Verschlüsselt - Geheimnisse einer Stadt. Bianca Eckenstaler
Background nicht besaß. Folglich hatte sie sich für verschiedene Ausbildungen beworben und letztendlich fing sie in einem tollen Unternehmen an. Sie durchlief verschiedene Abteilungen, lernte eine Menge Mitarbeiter und die betrieblichen Abläufe kennen. Das praktische Denken fiel ihr schwer, sie sah sich eher als Theoretikerin. Manche Mitarbeiter hatten keine Geduld mit ihr oder behandelten sie wie ein Dummchen, was ihr jedoch nichts ausmachte.
Ihr Ausbilder sagte immer: »Lehrjahre sind keine Herrenjahre!« Nächstes Jahr standen die Zwischenprüfung an, wofür sie vier Wochen lernen würde.
Sie konnte nicht lange im Voraus lernen, weil sie einen gewissen Druck beim Lernen brauchte, das war auch beim Abitur so gewesen.
Bella wachte zeitiger auf als sonst. Da sie nicht mehr schlafen konnte, beschloss sie, heute das Frühstück zu machen, um die Eltern zu überraschen und schlich leise in die Küche.
Als ihr Vater aus dem Schlafzimmer kam, duftete es schon nach Kaffee und frischen Brötchen. Er sah sie an und lächelte. Dann kam er auf sie zu und nahm sie in den Arm – genau das brauchte sie.
Sie schmiegte sich an ihn und Tränen kullerten über ihre Wangen.
Er verstand und sagte: »Es tut mir leid, dass du dich so fühlst.«
Sie schaute ihn an.
Er drückte sie fest und meinte: »Enttäuschungen und Schmerz gehören zu einer Beziehung. Es wird vergehen.«
Bella löste sich: »Danke Paps.« Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und deckte weiter den Tisch.
Auch ihre Mutter freute sich über die Überraschung.
»Mutsch, ich gehe nachher nochmal in die Bibliothek. Ich muss in Ethik einen Vortrag ausarbeiten. Zum Mittag bin ich aber dieses Mal pünktlich.« Sie wollte ihren Eltern nichts von der Schnitzeljagd erzählen. Gegen 10 verließ sie die Wohnung und fuhr mit dem Fahrrad zum Friedhof. Sie hatte das Kästchen und den Schlüssel in ihren Rucksack getan. Das wollte sie keinesfalls zu Hause lassen.
Beim Friedhof angekommen, stellte sie ihr Fahrrad in den Fahrradständer vor dem Eingang und schloss es ab. Sie ging über den Friedhof. Es schauderte sie schon ein wenig. Bislang hatte sie sich mit dem Tod noch nicht auseinandersetzen müssen. Doch der Friedhof hatte auch etwas von Ruhe, Frieden und Harmonie. Links von ihr führte ein Weg zur Kapelle. Sie hoffte, dass sie offen war. Sie hatte Glück. Doch sie konnte nicht rein, denn es fand gerade eine Beerdigung statt. Traurig. Die Angehörigen weinten. Die Atmosphäre war mit Traurigkeit und Leid durchzogen. Bella setzte sich auf eine Bank mit dem Blick auf die Tür der Kapelle. Sie dachte an die Situation mit ihrem Vater zurück. Wieder stiegen Tränen in ihr hoch. Nach etwa 30 Minuten kamen die Trauernden aus der Kapelle, angeführt durch den Trauerredner und die Gehilfen, die die Urne des Verstorbenen trugen. Sie liefen zu dem Platz, wo die Urne herabgelassen werden sollte.
Als die Kapelle leer war, ging sie hinein. Zum Glück war sie allein in dem Raum, sodass sie in Ruhe nachsehen konnte, ob sie Hinweise fand. Die Kapelle war nicht groß, es befanden sich Bänke und Stühle sowie ein Rednerpult darin. Auch ein Abbild von Jesus war an der Wand. Irgendetwas sagte ihr, dass sie am richtigen Ort war, sie musste nur richtig schauen. Sie war aufgeregt, was würde sie finden? Bella lief nach vorne an das Rednerpult. Ihr fiel ein Stuhl auf, der schon einige Jahrhunderte alt sein musste. Er war kompakt und wirkte aufgrund seiner Bauart ziemlich stabil, seine Beine waren breit und die Lehne sah ebenfalls fest aus. Auch die Sitzfläche schien robust, wenn auch nicht wie bei einem normalen Stuhl. Eher wirkte sie wie ein doppelter Boden, als wären zwei feste Bretter übereinandergelegt und danach die Polsterung aufgezogen. Sie wollte ihn näher betrachten und versicherte sich vorher, dass niemand in die Kapelle kam. An den Beinen fand sie nichts. Sie suchte an den Armlehnen. Auch dort war nichts zu erkennen, genau wie bei der Rückenlehne. Sie setzte sich auf ihn und hoffte, er würde sie aushalten. Er war aus gutem Holz gefertigt. Sie lehnte sich an, schloss die Augen und fuhr mit ihren Händen an den Armlehnen entlang, oben und unterhalb. Stopp – sie spürte etwas. Sie stand auf und schaute unter die Armlehnen. Auf der linken Seite fand sie das Alpha und auf der rechten das Omega. Ja, sie war richtig, sie hat es gefunden. Doch wie ging es jetzt