Wer auf dich wartet. Gytha Lodge
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Gytha Lodge
Wer auf dich wartet
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Kristian Lutze
Hoffmann und Campe
Dieses Buch ist zwei Pauls gewidmet. Herrn Paul Brooke, dem leidenschaftlichen, inspirierenden Englischlehrer. Sie haben so vielen Ihrer Schüler beigebracht, Bücher zu lieben, und sie so zu Schriftstellern gemacht. Grazie. Und Herrn Dr. Paul Worth alias der sexy Neurologe. Ich bin äußerst dankbar, einen so unermüdlich unterstützenden, intelligenten, freundlichen und unglaublich albernen Menschen an meiner Seite zu haben. Dir gilt all meine Liebe und mein Dank.
Prolog
Ein Klicken im Haus ließ ihn erstarren. Mit rasendem Herzen blickte er zu der geschlossenen Tür. War das die Haustür? War jemand hereingekommen?
Aidan wandte den Kopf und lauschte angestrengt. Ein Schritt, raschelnde Bewegungen.
Aber da war nichts. Bloß das Knarren von Holz, das sich irgendwo zusammenzog, die normalen Geräusche des Hauses.
Er versuchte, gegen seine Anspannung anzuatmen. Die ganze Woche hatte er sich auf diesen Abend gefreut. Er hatte ausnahmsweise einmal keine Verpflichtungen und hatte sich ausgemalt, ungestört Zeit mit Zoe zu verbringen. Aber so war es natürlich nicht gekommen. Vielleicht hatte er Zeit, aber Zoe hatte ihre eigenen Pläne. Er wartete wieder einmal auf elf Uhr. Ein normaler frustrierender Donnerstag.
Anstatt es sich mit einem Film auf dem Sofa bequem zu machen, hatte er vor seinem Rechner gehockt und Zoes Skype-Icon beobachtet, um den Moment nicht zu verpassen, in dem sie ihren Rechner einschaltete. Aber es war hartnäckig rot geblieben, und er hatte Stunden damit vergeudet, sich durch Nachrichtenseiten zu scrollen und Artikel zu lesen.
Wie viele Abende hatte er schon so verbracht, nur darauf wartend, dass Zoe endlich online ging? Jedes zweite Mal war sie zu spät. Anfangs hatte er deswegen geschmollt, bis er begriffen hatte, dass sein Schmollen sie rebellisch machte. Sie musste sich frei fühlen.
Er hatte ihre Bedingungen wohl oder übel zu akzeptieren gelernt. Er war eben nicht der Einzige, der ein geschäftiges Leben führte, um das herum geplant werden musste.
Um Viertel nach zehn wurde Zoes Icon grün. Er brauchte nicht länger als eine Sekunde, um die Verbindung herzustellen.
Sein Anruf wurde sofort angenommen, und er lächelte schon erwartungsvoll, bevor das Bild erschien. Aber dann sah er, dass Zoes Stuhl leer war. Sie war nicht in Sichtweite der Kamera, ein sich bewegender Schatten an der Wand der einzige Beweis für ihre Anwesenheit. Was machte sie?
Er stellte die Lautstärke höher und hörte im Hintergrund Wasser laufen. Wollte sie ein Bad nehmen? Jetzt? Es musste sich um eine Art Spiel handeln. Wie wenn sie sich für ihn auszog, ihr Blick distanziert, ihr Mund nur ganz leicht geöffnet. Es hatte ihn wahnsinnig gemacht.
Aber was brachte es, wenn er sie nicht sehen konnte? Frustriert passte er seinen eigenen Bildschirm an, aber das änderte natürlich nichts an dem Bildausschnitt des Raumes, den die Kamera erfasste. Er sah nur den leeren Stuhl und dahinter die Wand mit einem Stück Vorhang an einem und den Türangeln der Haustür am anderen Rand.
Das Geräusch des laufenden Wassers verstummte, und man hörte Bewegungen und das Quietschen nasser Haut auf der Kunststoffbeschichtung der Wanne. Aidan seufzte. Sie nahm tatsächlich ein Bad, während er hier saß und wartete.
Er überlegte, aus Protest aufzulegen. Aber dann würde er womöglich verpassen, sie nackt und tropfnass zu sehen. Oder ihre Brüste nur knapp von einem Handtuch gehalten, während sie sich zur Kamera beugte.
Er vernahm ein weiteres Geräusch in seinem eigenen Haus, und obwohl es aus dem ersten Stock kam, hielt er inne und lauschte, den Blick starr auf die Wand gerichtet. Als nichts weiter zu hören war, entspannte er sich wieder. Warum war er heute Abend bloß so nervös?
