als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst

als die wahrheit noch männlich und katholisch war - Franziska Maria Papst


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und sozialmarktwirtschaftlich bewegen musste. Diese doppelte Prägung, das patriarchale Denken und das Hochhalten einer bestimmten Ideologie, sollte die Grundlage dafür bilden, dass ich mich in der Katholischen Kirche so richtig wohlfühlen würde. Patriarchales Denken bezieht sich nicht exklusiv auf eine Person, nämlich den Vater, wie man annehmen möchte, sondern Patriarchat und hierarchisch strukturierte Ideologien sind eng miteinander verknüpft. Doch dazu später.

      Als Kind erlebte ich das natürlich nicht so reflektiert, sondern eher selbstverständlich. Ich war nicht die einzige, die so erzogen wurde. Meine Mitschülerinnen in der Klosterschule und meine Freunde aus dem bürgerlichen Milieu trugen ihren Teil dazu bei, mein gesellschaftliches Umfeld als selbstverständlich zu empfinden.

      das brav-system

      In der Schule hatte ich schlechte Noten. Ich dachte, ich wäre dumm. Immer wenn ich mir etwas merken wollte, kam ein großer schwarzer Balken, der mir suggerierte: Babette, Du verstehst das nicht. Also begann ich erst gar nicht nachzudenken, sondern die Schule musste in irgendeiner Form absolviert werden.

      In Wirklichkeit war ich nicht dumm. Ich war sogar sehr intelligent, aber ich scheiterte an meinen eigenen, falschen Vorstellungen. Der Unterricht erschien mir wie ein Riesenberg Wissen, welcher vor allem eines abverlangte: sich diesen Wissensberg in einer ganz bestimmten Art und Weise zu merken. Es stand nicht zur Diskussion, ob diese einzelnen Wissensteile auch in irgendeiner Form zusammenhingen oder ob womöglich erkenntnistheoretische Fähigkeiten gefragt sein könnten.

      Bei meinen Eltern war sinnlose philosophische Denkakrobatik verpönt. Darunter verstanden sie die Beschäftigung mit dem Sinn des Lebens oder auch das Hinterfragen von Autoritäten. Wenn ein Politiker, ein Lehrer, ein Arzt oder eine andere gebildete Persönlichkeit etwas feststellte, dann war dies selbstverständlich als richtig hinzunehmen, so wie ich schon von klein auf gelernt hatte, einen Patriarchen nicht zu hinterfragen. Gleiches galt für die Schule und so verstand ich bald, dass eigentlich vor allem eines nötig war: Zu wissen wie der Lehrer tickte. Die Lehrer lobten, wenn man das wusste, was sie gesagt hatten und gaben schlechte Noten, wenn man sich anders verhielt. Objektiv gesehen war das vielleicht anders, aber es war das, was ich mir aus meinem kindlichen Erleben zusammenbastelte und was vor allem ausreichenden schulischen Erfolg brachte.

      Durch die Existenz dieses schwarzen Balkens hatte ich immer das Gefühl anders zu sein. Für meine Mitschüler schienen die Anforderungen der Schule nicht so umständlich zu sein. Sie hörten zu und lernten.

      Es war in der ersten Klasse Gymnasium, als wir eines Tages in der Schule einen alltäglichen Arbeitsauftrag bekamen. Wir sollten in unserem Hausübungsheft einen Aufsatz zum Thema Stephansdom gestalten. Wir hatten die Woche davor eine Exkursion in den Dom gemacht und dabei Fakten über die Stephanskirche und seine Geschichte gelernt. Aber statt die dort gekauften Postkarten einzukleben und die Geschichte von Meister Pilgrim wiederzugeben, hatte ich meine ganz eigenen Erinnerungen an den Stephansdom. Es soll dort täglich über 150 Messen gegeben haben (Wie ging das?) und das wurde erst im Zuge des Zweiten Vatikanums (Was war das?) abgeschafft. Und: der Stephansdom sei eigentlich eine Allerheiligenkirche, was ein gewisser Rudolf bewerkstelligt hätte. So begann ich mit einer Akribie viele verschiedene Heilige in mein Heft zu malen.

      Mein Vater hatte den 20-bändigen Brockhaus in seinem Studierzimmer stehen, was ihn nicht ohne Stolz erfüllte, schließlich war dieses Werk nicht billig gewesen. Ich hielt mich also für besonders schlau und schrieb den Absatz über das Zweite Vatikanum und die Liturgiereform ab. Soso - es gab seitdem keine Messen mehr in Latein, stellte ich mit Bedauern fest, erschienen mir doch Latein und Französisch als zwei wunderbare Sprachen.

      Ich bekam keinen Einser auf meine arbeitsintensive wunderbare Hausübung. Im Gegenteil. Die Lehrerin blickte mich strafend an. Das sähe man, dass ich beim Schulausflug überhaupt nicht aufgepasst hatte, meinte sie, denn Heilige abzumalen und etwas aus dem Lexikon abzuschreiben, was ich nicht verstehe, sei keine Leistung. Ich solle mich mit Gelerntem beschäftigen, denn in meinem Aufsatz, da stehe rein gar nichts über den Stephansdom. Ich war verzweifelt. Das vom Meister Pilgrim, das wusste doch schon jeder. Ich hatte gedacht, etwas viel Interessanteres gefunden zu haben, musste aber jetzt beschämt eingestehen, dass dem wohl nicht so war. Mit schlechtem Gewissen nahm ich mir vor nicht mehr in Eigenregie zu forschen und in Zukunft demütiger zu sein. Ich hatte begriffen, dass ich mir nicht einzubilden brauchte, dass der Brockhaus schlauer als unsere Lehrer wäre.