weiter? Was sollte sie jetzt machen? Es gab keine Einbuchtung, welche auf ein Schlüsselloch hinwies. Wieder setzte sie sich auf die Sitzfläche und schloss die Augen. Sie dachte nach. Sie hatte schon einige solcher Filme gesehen, in denen in Gegenständen Geheimfächer eingebaut waren. Sie musste nur den Zugang finden. Also tastete sie den Stuhl überall ab. Doch sie konnte an den Flächen nichts entdecken. Vielleicht ist es in den Beinen versteckt, sie wollte ihn hochheben und umdrehen, doch er war ziemlich schwer, sodass sie zuerst die vorderen Beine hochhob. Dort war nichts. Die Standflächen der Beine waren glatt. Ein wenig enttäuscht hob sie die hinteren Beine hoch. Ja, auf beiden Seiten befanden sich Einbuchtungen. Sie sahen aus wie zwei Knöpfe – welchen musste sie drücken? Beide nacheinander in einer bestimmten Reihenfolge oder zusammen? Sie hatte Angst, dass der Stuhl kaputt gehen würde, wenn sie etwas Falsches tat. Sie besann sich auf die Zeichen. Alpha steht für Anfang und Omega für das Ende. Sie entschied sich zuerst den Knopf in dem Bein auf der Seite des Alpha zu drücken und anschließend die Seite des Omega. Sie lag richtig. Es klickte. Die Sitzfläche des Stuhls bewegte sich kurz. Es hatte sich ein Verschluss gelöst. Ihr Herz schlug schneller. Was würde sie jetzt finden? Sie nahm Stimmen wahr. Oh je. Sie musste sich beeilen. Sie hob die Polsterung hoch und fand ein weiteres Kästchen. Bella nahm es, steckte es in den Rucksack und schloss die Polsterung. Sie vernahm erneut ein Klicken. Der Verschluss war wieder eingerastet. Gerade als sie am Rednerpult vorbeilief, kamen die Mitarbeiter des Beerdigungsinstituts in die Kapelle. Die Beerdigung war vorbei. Bella grüßte freundlich und verließ rasch das Gebäude. Sie wollte sich nicht erklären. Die Bestatter schauten ihr fragend hinterher, ließen sie jedoch gehen. Bella machte sich auf den Heimweg. Es war bald Mittagszeit und sie würde sich das Kästchen zu Hause anschauen.
»Ich bin wieder zu Hause«, rief sie, als sie zur Tür reinkam. Sie roch schon die Kartoffeln. Ihr Magen regte sich. Bis das Essen fertig war, würde sie versuchen, das Kästchen zu öffnen. Das Kästchen unterschied sich in der Farbe von dem anderen. Das Erste war grün, dieses war braun. Hatte die Farbe etwas zu sagen? Vielleicht erschloss es sich, wenn sie wusste, was in dem Kästchen ist. Auch auf diesem befand sich eine Inschrift und ein Zahlenschloss. Die Inschrift lautete:
Ein Gesöff für jeder Mann,von dem er nicht genug bekommen kann.
Es heilt die Kranken und stärkt die Schwachen.
Bella zog ihre Augenbrauen hoch. Was bedeutete das? Bezog es sich auf Medizin? Aber welche Medizin trank ›jedermann‹? Sie stand auf und lief zum Fenster. Von ihrem Zimmer aus konnte sie das Fenster von Anna sehen. Sie wohnte zirka 400 Meter Luftlinie entfernt. Anna, Susi und sie wollten am 30.12. mit dem Bus nach Amsterdam fahren und dort auf einem Schiff Silvester feiern. Es gab asiatisches Essen. Am 01.01. kämen sie zurück. Bella musste demnach schnell machen, damit sie weiterkam. Abfahrt ist am 30.12. um 10 Uhr. Sie hatte nur noch heute und dann wieder am 02.01. Zeit. Sie war froh, dass sie die erste Januarwoche noch Urlaub genommen hatte. Dann hätte sie genug Zeit, das Rätsel zu lösen, und das Schloss, zu dem der Schlüssel passte, zu finden. Das Rufen ihrer Mutter riss sie aus ihren Gedanken. Das Essen war fertig. Sie würde nachher weitermachen.
Ihr Vater trank zum Mittag immer ein Gläschen Bier. Das würde den Geschmack komplett machen, meinte er. Sie konnte sich das überhaupt nicht vorstellen. Das Mittagessen schmeckte ihr. Es gab Kartoffeln, Buletten und Rotkraut. Als Nachtisch gab es Kirschen aus dem Glas. Nun war sie satt. Nach dem Abwaschen ging sie zurück in ihr Zimmer. Sie war müde. Doch sie wollte jetzt nicht schlafen. Das Rätsel ging ihr nicht aus dem Kopf. Immer und immer wieder las sie es. Es musste etwas aus der Geschichte von Delitzsch sein, dachte sie. Sie blätterte in dem Buch, welches sie sich aus der Bibliothek ausgeliehen hatte. Doch wo sollte sie suchen? Sie ging die Seiten durch. Von Medizin las sie nichts. Allerdings fand sie einen Text über die Wirtschaft von Delitzsch. Darin hieß es, dass das Handwerk und die Herstellung sowie der Verkauf von Bier die wirtschaftliche Grundlage bildeten. Sie nahm sich erneut den Zettel zur Hand und las den Text. Jetzt fiel es ihr auf. »Jeder Mann« stand auf