Ich darf nichts sagen.. Johanna E. Cosack

Ich darf nichts sagen. - Johanna E. Cosack


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ist.«

      »Das ist doch nicht richtig. Ihr liebt euch doch und da macht man sich nicht so einfach auf und davon.« Wie um seiner Aussage mehr Nachdruck zu verleihen, haute er mit der Faust auf sein Schenkel.

      »Michael ist nicht einfach auf und davon …«

      »Doch! Er ist einfach weggerannt wie Papa damals. Ich sage dir, wenn ich dem jemals begegne, breche ich ihm die Nase, bevor er auch nur Guten Tag gesagt hat.«

      »Max! Das ist kompletter Unsinn. Michi und ich … wir lieben uns und werden bestimmt einen Weg finden, damit wir wieder alle zusammen sein können.« Und mehr zu sich selbst: »Papa hingegen ist bestimmt schon lange tot und irgendwo in Südamerika begraben.«

      Max beruhigte sich etwas, aber es war ihm anzusehen, dass er ihre Worte bezweifelte. Er sah sie eine Weile nachdenklich an, dann verschwand er wortlos in die Küche. Fünf Minuten später kam er mit einem Teller belegter Brote zurück.

      »Jetzt iss erst mal etwas. Ich vermute, du hast heute mal wieder keine Zeit zum Essen gehabt.« Max’ dunkle Augen strahlten vor Freude, als sie sich auf die Brote stürzte. Er füllte Wein nach und nachdem sie alles bis auf den letzten Krümel gegessen hatte, brachte er den leeren Teller wieder in die Küche.

      Nach ein paar Minuten kam er zurück. Seine kräftige Gestalt stand verloren mitten im Zimmer. »Nima, du solltest …« Er brach ab.

      Nina lief zu ihm. »Nichts sollte ich jetzt tun, außer dir Danke zu sagen. Das hat gut getan. Max, wenn ich dich nicht hätte …«

      »Wenn du mich nicht hättest, ging es dir besser und du könntest mit Michi nach Rom gehen.« Seine dunklen Augen glänzten feucht.

      Nina atmete ein, um sofort zu widersprechen, aber sie brachte kein Wort heraus. Sie riss sich zusammen. »Max, du redest wirklich Unsinn! Michis Auszug hat überhaupt nichts mit dir zu tun. Ich kann hier nicht so einfach alles stehen und liegen lassen. Jetzt geh schlafen und mach dir keine Sorgen. Ich komme schon klar.«

      Max tappte langsam zur Tür, aber sein Blick blieb auf Nina gerichtet, bedrückt und doch verständnisvoll zugleich. »Ich geh dann mal rüber. Ruf mich ruhig, wenn du Angst hast oder etwas sein sollte.« Nina knuffte ihn im Hinauslaufen heftig auf den Arm. »Keine Bange, ich weiß, dass ich einen starken Beschützer habe.«

      Nachdem Max das Wohnzimmer verlassen hatte, nahm sie erneut das Notenblatt und las Michis Brief immer wieder, bis die Schriftzüge vor ihren Augen verschwammen. Die Stille des sonst von Klaviertönen erfüllten Raumes war fremd und das Gespräch mit Max ging ihr nicht aus dem Kopf. Könnte sie ihn tatsächlich zurücklassen und Michael nach Rom folgen? Nein, niemals. Es musste doch eine andere Lösung geben. Die Idee schien wie ein egoistischer Verrat an dem kleinen Bruder zu sein. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis und trotz ihrer Müdigkeit war sie hellwach. Wie sollte sie Ruhe finden ohne Michis Geborgenheit? Schon allein die Vorstellung, ohne ihn einzuschlafen war unerträglich. Stundenlang saß sie regungslos im Sessel, Michis Brief in der Hand, ein weiteres Glas Rotwein in der anderen. Sie war so leer wie das Zimmer und die Flasche Wein vor ihr auf dem Tisch.

      Am nächsten Morgen weckte sie ein leises Klopfen an der Schlafzimmertür. Michi? Ninas Kopf dröhnte entsetzlich. Sie hatte keine Ahnung, wann oder wie sie überhaupt ins Bett gegangen war. Verwirrt öffnete sie die Tür, doch der Anblick ihres Bruders löschte die Vorstellung, dass Michi zurückgekehrt war, sofort wieder aus.

      Max hielt ihr ein Tablett mit Kaffee und frischen Brötchen entgegen.