      Ähnliches passierte mir in Englisch. Ich fand den Englischunterricht ziemlich langweilig. Um nicht zu sagen ä u ß e r s t langweilig. Um mich zu beschäftigen, begann ich meine Hefteinträge spiegelverkehrt zu schreiben. Von rechts nach links. Anfangs war das eine ziemliche Herausforderung, doch bald machte es mir richtig Spaß. Ich tat dies so lange, bis meine Lehrerin die nicht korrekt eingetragenen Vokabeln bemerkte.

      „Was soll das Babette“, schimpfte sie. In meiner Schüchternheit wusste ich kaum zu antworten.

      „Wir üben uns hier nicht in Geheimschrift, sondern wir lernen Englisch. Wie willst du denn zuhause entziffern, was wir gelernt haben.“ Ich blickte mit rot angelaufenem Gesicht zu Boden. Durch die Rüge eingeschüchtert, traute ich mich nicht zu sagen, dass es ja wohl keinen Unterschied mache, ob ich die Vokabeln von links nach rechts oder von rechts nach links lesen würde. Leider hatte ich sie nicht gelernt und deshalb war meine schlechte Note vorprogrammiert. Ich fürchtete mich schon vor dem, was meine Eltern sagen würden, aber die Lehrerin gab sich damit zufrieden, dass ich das Heft neu schrieb. Von links nach rechts.

      Ich redete mir ein, dass dies nur unbedeutende kleine Schulerlebnisse wären. Aber all diese Kleinigkeiten indoktrinierten und durchdrangen mein Denken. Sie spiegelten auch den Mainstream einer Zeit wider, denn sie lehrten mich meinen Lehrern und nicht meiner Intuition zu gehorchen.

      Genauso ging es wohl meinen Lehrern, die, wenngleich eine Generation vor mir geboren, ihrerseits prägende kindliche Erfahrungen gemacht hatten. Auch sie waren durch unvorhergesehene Traumata beeinflusst und wurden zu Handlungsweisen verführt, die eines Lehrenden aus heutiger Sicht unwürdig sind. Es sind manchmal nur einzelne Worte, kleine Gesten oder auch gut gemeinte Ratschläge, die sich in unserer Erziehung breitmachen. Aber besteht Lebenserfahrung nicht aus tausenden kleinen Momenten? Manchmal sind es kleinste Blitzlichter der Erfahrung, die uns automatisch - wie ein verwundetes Wildkätzchen - reagieren lassen, weil sie unsere Überlebensinstinkte ansprechen. Um kindliche Prägungen zu reflektieren, zu kategorisieren und eine möglichst menschliche Entscheidung zu treffen, braucht es Zeit und die Distanz eines Erwachsenen. Um niedere Instinkte zu unterdrücken, wie beispielsweise auf Gewalt nicht wieder mit Gewalt zu reagieren, braucht es oft mehr als übermenschliche Anstrengung.

      Die Schule entsprach also nicht meinen Vorstellungen. Ich hinterfragte das jedoch nicht und versuchte mich anzupassen. An strenge unausgesprochene Regeln und konkrete Vorgaben gewöhnt, war ich ruhig und vor allem schüchtern. Alle vier waren wir ruhig und schüchtern, sei es in der Schule, zu Hause oder bei Freunden. Ich wusste, dass wir nicht widersprechen durften und schon gar nicht schreien oder provozieren.

      Mein Umfeld, der in ihr umherwandelnde Zeitgeist und ein patriarchal geprägtes Elternhaus, lehrten mich also das zu tun, was man von mir erwartete. Mehr noch, ich war gezwungen, ein vorauseilendes Feingefühl für unausgesprochene Befehle zu entwickeln. Die oberste Priorität war b r a v zu sein. Brav und folgsam bedeutete in meinem Fall schon im Vorhinein zu ahnen, was die jeweils übergeordnete Autoritätsperson von mir wollte und dementsprechend zu handeln. Kreativität oder Anderssein war gefährlich. Das scheint paradox in einer Zeit, die gerade einen Weltkrieg hinter sich hatte, der von eben dieser Haltung des Gehorsams geprägt gewesen war. Doch es war genau dieser Krieg gewesen, der Machtmissbrauch durch eine mit Gewalt untermauerte Autorität noch immer allgegenwärtig erscheinen ließ. Offenbar stufte mein Unterbewusstsein jegliche Form von Widerstand als lebensgefährlich ein. Ich hatte ständig Angst, etwas falsch zu machen.

      familienoberhaupt

      Wenn ich heute über meinen Vater schreibe und ihn als Patriarchen definieren kann, so mache ich das aus einer zeitlichen Distanz heraus. Damals war das anders. Mein Vater war mein Wunder-Vater. Zumindest in den Augen seiner Tochter. Er konnte alles, er wusste alles, er durfte alles.

      Ich war


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