Verschlüsselt - Geheimnisse einer Stadt. Bianca Eckenstaler

Verschlüsselt - Geheimnisse einer Stadt - Bianca Eckenstaler


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die ihr über die Wangen liefen, und dem Schluchzen wurde sie wach. Jetzt kam alles wieder hoch. Sie rollte sich in ihrem Bett zusammen, weinte und schlief wieder ein.

       28.12. 9: 00 Uhr.

       Frühstück.

      Obwohl es verlockend riechende aufgebackene Brötchen gab, wollte sie nicht aufstehen. Draußen war es schön, die Sonne schien ein wenig und machte die Umgebung zu einem klaren Wintertag. Sie wollte liegenbleiben, nichts hören und nichts sehen, nur allein sein. Sie verstand immer noch nicht, warum er ihr nicht die Möglichkeit gegeben hatte, sich wenigstens von ihm zu verabschieden und ihm für sein Leben alles Gute zu wünschen. Aus der Küche rief ihre Mutter: »Frühstück! Aufstehen!« Damit sie keinen Ärger bekam, stand sie auf, zog sich an und ging zum Frühstück.

      »Was ziehst du denn für ein Gesicht?«, fragte ihr Vater. Sie schaute ihn an und dachte, dass er es sowieso nicht verstehen würde. Ihren Eltern fiel es schwer, Gefühle und Verständnis zu zeigen, geschweige denn aufzubringen. Sie wurden so erzogen, dass Gefühle nur etwas für Schwache seien. Sie aß ihr Frühstück und dachte die ganze Zeit an Tom und den Schlüssel, der noch unter ihrem Kopfkissen lag. Sie hatte sich vorgenommen, erneut an den Ort zurückzukehren, an dem sie den Schlüssel gefunden hatte; vielleicht würde sie einen weiteren Gegenstand finden, zu dem der Schlüssel gehörte oder einen Hinweis, der ihr half, dessen Bedeutung zu ergründen.

      Ihre Eltern und ihre Schwester wollte sie nicht fragen. Im Moment wollte sie nur allein sein und ihre Ruhe haben. Nachdem sie die Arbeit im Haushalt erledigt hatte, ging sie mit dem Hund Tapsie in den Park und suchte die Stelle, an dem sie den Schlüssel gefunden hatte, der sich in ihrer rechten Jackentasche befand. Sie hielt ihn fest. Als sie sich der Fundstelle näherte, wurde der Schlüssel wärmer und begann zu glühen; für sie war es ein Zeichen, dass noch etwas dort sein musste, also kniete sie sich vor das Gebüsch und schob mit ihren Handschuhen die verwelkten Blätter beiseite. Tapsie war neugierig und lief zu der Stelle; zum Vorschein kam ein Kästchen. Sie nahm es und schüttelte den Gegenstand leicht. Aus ihm erklang ein Geräusch wie von gefaltetem Papier, welches sich hin und her bewegte. Doch das Kästchen hatte kein Loch, in das der Schlüssel gesteckt werden konnte. Es hatte ein vierstelliges Zahlenschloss – noch ein Rätsel. Sie schaute das Kästchen genauer an und fand eine Inschrift:

       In diesem Jahr wurde der Name deiner Stadtdas erste Mal urkundlich erwähnt.

       Es sind 4 Ziffern, aber nur zwei Zahlen.

      Kann damit wirklich »Delitzsch« gemeint sein? Sie wusste nicht, wann diese das erste Mal urkundlich erwähnt wurde. Sie beschloss, dieser Fragestellung nachzugehen und wurde von Heiterkeit gepackt. Sie würde in die Bibliothek gehen, die glücklicherweise geöffnet war. Den Bibliotheksausweis hatte sie auch dabei, und bevor sie sich auf den Weg machte, sah sie nochmal im Gebüsch nach, ob noch etwas anderes dort lag. Es schien alles gewesen zu sein, sodass sie zur Bibliothek aufbrach.

      Es war gegen 11: 30 Uhr, als ihr einfiel, dass es in 30 Minuten Mittag geben würde; sie musste pünktlich zurück sein, sonst würde es eine Strafe geben. Also rannte sie in die Bibliothek und wollte sich das Buch über ihre Stadt ausleihen. Sie rannte den ganzen Weg durch, Tapsie hielt ihr Tempo. Es glich einem Ausdauerlauf im Sport, sie brauchte zehn Minuten. Total abgehetzt betrat sie die Bibliothek, Tapsie band sie außerhalb am Gebäude an.

      »Oh, hallo Bella. Mach’ langsam. Wir haben noch bis 16 Uhr geöffnet!«, sprach die Mitarbeiterin sie freundlich an.

      »Hallo Frau Müller. Ich suche ein Buch über die Geschichte von Delitzsch. Ich muss einen Vortrag für Geschichte vorbereiten. Können Sie mir helfen?« Sie log, da sie glaubte, ihr würde ihre Version ohnehin niemand glauben.

      Frau Müller lächelte und antwortete: »Fleißig wie immer, Bella. Komm, ich zeige dir verschiedene Bücher!«

      Sie sah auf die Uhr, ihr blieb nicht viel Zeit. »Okay. Ja, zeigen Sie mir, wo die Bücher stehen.« Sie folgte ihr. Es waren drei Bücher, die sie am Ende mitnahm. Erst in vier Wochen musste sie sie zurückbringen; genug Zeit also, um das Rätsel zu lösen. Ihr Blick auf die Uhr verriet, dass sie nur noch zehn Minuten hatte, um pünktlich zu Hause zu sein. Das schaffte sie nicht. Sie beeilte sich dennoch. Als sie ankam, war es 5 Minuten nach 12.

