige Bibelstelle:
„Je e i n Paar - in die Arche“, rief ich stolz und las laut vor: „Von allem, was lebt, von allen Wesen aus Fleisch, führe je zwei in die Arche, je ein Männchen und ein Weibchen sollen es sein.“ 6
„Blödsinn“, rief Christian, „sieben Paare von jeder Sorte! Da schau: Von allen reinen Tieren nimm dir je sieben Paare mit, Männchen und Weibchen, auch von den Vögeln des Himmels jeweils sieben, männlich und weiblich. Steht in Genesis 7,2.“
Wir blickten uns verdutzt an. Die Bibel war ja überhaupt nicht eindeutig. Doch bevor wir das ausdiskutieren konnten, stellte Peter die nächste Frage:
„Wie lange regnet es?“
Wir blätterten wieder eifrig.
„Ich hab‘s“, rief Christian, „vierzig! Dann lasse ich es vierzig Tage und vierzig Nächte lang auf die Erde regnen.“ 7
Evelyn widersprach: „Nein. Da steht: Das Wasser aber schwoll hundertfünfzig Tage lang auf der Erde an.8 Also gab es 150 Tage Regen.“
Einer der Größeren grinste und sagte:
„Beide falsch. Ihr könnt nicht rechnen. Es regnete mehr als ein Jahr. Hier steht es.“ Er bohrte seinen Finger auf die Seite, die er aufgeschlagen hatte und las mit lauter Stimme: „Im sechshundertsten Lebensjahr Noachs, am siebzehnten Tag des zweiten Monats, an diesem Tag brachen alle Quellen der gewaltigen Urflut auf und die Schleusen des Himmels öffneten sich.9 Und im nächsten Kapitel steht dann: Im sechshundertersten Jahr Noachs, am ersten Tag des ersten Monats, hatte sich das Wasser von der Erde verlaufen10.“
Wir waren ratlos. Hatten wir verschiedene Bücher, fragte ich mich. Ich schielte auf die Bibelausgaben, die auf den Knien der anderen lagen. Sie erschienen mir sehr gleich.
„Wen lässt Noah fliegen, um zu sehen, ob die Flut vorbei ist?“, war die nächste Frage von Peter Priester.
„Einen Raben!“
„Die Taube!“, platzten Evelyn und ich gleichzeitig heraus.
Wir schauten uns an und mussten lachen. Aber in Wirklichkeit war ich verunsichert. Verwirrt las ich die Stelle noch einmal.
„Also im Vers 7,7 fliegt ein Rabe und im Satz darauf die Taube, obwohl die Flut bereits vorbei war?“, fasste ich fragend zusammen. Wir sahen uns an und wussten nicht was wir denken sollten. Peter Priester lächelte überlegen.
„Seht ihr, einmal sind es diese Angaben, dann andere“, sprach er. „Die Bibel hat Fehler“, verkündete er theatralisch und baute sich vor uns auf.
Er war ein schmaler junger Mann, aber groß. Als er so auf uns herunterblickte und die Selbstsicherheit in seiner Stimme über unsere Köpfe hinweg schwebte, versanken wir Jugendliche noch mehr im Sofa. Wir schauten uns ratlos an und fühlten uns wie vor einem großen heiligen Geheimnis. Alex, einer von den Großen, begann zu grinsen.
„Wie cool, du hast recht, dann sollten wir uns das mit unserem Glauben noch einmal überlegen.“ Kaum hatte er die provokanten Sätze ausgesprochen, begann unter uns Jugendlichen eine Diskussion. Wie konnte das sein? Die Bibel hat Fehler?
Peter klärte uns