als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst

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ihr ein Betätigungsfeld. Sie ging auf die Suche nach besinnlichen Texten, kaufte Schallplatten mit christlicher Musik und versuchte vergeblich, den Pfarrer zu modernen Gottesdiensten zu überreden. Am meisten Spaß hatte sie nach der Messe, wenn sie mit ihren Freundinnen die Predigt des Pfarrers zerpflückte.

      „Na, wie der über die Befreiungstheologie geredet hat…“ schüttelte dann die eine den Kopf, „Ist der Leonardo Boff wirklich so schlimm?“

      „Dem haben sie jetzt Redeverbot erteilt.“ flüsterte die andere verschwörerisch.

      „Also, ich habe ihn so verstanden, dass er eine lebendige Kirche der Armen haben möchte…“, mischte sich Tante Maria selbstbewusst ein.

      Schon liefen die Gespräche über Für und Wider in der Kirchenpolitik, über ein zweites Vatikanum, das wohl hoffentlich bald auch bei den Bischöfen ankommen würde und darüber, wer am nächsten Sonntag gleich eine provokante Fürbitte einbauen sollte.

      Für die Frauen blieb der Pfarrer trotz aller Kritik eine Autoritätsperson. Sie verehrten ihn, putzten ihm die Kirche, wuschen ihm die Wäsche und waren stolz, wenn sich Herr Hochwürden zum Mittagessen anmeldete. Tante Maria balancierte dann manchmal zwischen Selbstzynismus und Ehrerbieten und sagte zu den anderen:

      „Na, heute werden wir wieder einmal unserer Frauenrolle gerecht. Die Mägde des Herrn Klerikers sorgen hingebungsvoll für sein Wohlbefinden.“ Aber sie freute sich trotzdem, wenn sie vom Pfarrer „meine große Stütze“ genannt wurde. Er konnte ja doch nicht ohne sie.

      Eines Tages hatte Tante Maria mich gebeten, ihr in der Kirche zu helfen. Die kleine ursprünglich gotische Kirche des Dorfes stand an der Hauptstraße. In der Barockzeit modernisiert, quetschte sich ein riesiger, goldbemalter Hochaltar in die Apsis und ließ wenig Platz für andere Gestaltungselemente. Auch wenn die Hauptstraße nicht sehr befahren war, so hatten doch die Lastwägen, die sich des Öfteren die Bergstraße hinauf schlängelten, das Mauerwerk erschüttert und kleine Risse krochen in der Kirchenwand aufwärts zum barock bemalten Gewölbe. Jemand hatte kleine Fäden über die Risse gespannt, um zu beobachten, ob die Kirche auseinanderbrach. Aber die Risse blieben wie sie waren und das gebrochene Mauerwerk strahlte eine Ruhe und Gelassenheit aus, wie man es nur von alten, geweihten Gemäuern kennt, die allein durch das Gebet getragen scheinen. Das kleine Harmonium an der rechten Seite vermittelte den Versuch, hochwertigeren Gesang in die Gottesdienste zu bringen. Doch die modernen Lobpreisbücher waren mehr staubig als zerlesen und sprachen eine andere Sprache.

      Es war ein Spätsommertag und das Sonnenlicht fiel, durch die bunten Kirchenfenster gebrochen, in langen Streifen in das Mittelschiff. Der goldene Hochaltar war in sanftes Licht getaucht und Tante Maria stand auf der untersten Stufe zum Altar und hantierte mit Silberleuchtern. Im Halbdunkel sah sie wie eine lebendige Statue aus, die gerade von der Balustrade gestiegen war und die sonst einsame Kirche mit einem fast unwirklichen Leben erfüllte. Es war gerade so, als ob die Heilige Katharina lebendig geworden wäre.

      Tante Maria war immer elegant angezogen, auch wenn sie arbeitete, wenngleich sie mit ihrem schlichten blauen Rock und mit ihrer bunten Bluse mehr dem Bild einer Lehrerin, als der Heiligen Katharina entsprach. Sie summte leise eines dieser Kirchenlieder vor sich hin, die sie aus ihrer Kindheit kannte und ich spürte eine Riesensehnsucht in meinem Herzen. Ich hätte am liebsten das Rad der Zeit angehalten und ewig Tante Maria zugeschaut. Als sie mich kommen hörte, drehte sie sich um und lächelte mich an. Sie nickte und flüsterte mir leise, als ob sie die Stille der Kirche nicht durchbrechen wollte, zu:

      „Babette, schau doch gleich mal beim Marienaltar nach, ob abgebrannte Kerzen zum Wegräumen sind.“ Ich schwebte fast ins andere Eck der Kirche. Unter einer großen Madonnenstatue stapelten sich Heiligenbildchen, Fotos, Andenken, kleine Kunstwerke und viele Dankesbriefe an die Muttergottes, die Menschen in ihrer Not geholfen hatte. Auf einem Ständer davor konnte man Kerzen anzünden. Ich näherte mich mit großer Ehrfurcht der Statue. Die Wünsche, die die Menschen vor die Muttergottes gebracht hatten, schienen in diesem Eck lebendig zu werden, und ich wollte sie nicht zerstören. Vorsichtig zog ich ein paar abgebrannte Kerzen aus ihrer Halterung und kratzte ein bisschen Wachs vom Metallständer. Um auch die hinteren Stellen zu erreichen, kniete ich mich nieder und beugte mich vor. Auf einmal war es, als ob mich die Muttergottes berühren würde.

