Wer auf dich wartet. Gytha Lodge
Freund hat vergeblich versucht, sie zu erreichen«, erklärte Jonah. »Es könnte sich auch als gegenstandslos erweisen. Das ist häufig so. Aber könnten Sie vielleicht bei Zoes Freundinnen nachfragen? Oder bei ihrer Mutter?«
»Okay. Ich … höre mich um.«
Jonah gab ihm die Nummer der Zentrale und legte auf. Er las die zweite Meldung noch einmal sorgfältig durch. Der Absender hatte keine Kontaktdaten angegeben. Die E-Mail-Adresse lautete »[email protected]«, was beunruhigend war. Als Adresse des Tatorts wurde lediglich Southampton genannt.
Sieben Minuten später rief Martin Swardadine zurück, um mitzuteilen, dass seit gestern Abend niemand von Zoe gehört hatte. Weitere zehn Minuten später hatte Jonah das Kommissariat verlassen und raste zu Zoes Wohnung.
Angeline konnte nicht aufhören zu zittern. Das hatte mit dem Polizeiauto angefangen. Bis dahin hatte sie sich eigentlich keine Sorgen gemacht. Das Ganze schien ihr vor allem lästig, aufs Rad zu steigen und im kalten Gegenwind dorthin zu radeln, während sie eigentlich müde und mit ihren Abgabeterminen im Verzug war. Außerdem hatte sie kein geladenes Fahrradlicht gefunden, und es war um halb drei schon so trüb, dass es früh dämmern würde.
Aber der Streifenwagen hatte das irgendwie geändert. Sie hatte sich den Detective, mit dem sie gesprochen hatte, als normale Person vorgestellt, nicht als jemanden in Uniform. Er hatte so gelassen geklungen. Er hatte sie gebeten, einigen Polizisten Zoes Wohnung aufzuschließen. Er würde selbst in Kürze eintreffen und sich vergewissern, dass alles in Ordnung war.
Er hatte so ruhig geklungen, dass sie sich gar nichts dabei gedacht hatte. Aber als sie sich jetzt einem Streifenwagen und einem Polizisten und einer Polizistin in Uniform gegenübersah, wurde ihr fast übel vor Angst.
Sie nickte ihnen zu, lehnte ihr Fahrrad an die Mauer neben der Haustür. Sie brauchte drei Anläufe, um es abzuschließen, so heftig zitterten ihre Hände.
»Sind Sie Angeline?«, frage der große stämmige Polizist. Die schwarze Uniform stand ihm nicht, dachte sie. Die gefütterte Weste mit den vorstehenden Taschen ließ ihn noch fülliger wirken, als er ohnehin war.
»Ja«, antwortete sie und fragte dann ängstlich: »Sie waren doch nicht schon drinnen, oder?«
»Nein, wir haben geklingelt, aber niemand hat aufgemacht. Wir warten nur auf Sie und den Schlüssel«, sagte er mit einem angedeuteten Lächeln. »Wenn Sie uns hereinlassen, sehen wir nach Zoe.«
Angeline nickte mit einem Schauder und kramte den schweren Schlüsselbund aus ihrem Beutel. Nach einer Weile gelang es ihr, den kleinen Ring mit dem klobigen Sicherheitsschlüssel und dem kleineren für die Wohnung zu lösen, den Zoe ihr gegeben hatte.
Sie schloss auf und ließ die Beamten in den Hausflur, der gut zwei Jahre nach dem Erstbezug immer noch nach neuen Teppichen roch. Dabei hätte sie die Tür beinahe versehentlich zufallen lassen, bevor der Polizist eingetreten war. Sie entschuldigte sich, doch er wirkte unbekümmert.
»Ganz nette Adresse für eine Studentenbude«, sagte er locker. Sie merkte, dass er versuchte, sie zu beruhigen.
Das machte es nur noch schlimmer. Ihr war eiskalt, als sie vor den beiden Polizisten die Treppe hinaufging.
Im zweiten Stock führte sie sie durch die lackierte Feuerschutztür in den Flur. Die Tür war ihr sonst immer schwer vorgekommen, doch heute schien sie nichts zu wiegen. Diesmal dachte sie immerhin daran, die Tür hinter sich aufzuhalten.
Der Flur war leer. Zoes Tür war die in der Mitte mit der Nummer sechzehn in großen silbernen Ziffern. Angeline blieb davor stehen und betrachtete ihr Spiegelbild in der Sechs.
»Soll ich …?«, fragte sie und zeigte auf die Tür. Die Polizistin nickte, und sie klopfte. Ihre Knöchel erzeugten fast keinen Laut auf dem Holz. Der stämmige Beamte beugte sich vor und klopfte noch einmal lauter.
