als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst
Privatschule, man ging nicht nur sonntags zum Gottesdienst und die Meinung des Pfarrers war wichtig. Gleichzeitig war die Einstellung meiner Eltern, die Kirche betreffend, äußerst inkohärent. Mein atheistischer Vater hegte in Wirklichkeit einen verborgenen Hass auf alles Katholische, während meine Mutter unreflektiert bigott in die Kirche lief. Und obwohl ich darüber hinaus das Gefühl hatte, dass auch das Katholische irgendwie in konservativ und progressiv gespalten war, so war es doch, neben unserer internen patriarchalen Struktur, die einzig wahre Lebensform, der sich meine Eltern zuwandten, denn, noch schlimmer schien es, evangelisch zu sein.
Die Evangelischen waren zwar anerkannt, aber trotzdem diejenigen, die leider den falschen Glauben gewählt hatten und deswegen nie wirklich glücklich werden würden. Mir taten sie richtig leid. Ich fragte mich, warum ihnen noch keiner gesagt hatte, dass doch eigentlich unser Bekenntnis das Bessere war, denn dann würden doch alle sofort katholisch werden wollen.
Wenn meine Großeltern dieses Thema ansprachen, hatte ich den Eindruck, dass ihre Seele zu Höllenqualen verdammt sei, sollten sie es wagen, sich außerhalb der katholischen Kirche zu bewegen. Dieser Wahrheitsanspruch, dass die katholische Kirche die einzig Heilbringende sei, gründete auf eine Art Ausschließungsmechanismus gegen andere Konfessionen, der in unseren Familiendiskussionen immer wieder durchleuchtete.
„Ich habe das irgendwo von meinen Eltern mitgekriegt“, verteidigte sich Oma Emma immer, die in meinen Augen die katholischste aller Familienangehörigen war, wenn sie von meinem Großonkel auf die Sonntagspflicht angesprochen wurde. Für Großonkel Hans war die Sonntagspflicht eine reine Machtdemonstration der Kirche. Mein ältester Cousin bekam in solchen Momenten immer ein boshaftes Grinsen in den Augen.
„Ich überlege jetzt, evangelisch zu werden“, sagte er dann provokant.
„Na, bist deppert“, rief Tante Fini entsetzt, um dann gleich wieder zurück zu rudern. „Ich sag jetzt nicht, dass katholisch das Bessere ist, ich anerkenne die Evangelischen genauso. Aber ganz ehrlich, dieses neumodische Zeugs von den Evangelischen, die kommen immer weiter weg vom Glauben. Und eine Moral haben die, die lassen sich scheiden und dann heiraten sie wieder und lassen sich scheiden…“
„Geh, die sind wenigstens modern“, warf mein Cousin dazwischen.
Meine Großmutter väterlicherseits war da moderater.
„Na ja, ist uns halt so beigebracht worden“, versuchte sie einzulenken, „man hat ja in eine evangelische Kirche nicht mal hineinschauen dürfen. Das war alles so streng. Man hat das sogar gebeichtet.“
Und dann gab es noch unsere kirchenkritische Tante Burgi, die nicht müde wurde dieses und jenes an der katholischen Kirche zu kritisieren. Eines Sonntags fragte ich sie, warum sie denn nicht evangelisch geworden sei, wenn die Katholiken so falsch lägen.
„Evangelisch?“, rief sie ganz entsetzt, „Ich habe ja nichts angestellt? Warum sollte ich jetzt evangelisch werden?“
Evangelisch zu werden war offensichtlich eine Strafe, stellte ich fest. Zumindest für Tante Burgi war es so. Die Konfession zu wechseln kam einer Strafversetzung gleich. Man hatte evangelischen Kontakt nur, wenn es nötig war. Ich erinnerte mich an die Erzählung unserer Mesnerin, die gerne in der Kirche Orgel spielte.
„Ja, es war ja damals schlimm genug, dass ich einen Antrag stellen musste, dass ich in der evangelischen Kirche Orgelunterricht nehmen darf“, erzählte sie eines Tages nach einer Messe, als ich mit meiner Mutter vor der Kirche stand und diese die Mesnerin begeistert auf ihr Orgelspiel angesprochen hatte.
„Die allergrößte Bedrohung dieser Zeit kommt allerdings von außen“, raunte sie mir mit geheimnisvoller Stimme zu und beugte sich zu mir. „Es ist der Atheismus, der sich mit rasanter Geschwindigkeit in den kommunistischen Ländern Osteuropas ausbreitet. Nimm dich in Acht vor den Gottlosen, Babette“, warnte sie mich und erhob ihren Zeigefinger.
Es gab also etwas, was noch frevelhafter war, als evangelisch zu sein: Der Atheismus.