      „Danke, Babette“, flüsterte sie mir zu. Ich errötete und beeilte mich aufzustehen. Aus lauter Respekt murmelte ich ein Ave Maria - ich konnte nicht anders -, packte die Kerzenreste und schlüpfte aus der Kirche in das helle Sonnenlicht. Froh etwas Banales zu tun zu haben, steuerte ich den Mülleimer an, um die Kerzenreste wegzuwerfen.

      die sache mit der verantwortung

      Als ich wieder in die Kirche kam, war Tante Maria mittlerweile mit den Vorbereitungen für den Abendgottesdienst beschäfigt. Sie hielt das schwere Lektionar aufgeschlagen in ihrer Hand und war in das Evangelium vom Tag vertieft. Ich hörte, wie sie leise vor sich hinmurmelte.

      „Was gibt’s Tante Maria“, fragte ich.

      „Ach“, lachte sie auf, „sieh nur, das ist die Stelle von der Brotvermehrung. Na, wenn das keine Aufforderung ist. Wir sollten wirklich mehr selbst tun und Verantwortung übernehmen, und nicht immer wie Schafe hinterherlaufen und warten.“

      Ich verstand nicht. Selbst tun? Schafe? Ich musste Tante Maria ziemlich verständnislos angeblickt haben, denn sie schmunzelte und schob mir das Lektionar zu. Ich warf einen kurzen Blick auf die Überschrift: Die Speisung der Fünftausend.4

      „Die Geschichte kenne ich“, meinte ich gelangweilt. „Das ist die wunderbare Brotvermehrung. Die haben wir schon in der Volksschule gelernt. Da wird aus fünf Broten und zwei Fischen g a a a n z viel Essen.“ Bei ganz viel holte ich mit meinen Armen weit aus, wie um zu beweisen, dass ich die Geschichte schon kannte.

      „Ach, so?“ schaute mich Tante Maria mit einem spitzbübischen Blick an. Ich spürte, dass sie eigentlich auf etwas Anderes hinauswollte. Also lehnte ich mich zu ihr hinüber, legte meinen Kopf auf ihren Unterarm und schielte auf den Bibeltext. Tante Maria freute sich über mein Interesse und holte tief Luft.

      „Na, wir hatten doch letztens die Diskussion über Leonardo Boff“, sagte sie.

      Ich erinnerte mich natürlich nicht, nickte aber wissend.

      „Daraufhin habe ich mich gefragt, was eigentlich das Geheimnis der Bibelauslegung für die Armen ist. Was haben Gutierrez, Romero, Camera, Boff und all die anderen gemeint, als sie die Option für die Armen propagierten? Ich meine, Jesus hat doch immer schon die Armen und die Ausgegrenzten geliebt. Aber erst seit ich mich damit beschäftigt habe, wie das unterdrückte lateinamerikanische Volk die Bibel liest, habe ich verstanden, was für ein unheimlich sozialkritisches Potenzial in Jesus steckt.“

      Tante Maria machte eine kurze Pause. Ich schaute sie ehrfürchtig an. Damals kannte ich all diese Namen nicht und wusste schon gar nicht was sie mit sozialkritischem Potenzial meinte, aber ich fühlte, dass sie recht hatte.

      „Jesus macht es sich ganz schön bequem“, zwinkerte sie mir dann zu und grinste. „Er vollbringt gar kein magisches Wunder.“

      „Nicht?“ fragte ich erstaunt.

      „Nein, schau mal. Er sagt zu den Jüngern: Gebt ihr ihnen zu essen. Verstehst du? Jesus fordert ein. Er ist nicht der überfürsorgliche Papa, der sein Volk verwöhnt. Er fordert. Strengt Euch an! Tut! Gebt ihr ihnen zu essen. Denkt nach! Macht! Organisiert Euch! Sehen. Urteilen. Handeln. Das war schon für die christlich-soziale Arbeiterbewegung wichtig.“

      Ich wurde neugierig und blickte genauer auf den Text.

      „Die Jünger sorgen sich um das leibliche Wohl der Leute“, fuhr Tante Maria fort. „Unser tägliches Brot. Es geht um die Erfüllung der Grundbedürfnisse. Die Option für die Armen bedeutet, dass wir auf die Armen schauen sollen und ihre Bedürfnisse wahrnehmen sollen.“ Dann begann sie laut zu lesen:

       „Die Apostel versammelten sich wieder bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und


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