als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst

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später zum Problem werden sollte. Denn was Authentizität im Kontext von Gehorsam bedeutet, habe ich erst viel später verstanden. Anfangs hatte ich nur ein diffuses Gefühl, dass mit meinem Wissen etwas nicht stimmte.

      Im Allgemeinen kam meine Bildung gut an. Wenn ich bei Familienfeiern mit meinen literarischen Kenntnissen protzte, gab es wohlwollende Ermunterungen von diversen Onkeln und Tanten. Doch obwohl ich mit meinem Wissen beeindrucken konnte, hatte ich selbst immer das Gefühl, dass es irgendwie nicht echt war. Unechtes Wissen? Wie sollte ich das verstehen?

      Es war wie in der Schule. Es war Wissen, gut und schön, aber ich wurde das Empfinden nicht los, dass all diese Bildung in der Luft zu hängen schien. Es waren Worte, die, wie losgerissene Papierdrachen im Herbstwind, ziellos durch die Luft torkelten, um schließlich geknickt in irgendeiner Baumkrone zu landen. Mein Wissen fühlte sich wie ein reines Anhäufen von Fakten und Daten an, die in meinem Gehirn schwirrten und keine Logik hatten. Mein Kopf war Tag und Nacht beschäftigt. Er arbeitete wie eine Registrierkasse, die Daten und Zahlen speicherte und abrechnete. Doch es war trügerisches, wertloses Wissen, ohne Sinn und ohne Ziel. Trotz aller Sachkenntnis war es, als ob ich vor einer riesengroßen Mauer stehen würde, die bunt mit vielen gescheiten Dingen zugeklebt war. Jedoch war es streng verboten, hinter die Mauer zu schauen.

      Es war im Grunde die gleiche Mauer, wie die, die ich aus meiner Kindheit kannte, in die ich hineinkriechen konnte und die Geschichten erzählte. Aber als ich nicht hinein in die Löcher der Phantasiewelt, sondern darüber hinaus in die Realität schauen wollte, wollte es mir nicht gelingen. Meine Sehnsucht nach dem, was ich hinter diesen Steinblöcken vermutete, wuchs.

      Rückblickend weiß ich, dass dieses Mauer-Gefühl besonders stark war, wenn ich nach den Ferien wieder nach Hause zurückkehrte. Das mochte wohl an der Freiheit liegen, die ich bei Tante Maria erfahren konnte. Ich erlebte bei ihr eine Weite im Denken, die daheim nicht erlaubt war.

      Im unscheinbaren Dorf meiner Tante schnupperte ich den Duft der großen fernen Welt. Wenn ich an so manchen Sommertagen neugierig auf der Straße zum Hotel saß, sah ich mir die Männer an und beschloss, sobald ich erwachsen wäre, einen davon zu heiraten. Er würde mir ferne Länder zeigen und mich fremde Kulturen lehren. In diesen kurzen Momenten der Freiheit ahnte ich, dass es da etwas geben musste, das mich einsperrte. Allerdings, kaum war ich zurück in der Stadt und von festen Familienstrukturen umgeben, war ich wieder kuschelig in meinen Glaubenssätzen eingemauert.

      Tante Maria hatte eine besondere Eigenschaft. Sie konnte reden. Aber sie plapperte nicht irgendetwas, sondern sie hatte die Fähigkeit Dinge auf eine ganz spezielle Art zu hinterfragen. Sie konnte Tatsachen in einem anderen Licht darstellen. Sie motivierte mich Schlechtes (zumindest das, was in meinen Augen schlecht war) erst einmal von einer anderen Seite zu sehen und Gutes kritisch zu durchleuchten. Sie analysierte die Schwierigkeiten des Lebens mit einer Leichtigkeit, die mir auf einmal erlaubte die Proletentussi vom Nachbarhaus nicht zu verurteilen. In meinen Augen war Tante Maria darüber hinaus supermodern. Sie beobachtete Veränderungen und Neues aufmerksam, interessierte sich für Weltpolitik und hatte einen besonderen Blick für den gesellschaftlichen Wandel.

      „Ach, wie hat sich doch die Welt für Frauen in den letzten Jahrzehnten verändert“, hörte ich sie seufzen. „Heutzutage kann jede alles werden.“

      Sie erzählte gerne von ihren Freundinnen, ihrer Mutter oder auch von ihrer Schwester, die schon verstorben war und die so gerne studiert hätte.

      „Bankhausbesitzerin, das wäre meine Mutter gerne geworden“, erzählte Großtante Maria. Ich musste lachen. Bankhausbesitzerin war ein interessantes Wort. Ich fragte mich, welche Vorstellung sich dahinter verbarg. Tante Maria bemerkte mein Amüsement und meinte verständnisvoll:

      „Ja, das kannst du dir schwer vorstellen, aber damals durfte eine verheiratete Frau ohne die Zustimmung ihres Mannes weder einem Broterwerb nachgehen, noch über ihr Geld verfügen, noch ihren Wohnort bestimmen. Aber meine Mutter hatte ein Händchen für Finanzen. Sie erlebte die Blütezeit des Aktienwesens und fieberte mit den Börsenkursen mit. Sie war eine von denen, die sich in der Habsburgermonarchie im Rahmen der bürgerlichen Frauenbewegung engagierten und Forderungen nach einem Wahlrecht für Frauen stellte.“ Tante Maria blickte mich stolz an.