Und dann hörte er ein Klicken. Er sah die Bewegung auf dem Bildschirm und begriff, dass es die Tür von Zoes Wohnung war. Sie bewegte sich, schwang nach innen, wie der kleine Ausschnitt verriet, der in seinem Blickfeld lag.
Im selben Moment erfasste ihn nackte Angst. Hatte sie einen anderen Mann eingeladen? Erlaubte sie jemandem, sie beim Baden zu betrachten, sie womöglich zu berühren, während er zum Zusehen gezwungen war?
Er wartete, dass der Ankömmling einen Gruß rufen würde, doch die Tür wurde fast lautlos wieder geschlossen, und auch sonst blieb es still. Er drehte seinen Lautsprecher noch ein wenig lauter. Er hörte ein leises Summen und dahinter das Geplätscher von Wasser, als Zoe sich in der Badewanne bewegte. Wenn er sich sehr konzentrierte, konnte er leise Schritte vernehmen. Wer immer hereingekommen war, ging durch das Zimmer.
Kurz darauf hörte man eine plötzliche Bewegung aus dem Bad und Zoes überrascht erhobene Stimme.
»Was … mein Gott. Was soll das denn?« Und dann etwas, das beinahe klang wie ein Lachen, aber ein ängstliches Lachen. »Also, ich … es … es tut mir wirklich leid …«
Es klickte zweimal kurz hintereinander, und das Geplätscher wurde leiser. Wer immer hereingekommen war, hatte die Badezimmertür zugemacht und abgeschlossen.
Sein Herz schlug wieder wie wild. Wer war ins Badezimmer gegangen? Wer zum Teufel schloss sich dort mit ihr ein?
Und dann waren andere Geräusche zu hören. Geräusche, die eindeutig auf einen Kampf hindeuteten. Zoes gedämpfte Stimme klang heiser und verzweifelt.
Dann trat abrupt Stille ein. Absolute Stille.
Seine Angst war jetzt anders. Irgendetwas war bei Zoe ganz und gar nicht in Ordnung.
Er musste etwas unternehmen. Er musste ihr helfen. O Gott, was, wenn er zu spät kam?
Er wühlte hektisch auf seinem Schreibtisch herum, bis er das Telefon fand, und hatte bereits begonnen, dreimal die Neun zu wählen, als ihm klar wurde, was das für ihn bedeuten würde. Er zögerte. Er sah es vor sich: den Anruf, die Folgen, man würde ihn auffordern, eine Aussage bei der Polizei zu machen. Alles würde schließlich ans Licht kommen, und sein Leben wäre zerstört.
Und dann hörte er es erneut zweimal klicken, als die Badezimmertür wieder geöffnet wurde. Dieselben leisen, gemessenen Schritte und dann eine Pause. Ein Schlurfen, das er nicht zu deuten wusste. Er versuchte, den Eindringling mit schierer Willenskraft dazu zu bewegen, ins Bild zu treten und sein Gesicht zu zeigen. Aber nach einer Weile gingen die Schritte weiter, und die Tür schwang auf. Die Gestalt, die er nie gesehen hatte, verließ die Wohnung, und die Tür fiel wieder ins Schloss.
1.
Jonah hätte die Angelegenheit beinahe unter den Tisch fallenlassen. Den Anruf. Die Meldung wäre ihm beinahe durchgerutscht.
Später fragte er sich, welchen Unterschied das gemacht hätte. Wie man es eben tat, wenn man einen Fall abschloss. Man suchte nach Fehlern und dem Gegenteil, nach dem, was man gut gemacht hatte. Man fragte sich, wie das die Ermittlung beeinflusst hatte, und in diesem Fall schwebte das größte Fragezeichen über der Meldung eines Mordes, die ihm beinahe durchgerutscht wäre. Er fragte sich, ob die Dinge anders gelaufen wären, wenn er früher gehandelt hätte, und wie sie sich entwickelt hätten, wenn er gar nicht reagiert hätte.
Es war durchaus möglich, dass weder das eine noch das andere irgendetwas bewirkt hätte. Vielleicht wären die Ereignisse trotzdem unerbittlich auf dieses Ende zugesteuert. Aber vielleicht wäre auch alles ganz anders gekommen.
Zum ersten Mal war ihm der Anruf am Ende einer quälenden freitagmorgendlichen Dienstbesprechung untergekommen. Die Abwesenheit von Detective Chief Inspector Wilkinson hatte das Ganze noch schlimmer gemacht. Ohne sein gnadenloses Pochen auf die Tagesordnung war das Meeting in Diskussionen über jedes Detail ausgeufert, eine deprimierend langwierige Veranstaltung.
Zuletzt hatten sie sich noch dazu durchgerungen, die anstehenden Fälle zu verteilen, und Yvonne Heerden, seine engagierte Amtskollegin bei der uniformierten