      Vater stand auf und sah sie grimmig an.

      Sie zeigte die Bücher und sagte, dass sie in der Bibliothek gewesen sei und dabei die Zeit vergessen hatte. Außerdem wollte Tapsie nicht so schnell laufen. Trotzdem bekam sie nichts zu essen, was ihr recht sein sollte; sie hatte sowieso keinen Hunger.

      Nachdem sie ihre Jacke ausgezogen hatte, ging sie in ihr Zimmer und stellte das Kästchen auf ihren Schreibtisch, den Schlüssel legte sie daneben. Da ihre Eltern selten in ihr Zimmer kamen, hatte sie keine Angst, dass sie es mitbekamen. Sie las sich erneut den Text auf dem Kästchen durch und schrieb sich die Kombination vom Schlüsselhals ab. Dann legte sie beides unter ihr Kopfkissen und blätterte in den Büchern. Es war interessant, was sie über Delitzsch erfuhr. Sie stieß auf eine Tabelle mit Namen, welche Delitzsch bereits trug. Der erste Stadtname lautete Dieliz und wurde 1207 erwähnt. Sie war ganz aufgeregt. Bella nahm sich das Kästchen und gab die Zahlen eine nach der anderen ein. Doch als sie zum Schluss die Zahl 7 gestellt hatte, regte sich nichts. Sie versuchte es ein weiteres Mal, doch das Kästchen blieb verschlossen. Sie blätterte wiederholt in dem Buch. Doch sie fand keinen anderen Hinweis. Also nahm sie sich das nächste Buch vor. Es war etwas anders aufgebaut. Viele Zahlen sprangen ihr entgegen. Sie las den Text des Kästchens erneut. Erst jetzt fiel ihr der Hinweis auf, dass es zwar vier Ziffern sind, aber nur zwei Zahlen. Also müssten die Zahlen doppelt vorkommen. Sie schaute, ob sie eine solche Zahl finden konnte. Ja, da war sie, 1166. Erst jetzt fiel ihr auf, dass diese Zahl auf dem Schlüssel graviert war. Sie fasste sich an den Kopf und musste grinsen.

      Sie gab die Zahl vorsichtig ein und der Deckel des Kästchens öffnete sich leicht. Sie hatte es geschafft, das erste Rätsel war gelöst! Sie hob den Deckel an und entnahm den gefalteten Zettel. Auf diesem stand:

       Geh’ an den Ort, der Hoffnung gibt.

       Es ist ein Ort der Harmonie und Vollkommenheit.

       Es ist der Ort des Alpha und des Omega.

      Ein weiterer Hinweis, doch … wo sollte dieser Ort sein? Was bedeutete Alpha und Omega? Sie war überfragt, ihr Kopf pochte. Sie wollte sich ausruhen, legte sich aufs Bett und schloss die Augen. Vor ihr erschien Tom, wieder spürte sie den Stich in ihrem Herzen. Sie hatte es Susi und Anna noch nicht erzählt, doch jetzt mochte sie auch nicht mit ihnen reden. Ihr Bauch knurrte. Sie ignorierte das Knurren und schlief ein.

      Nachdem sie wiedererwachte, kam ihr eine Idee: Vielleicht war eine der Kirchen gemeint, die es in Delitzsch gab? Kirchen gaben den Menschen in schweren Zeiten Hoffnung und Ruhe. Sie sahen in Jesus die Vollkommenheit. Doch welche war es? Sie musste unbedingt die Bedeutung von Alpha und Omega herausbekommen. Deswegen ging sie erneut in die Bibliothek. Sie nahm zwei der drei geliehenen Bücher mit, um sie zurückzugeben. »Frau Müller, können Sie mir sagen, was Alpha und Omega bedeuten?«, fragte Bella.

      Frau Müller verzog die Stirn. Sie dachte nach. »Alpha und Omega sind Zeichen aus dem griechischen Alphabet«, meinte sie, »… außerdem steht Alpha für den Anfang und Omega für das Ende.« Sie zog ein Tafelwerk aus dem Regal, zeigte Bella die Zeichen für Alpha und für Omega und schrieb die Zeichen ab.

      »Danke, Frau Müller.« Bella traute sich nicht, sie zu fragen, was dieses Rätsel bedeuteten könnte, denn sie hatte Angst, dass Frau Müller wissen wollte, woher sie es hatte. Sie verabschiedete sich und ging in den Park. Sie setzte sich auf die besagte Bank und schloss die Augen. Sie holte sich den Moment zurück, als Tom sie das erste Mal richtig küsste. Sie trafen sich im Kellerflur, denn Tom wohnte im Nebeneingang. Das war praktisch; sie standen sich schüchtern gegenüber. Inzwischen waren es bestimmt vier Monate, die sie beide zusammen waren. Doch körperlich wurden sie noch lange nicht. Sie hatte Angst, etwas falsch zu machen und war deswegen sehr zögerlich. Ihm schien es genauso zu gehen.


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