      „Sie war eine sehr bemerkenswerte Frau, aber“, seufzte sie, „sie ist an der Enge der Rolle der Frau gescheitert.“ Meine Tante schwieg eine Weile und fuhr dann gedankenverloren fort: „Ich denke, sie konnte sich nie damit abfinden, dass sie in ihren Entscheidungen an meinen Vater gebunden war.“

      Bei solchen Gelegenheiten erwähnte Tante Maria auch oft ihre Schwester Felicitas. Ich kannte sie nur aus Erzählungen. Sie war um einige Jahre älter als Maria und schon vor meiner Geburt gestorben. Tante Maria beschrieb sie allerdings so ausführlich, dass sie für mich lebendig wurde. Fräulein Feli hieß sie. Sie war Lehrerin. Es war ihr Traumberuf.

      „Die Kinder liebten sie,“ schwärmte die Tante. Feli hätte gerne geheiratet. Aber weibliche Berufstätigkeit und Ehe waren damals unvereinbar und sie konnte sich nie dazu durchringen, ihren Beruf der Ehe zuliebe aufzugeben.

      „Verehrer hätte es damals genug gegeben“, meinte Tante Maria mit Wehmut, „was muss das wohl für eine schwere Entscheidung gewesen sein!“

      Ich denke meine Tante Maria hätte gerne einen anderen Beruf gewählt. Manchmal hatte ich den Eindruck sie wäre gerne Autorennfahrerin geworden, zumindest hatte sie eine Vorliebe für schräge Autos. Und sie hätte mit Sicherheit gerne studiert. Am liebsten etwas Technisches. Aber für eine Dame ihrer Generation undenkbar. Ein Studium zu absolvieren war schon sehr ungewöhnlich für Frauen, geschweige denn eines in einer absoluten Männerdomäne. In meinen Augen hätte sie leicht eine Frau Diplomingenieur werden können. Aber das Leben war anders. Sie hatte früh geheiratet und ihren Mann im Krieg verloren. Ohne Ausbildung und als Witwe schaffte sie es jedoch eine Anstellung in einem Lebensmittelgeschäft zu finden. Zehn Jahre später hatte sie ihr eigenes Geschäft. Sie erzählte oft über ihr Leben, über die Zeit im Krieg und danach und auch über ihre Wünsche und Träume, die sie nie verwirklichen konnte. Das Faszinierende an meiner Tante war allerdings, dass sie zwar bedauerte, dies oder das nicht gemacht zu haben, aber sie ertrank nicht in Selbstmitleid. Im Gegenteil, sie nahm das Leben mit einer gewissen Gelassenheit und sie wurde nicht müde, junge Leute in ihren Zukunftsplänen zu stärken.

      Bei meiner Tante spürte ich etwas, das ich daheim so nie kennengelernt hatte. Es war eine Gelassenheit, die mir Sicherheit gab. Es gab eine geheimnisvolle Kraft, die meine Tante trug und stärkte. In ihrer Gegenwart fühlte ich diese Sehnsucht nach etwas, was jenseits meiner Welt lag und eine unendliche und friedliche Ruhe ausstrahlte, die ich sonst nur von Friedhöfen kannte.

      kirchenparadies

      Es war Tante Maria, die mir diese spezielle Selbstverständlichkeit der Verbundenheit von Himmel und Erde vermittelte. Bei ihr wurde Kirche in einer Weise lebendig, die mir sprichwörtlich unter die Haut ging.

      Messbesuch war für meine Tante Pflicht. Somit war sie auch für uns Kinder selbstverständlich. Die Messe erlebte ich dort in einer Art und Weise, die mich geheimnisvoll anlockte. Der Rosenkranz vor dem Gottesdienst, den vorwiegend alte Frauen monoton vor sich hin beteten, hatte eine ganz eigene mystische Ausstrahlung, die mich in ihren Bann zog. Gleichzeitig hatte ich ein gespaltenes Verhältnis zum Rosenkranzgebet, vor allem wegen der zynischen Bemerkungen, die mein Vater für gewöhnlich fallen ließ und mit denen er meine Tante als bigott und weltfremd verurteilte.

      „Immer diese Madonnen-Frömmelei der alten Weiber“, fauchte er, wenn die Rede auf Rosenkranz oder andere Andachten kam. Mein Vater betrachtete den sonntäglichen Kirchgang sehr nüchtern. Er kam für ihn einer Schulstunde oder einer Nachrichtensendung gleich. Er schätzte gute Musik im Gottesdienst. Gebet oder gar ein meditativer oder künstlerischer Zugang waren ihm hingegen fremd. Wenn meine Mutter meinte, ihn an seine kirchlich-religiösen Pflichten erinnern zu müssen, und sei es nur ein einfaches Tischgebet, dann wich er gerne aus, vergrub sich hinter irgendwelchen Schreibarbeiten und wollte nicht gestört werden. Aber es war sowieso niemandem von uns ein Bedürfnis ihn zu stören.

      Bei meiner Tante erlebte ich das anders. Ihr machte es Spaß in die Kirche zu gehen. Sie war engagiert


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