Verschlüsselt - Geheimnisse einer Stadt. Bianca Eckenstaler
Verschlüsselt
Geheimnisse einer Stadt
Bianca Eckenstaler
»Alle Dinge unter dem Himmel
haben ihr Sichtbares und Unsichtbares.
Das Sichtbare ist das Aussehen,
das Äußerliche, das Yang.
Das Unsichtbare ist
das innere Bild, das Yin.
Ein Yin, ein Yang:
Das ist das Tao.«
- Pu Yen-t‘u
(18. Jh., chinesischer Kunsthistoriker)
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© 2020 Bianca Eckenstaler
Projektkoordination: Bastian Steinbacher
Lektorat: Elisa Garrett
Umschlag & Satz: chaela · chaela.de
Illustration auf Umschlag: Sandra Berger · sandra-berger-art.de
Fotos: Mouayad Alsabbagh
Verlag: tredition GmbH, Halenreie 40–44, 22359 Hamburg
1. Auflage (Juli 2020)
978-3-347-11063-2 (Paperback)
978-3-347-11065-6 (e-Book)
Ich habe die Corona-Pandemie genutzt, um endlich meinen Wunsch zu erfüllen, dieses Buch zu schreiben. Da mir nun die Gelegenheit gegeben wurde, nutzte ich diese aktiv. Mein Gefühl sagte mir, dass sie jetzt gekommen war. Hinter jeder Krise verbirgt sich eine Chance.
Vielen Dank an meine Familie, die mich unterstützt und inspiriert hat, an meine Kollegen, mit denen ich meine Gedanken teilen konnte und die mir Mut machten, die Geschichte zu schreiben.
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen.
Die Personen und Handlungen sind frei erfunden, potenzielle Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen wären rein zufällig. Genannte Gebäude und Sehenswürdigkeiten sind real.
27.12. Drei Tage nach Heiligabend.
Sie leerte den Briefkasten und fand einen Brief, der ihre Welt mit einem Ruck zerstören sollte. Er war von ihrem langjährigen Partner, ihrer ersten großen Liebe, den sie seit einigen Monaten nicht mehr gesehen hatte. Seit Beginn seiner Marineausbildung bestand kaum noch Kontakt und sie hoffte, er würde sie am ersten Weihnachtsfeiertag besuchen. Aber er kam nicht und sie traute sich auch nicht, nachzufragen. Das Verhältnis zwischen ihr und seinen Eltern war ohnehin nicht gut, sodass sie beschloss zu warten; auf den Brief, der nun im Briefkasten lag:
Meine Liebe!
Ich kann so nicht weitermachen. Wir sehen uns kaum noch, ich bin viel unterwegs.
Es tut mir weh, dich weinen zu sehen, wenn wir uns verabschieden. Deswegen beende ich hiermit unsere Beziehung und wünsche dir ein schönes Leben.
Gruß
Tom
Der Schock saß tief. Ihr liefen die Tränen über die Wangen und sie fragte sich, wie er ihr das nur antun konnte. Sie machte sich Vorwürfe, suchte die Gründe bei sich. »Warum hat er nicht nochmal mit mir gesprochen? Es war nur eine Frage der Zeit, dass es kommen musste!« Instinktiv spürte sie beim letzten Mal bereits, dass sich etwas verändert hat.
Auf diese Weise wollte sie es auf keinen Fall beendet wissen. Sie nahm allen Mut zusammen und ging rüber zu seiner Wohnung, hoffte, ihn noch ein letztes Mal sprechen und ein letztes Mal umarmen zu können. Sie klingelte.
Sein Vater kam ans Sprachrohr.
»Ist Tom da?«, fragte sie.
Er brummte: »Nein. Er ist heute Morgen gefahren und kommt dieses Jahr auch nicht zurück.« Sie sah sich um, wusste nicht, was sie machen sollte. Sie wollte jetzt nicht nach Hause. Ihre Eltern hatten kein Verständnis für ihren Schmerz. Sie lief zum Haus ihrer Freundin Susi, doch sie war nicht zu Hause. Auch Anna war nicht da. Voller Schmerz und Wut lief sie durch die Stadt und weinte, Passanten schauten sie voller Mitleid an.