      »Guten Morgen, Nima. Ich wollte dir nur ein Frühstück bringen.« Seine müden Augen wirkten tiefer als sonst, trotzdem versuchte er zu lächeln. »Ist alles okay? Oh je, ich glaube, ich sollte dir gleich noch ein Glas Wasser und Aspirin dazu stellen.«

      »Danke Maxi, das ist so lieb von dir. Aspirin könnte ich wirklich gut gebrauchen.« Sie nahm das Tablett entgegen und nippte kurz an dem Kaffee. »Mmm, schon viel besser.«

      Max blieb unschlüssig in der Tür stehen. »Du … ähm, kann ich irgendetwas für dich tun?«

      Nina strich ihre wirren Haare aus dem Gesicht und blickte ihn fest an. »Maxi, du tust doch schon so viel! Mach nicht so ein Theater um die Sache. Du weißt doch, dass wir bisher immer füreinander da waren, also werden wir auch die nächste Zeit überstehen. Michi wird sich bestimmt sehr bald telefonisch melden und dann sehen wir weiter. Es ist alles okay, du musst dir wirklich keine Sorgen machen.«

      Max zögerte. »Ja, vielleicht, ich weiß nicht.«

      »Ganz sicher, Kleiner! Und du musst jetzt los zu deiner Arbeit, sonst kommst du zu spät.« Nina schob ihn zur Tür hinaus mit der gesamten Kraft, die sie in diesem Moment aufbrachte. Irgendwie musste sie es schaffen, diesen Albtraum zu überleben, doch die leeren Regalfächer im Kleiderschrank versetzten ihr erneut einen Stich ins Herz. Das Gefühl allein zu sein, wenn auch nur für eine kurze Zeit, ohne Michaels Nähe war unerträglich. Seine Abwesenheit lag wie eine feste Schlinge um ihren Hals, die sie langsam zu erstickten drohte. Nicht nur Michis Weggang, vielmehr die Erkenntnis ihres eigenen Versagens, zog diese Schlinge immer fester. Nina riss das Fenster auf, aber der Dämon einer tief verankerten Einsamkeit erwachte und verhinderte, dass sie ihren Gefühlen Folge leistete.

      Von dem ausgiebigen Frühstück und zwei Kopfschmerztabletten gestärkt, rannte Nina eine Stunde später zu ihrem Wagen. Der Porsche heulte auf unter ihrer rücksichtslosen Fahrweise, und ein Radfahrer, den sie beinahe gestreift hätte, brüllte Beschimpfungen hinter ihr her. Sie krallte ihre Hände in das weiche Leder des Lenkrads und wischte immer wieder ihre Tränen ab.

      Auf ihrem Parkplatz bestätigte ein kurzer Blick in den Fahrerspiegel, dass sich ihr Aussehen von heute früh im Badezimmer kein bisschen gebessert hatte. Im Gegensatz zu ihren sonstigen Gewohnheiten schlich sie mit gesenktem Kopf vorsichtig zu ihrem Schreibtisch im ›Garten‹. Nur keine besorgten Fragen der Kollegen riskieren, denn ihr Kummer und die dunklen Augenringe ließen sich kaum wegschminken. Am liebsten wäre sie unsichtbar an diesem Morgen. Still arbeitete sie an einer Produktbroschüre und hoffte, dass ihr Verhalten niemand auffallen würde.

      Obwohl ihr Telefon Dutzende Male klingelte, hielt die Tarnung bis zum frühen Nachmittag. Dann aber wusste sie sofort, was auf sie zukam. Ein leises Bing des Mail-Eingangs ihres Macs hatte eine Katastrophe angekündigt, die jetzt in der Gestalt von Pierre auf ihren Schreibtisch zusteuerte.

      Pierre de Valois hieß eigentlich Peter de Valois, aber er legte großen Wert auf die französische Aussprache seines Namens und auf die Tatsache, dass er angeblich einem uralten Herrschergeschlecht aus der Auvergne angehörte. Er hatte eine der bedeutendsten Hochschulen in Paris besucht, die École nationale supérieure des Arts Décoratifs, und arbeitete seit vielen Jahren als Koordinator in der Kreativabteilung. Als Einziger in der Agentur trug er ausschließlich Anzüge, die ausnahmslos aus vergangenen Modeepochen stammten und – mit ungewöhnlichen Krawatten kombiniert – ihm den Ruf eingebracht hatten, ein Sonderling zu sein. Sein blasses Gesicht war stets glatt rasiert und die dunkelblonden Haare streng zu einem kurzen Zopf gebunden. Wie immer, wenn er eine positive Reaktion auf seinen Auftritt erwartete, hatte Pierre diesen siegessicheren Gesichtsausdruck und sein betont verbindliches Lächeln.

      »Nina, wie geht es dir?«

      Sie pustete eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. »Wieso fragst du? Eigentlich ganz gut.«

      »Nun … ich hatte schon letztens den Eindruck, dass dich etwas bedrückt. Und ich hoffe, dass es nichts mit unserer Arbeit zu tun hat?«

      Sie sah zu ihm auf. »Nein! Ganz sicher nicht und ich habe auch kein Problem, weder mit unserer Arbeit noch sonst.« Nina erschrak über ihren harten Ton und fügte versöhnlicher hinzu: »Pierre, ich mache gerade etwas Feinschliff an der Produktbroschüre für Hoffmann, die Nahrungsmittelergänzungen und so. Hab heute erst die Bilder aus dem Design bekommen.«

      »Oh je, die sind wirklich nicht die Schnellsten, gut, dass du das gleich in Angriff genommen hast. Der Entwurf war ja ganz okay. Aber jetzt verstehe ich, warum du dich heute so versteckt hältst.« Nina hielt seinem forschenden Blick stand, schwieg aber und unter dem Schreibtisch trommelten ihre Füße einen wilden Takt.

      »Alles


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