»Zoe?«, rief er und senkte den Kopf, als könnte er so besser hören. »Zoe, machen Sie bitte die Tür auf?«
Danach war es still bis auf einen sehr leisen Bass-Beat, der aus einem anderen Stockwerk zu ihnen drang.
»Okay«, sagte der Polizist. »Wenn Sie bitte aufschließen könnten …«
Angeline schaffte es irgendwie, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und ihn umzudrehen. Sie trat einen Schritt zurück, sobald sich die Tür einen Spalt geöffnet hatte.
»Können Sie …?« Sie war unfähig, ihre schreckliche Furcht, die Wohnung zu betreten, in Worte zu fassen, aber die Beamten verstanden sie offenbar auch so.
»Wir sind gleich wieder da«, sagte der Polizist, sah seine Kollegin an, und sie betraten hintereinander die Wohnung.
Angeline schlang die Arme um den Körper, um das Zittern und das wilde Pochen ihres Herzens zu lindern. Noch nie hatte sie sich so sehr gefürchtet. Es fühlte sich an, als könnte sie vor Angst sterben, und je mehr sie daran dachte, desto benommener wurde sie. Als ob ihr Herz schon beschädigt sein könnte.
In der Wohnung blieb es lange still. Dann wurde klickend eine Tür geöffnet, eine Stimme sagte leise etwas, eine zweite antwortete.
Sie hörte leise Schritte, dann tauchte die Polizistin wieder an der Tür auf.
»Geht es ihr gut?«, fragte Angeline, bevor die Frau etwas sagen konnte.
»Es sieht so aus, als hätte sie einen Unfall gehabt«, antwortete die Polizistin sanft. Im Hintergrund hörte Angeline ihren stämmigen Kollegen reden. Wahrscheinlich sprach er in ein Telefon oder Funkgerät. »… Krankenwagen und Spurensicherung.«
Angeline spürte eine furchtbare Kälte im ganzen Körper. Sie sagte nichts, sondern stürzte nur vorwärts und drängte sich an der Polizistin vorbei, die sie scharf aufforderte, stehen zu bleiben. Beinahe wäre Angeline gegen ihren Kollegen geprallt, der der von Knistern und Knacken begleiteten Antwort aus seinem Walkie-Talkie lauschte. Seine stämmige Gestalt versperrte die Lücke zwischen Schreibtisch und Tür. Sie wollte an ihm vorbei, doch die Polizistin fasste unvermittelt ihren Oberarm.
»Es tut mir leid, aber das ist keine gute Idee«, sagte sie.
Angeline entwand sich dem Griff und rannte zum Schlafzimmer und der offenen Tür zum Bad, das direkt davon abging.
Dann wurde sie von zwei Händepaaren gepackt und entschlossen weggezerrt.
»Kommen Sie, Angeline«, sagte der stämmige Mann. »Sie können da nicht reingehen. Es tut mir leid.«
»Ich muss sie sehen! Bitte lassen sie mich zu ihr.«
Aber dann war ihre Widerstandskraft mit einem Schlag verpufft, und die Polizisten mussten sie stützen. Sie führten sie hinaus in den Flur und setzten sie auf die breite niedrige Fensterbank an dessen Ende.
»Wir besorgen Ihnen ein Glas Wasser«, sagte der stämmige Polizist sanft. »Oder einen Tee. Wie wär’s mit einer Tasse Tee?«
Sie nickte, obwohl sie ihm eigentlich ins Gesicht schreien wollte, dass Tee gar nichts besser machen würde.
»Zoe ist tot, oder?«, fragte sie. Keiner der beiden antwortete.
2. März – zwanzig Monate vorher
Es war sechs nach zwölf, als Zoe mit ihrem Augen-Make-up fertig war. Noch vierzehn Minuten, um das Haus zu verlassen und in ein Taxi zu steigen, damit sie rechtzeitig zu der Hochzeit kamen. Reichlich Zeit.
Sie steckte die Pinsel weg, rollte das Schminktäschchen aus Nylon zusammen und zog ein Fach ihrer Schmuckkassette auf. Ihre neuen silbernen Spiralohrringe funkelten, als sie sie zur Hand nahm, die perfekte Ergänzung zu ihren silbern bestäubten Lidern.
Eine Etage tiefer im ersten Stock ging die Badezimmertür auf. »Wie weit bist du, Maeve?«, rief Zoe, während sie die Ohrringe in ihr Ohrläppchen steckte.
»Fast fertig!«, antwortete Maeve, und in ihrem nordirischen Akzent schwang die leicht gehetzte Fröhlichkeit der chronisch Verspäteten mit.
»Hast