Der Atheismus unterdrückte im Kommunismus die armen Menschen jenseits der Mauer, wo sich das wüste Niemandsland erstreckte. Ich sah den Atheismus wie einen riesengroßen, metallenen, rostigen Roboter an der Grenze zur damaligen Tschechoslowakei stehen. Es war die einzige Grenze die ich kannte. Also stellte ich mir alle Grenzen gleich vor. Der Roboter rollte mit seinen furchterregenden Augen und schaute mit bösem Blick zu uns katholischen Österreichern herüber. Dann hob er seinen Arm, fuhr diesen wie ein Staubsaugerrohr aus und begann auf unserer Seite der Grenze alles Katholische weg zu saugen. Ich fürchtete mich, machte die Augen zu und flüchtete mich in die heile Welt meiner Familie. Denn, dass der Atheismus einmal bei uns ankommen könnte, wurde in unserer Familie als hoffentlich-niebei-uns ignoriert.
Nichtsdestotrotz fiel die erfolgreiche Polarisierung zwischen evangelisch und katholisch bei mir auf fruchtbaren Boden. Extra ecclesiam nulla salus – Außerhalb der Kirche kein Heil. Heute erscheint mir diese Definition wie aus dem tiefstem Mittelalter. Aber damals, ganz tief in meinem Inneren, gefiel es mir. Es gab mir Sicherheit. Extra ecclesiam war eine Vorstellung, die noch die Generation meiner Eltern in ihrem Denken und Handeln geprägt hatte. Mittlerweile, durch das Zweite Vatikanum revidiert, lässt sie Vertreter dieser Haltung als ultrakonservativ und intolerant erscheinen. Aber es war eine Definition, die sich nicht einfach aus den Köpfen streichen ließ. Die katholische Kirche definierte sich selbst als das Richtige und das evangelische Bekenntnis als das Falsche. Ob es wirklich richtig war, konnte ich aus meiner damaligen Perspektive nicht beurteilen. Ich war schließlich katholisch. Und ich empfand es für richtig. Mehr noch, es fühlte sich gut an. Ich gehörte dazu. Es gab mir Selbstbewusstsein und Identität. Meine Familie und mein katholisches Umfeld boten mir einen Platz in dieser großen weiten Welt.
„Du gehörst zu den Besseren, zu den Richtigen“, da war sie wieder, diese Stimme, die mir in zweifelhaften Momenten Sicherheit einflüsterte und schon ging es mir besser. Dazuzugehören. Welchem Mädchen in meinem Alter wäre das nicht wichtig gewesen?
kleinkariert und lila wolle
Auch eine katholische Klosterschule vereint Schüler mit den unterschiedlichsten Lebensentwürfen. Und so wurde ich in der Schule mit anderen Welten konfrontiert, die mir allerdings, im Vergleich zu meiner tollen Familienwelt, schäbig und kleinkariert erschienen. Schnell verurteilte ich andere als minderwertig, ohne zu hinterfragen, ob es nicht möglicherweise i c h war, die da eine zu enge Sicht besaß.
An den meisten meiner Klassenkolleginnen gingen die Neuerungen der Zeit nicht spurlos vorüber. Fernsehen und Auslandsreisen brachten die Globalisierung und mit ihr die Forderung nach Toleranz und die Sehnsucht nach einem Leben jenseits von Ideologien. Im Vergleich zu meinen Kolleginnen hatte ich ein sehr konservativ zugespitztes Weltbild, das ich mit wenigen Verbündeten teilte. Aber auch hier funktionierte der Trick mit Ausgrenzung und Entwertung der Anderen. Wenn ich auf meiner Sichtweise beharrte und mich selbst darin bestärkte, dass ich nur wegen meiner Besonderheiten eine Außenseiterin wäre, fühlte sich das schon ganz anders an. Ich war besser als die Anderen. Dieses Argument des Auserwählt-Seins konnte vor allem eines: mein schwaches Selbstbewusstsein heben und mich die Dinge wieder in einem anderen Licht sehen lassen, meinen kariert-gestreiften altmodischen Kleidungsstil zum Beispiel.
Kleidung zählte daheim zu den praktischen und nicht zu den schönen Dingen des Lebens. Natürlich war es selbstverständlich sauber gekleidet zu sein, aber für bunten, modischen Schnickschnack hatte man kein Geld. Meine Mutter hatte auch kein Gefühl dafür, ob etwas modern war oder nicht. Jetzt im Nachhinein betrachtet, war es für eine Nachkriegsgeneration natürlich selbstverständlich in den notwendigen Dingen des Lebens den Nutzen und nicht unbedingt die Schönheit zu sehen. Kleider wurden über die ganze Verwandtschaft hinweg weiterverteilt und auf gut erhaltene Stücke hatte man aufzupassen, damit auch noch Geschwister oder jüngere Cousinen ihre Freude daran hatten. Aus Sparsamkeit konnte so manches Kleidungsstück schon über mehrere Kindergenerationen vererbt werden, wobei ich mit meinen Erbstücken in der Schule schon mal einen Lacherfolg erzielte. Gott sei Dank hatte ich doch einige Freundinnen deren Eltern ähnlich dachten und die somit ein vergleichbares Schicksal erlitten. An Ausgrenzung gewöhnt, drehten wir den Spieß einfach um und waren dann die