Es wurde bereits dunkel, doch nach Hause wollte sie immer noch nicht. Also ging sie dorthin, wo sie und Tom immer gewesen waren. Es war ein abgeschiedener Platz im Park, wo sie sich gern aufhielten und über verschiedene Dinge sprachen. Sie saß auf der Bank und schloss die Augen. Der Park war nur dürftig beleuchtet. Sie dachte an ihre Gespräche. Er wollte mit ihr zwei Kinder, ein Haus und an der See wohnen. Wieder kamen ihr die Tränen. Das Herz tat ihr weh. Das Atmen fiel ihr schwer. Sie kann nicht sagen, wie lange sie mit geschlossenen Augen auf der Bank saß. Sie vergaß völlig die Zeit. Am liebsten wäre sie dort sitzengeblieben und hätte alles um sich vergessen. Doch sie musste nach Hause. Es gab immer Ärger, wenn sie zu spät zu Hause war. Schweren Schrittes begab sie sich auf den Heimweg.
Bella war 20 Jahre alt. Sie und Tom wurden ein Paar, als sie 16 war. Sie war unscheinbar, wenig auffällig. Für die Schule tat sie sehr viel. Daher wurde sie auch oft Streberin genannt und war eher ungern gesehen. Doch wenn ihre Mitschüler Hilfe brauchten, unterstützte Bella sie. Bella war nicht nachtragend und bald erkannten auch die anderen, dass sie umgänglich war.
Kurz bevor sie den Park verließ, hörte sie ein leises Rascheln in einem Gebüsch. Sie blieb stehen. Da war es wieder – in der Dunkelheit konnte sie jedoch nichts erkennen. Eine Taschenlampe hatte sie nicht dabei, um zu leuchten. Langsam bewegte sie sich auf die raschelnde Stelle zu. Es wurde still. Sie hockte sich hin, um zwischen das Gebüsch schauen zu können. Sie sah etwas schimmern. »Was ist das?«, fragte sie sich und beugte sich nach vorne. Es sah aus wie ein leuchtender Schlüssel mit einer besonderen Verzierung. Sie schaute genauer hin: Es war tatsächlich ein Schlüssel. Sie streckte ihren Arm aus, doch kam nicht wirklich ran, das Gebüsch war zu dicht. In ihrer Nähe lag ein Stock, den sie nutzen wollte, um an den Schlüssel zu kommen. Das Rascheln war gänzlich verschwunden. Von einem Menschen oder Tier war nichts zu sehen. Sie streckte ihren Arm mit dem Stock aus und gelangte so an den Schlüssel. Sie schob die Spitze des Stocks durch die Öse und zog ihn mit dem Stock heraus. Als sie den Schlüssel berührte, hörte er auf zu leuchten. Sie steckte ihn ein und machte sich auf den Heimweg. Sie ging schnellen Schrittes, denn sie hatte nach Hause noch gut zu laufen und die Zeit wurde langsam knapp. Auf die letzte Minute schaffte sie es. Es war Punkt 18 Uhr. Zeit fürs Abendessen.
Als sie mit dem Abendessen und dem Abwasch fertig war, ging sie in ihr Zimmer. Ihre Gedanken kreisten nur um den Schlüssel und ließen sie ihren Schmerz kurz vergessen. »Du bist kein gewöhnlicher Schlüssel. Das spüre ich«, sagte sie und drehte ihn in ihrer Hand. Plötzlich hielt sie inne, sie erkannte eine Gravur auf dem Schlüsselhals, bestehend aus Zahlen und Buchstaben. Sie hielt ihn unter das Licht, da die Gravur kaum erkennbar war:
W1166-D08-D20
Sie las die Gravur mehrmals, aber konnte nichts damit anfangen. Vielleicht waren es Koordinaten. Doch wofür sollten sie stehen? Bedeuteten die Buchstaben Städte, Länder oder Himmelsrichtungen? Und die Zahlen? Sind es logische Zahlenfolgen aus der höheren Mathematik? Sie legte sich auf ihr Bett und dachte nach. Kurz darauf schlief sie ein.
Es war ein trauriger Tag für sie. Sie träumte von Tom, wie sie ihn umarmte und dankbar war, dass er sie nicht verlassen hatte.