Wer auf dich wartet. Gytha Lodge
als Gina hereinkam.
Zoe kannte niemanden, der so hart arbeitete wie Gina, ihre Chefin. Der Erfolg ihres phantastischen kleinen Cafés war ebenso sehr der allumfassenden Herzlichkeit seiner Besitzerin wie den Speisen und Getränken zu verdanken. Und selbst wenn Michael, der Typ, den sie heiratete, ein bisschen langweilig wirkte, war er der Mann, der für sie da sein und sie mit Liebe überschütten würde. Zoe fand, dass Gina genau das verdient hatte.
3.
Der Anruf erreichte Jonah im Auto, als sie noch etwa zehn Minuten von Zoes Wohnung entfernt waren, und als er hörte, wie der Sergeant »Sir« sagte, wusste Jonah Bescheid. Sie ermittelten jetzt in einem Todesfall, und er war froh, dass O’Malley bereitgestanden hatte, ihn zu begleiten. Von seinen drei Teammitgliedern war er am meisten abgehärtet, und sie mussten sich nun auf den Tatort eines Gewaltverbrechens einstellen.
Bis Lightman und Hanson ankämen, würde es schon leichter sein. Die Kriminaltechniker würden bereits vor Ort sein mit ihren Post-its, Pfeilen und Etiketten, Utensilien, die einen sterilisierenden Effekt hatten. Es würde aussehen wie ein Labyrinth von Indizien und darüber fast vergessen lassen, dass dort ein Mensch gelitten hatte und gestorben war.
Er parkte den Mondeo in der Latterworth Road, einer vorstädtisch anmutenden Wohnstraße, die an der A35 Richtung Norden endete. Er und O’Malley waren an einer Reihe identischer Häuser aus den dreißiger Jahren vorbeigefahren: flache Erkerfenster, die obere Haushälfte weiß gestrichen, rechteckige Vorgärten. Zoes Apartmentblock war das einzige Gebäude, das aus der Reihe tanzte. Es sah aus, als wäre es auf der Fläche von zwei Doppelhäusern ohne erkennbare Rücksicht auf die ansehnliche Nachbarschaft errichtet worden. Ein ultramoderner Bau mit einer abgestuften rechteckigen Fassade, die beinahe aggressiv wirkte.
Sie wurden von einem Police Constable durchgewunken, der an der Tür stand. Eine unglaublich dünne Frau, bei der es sich um Angeline Judd handeln musste, saß mit einer Polizistin auf einer Fensterbank und hielt einen Becher Tee mit beiden Händen an die Brust gedrückt, neben sich eine Reihe zerknüllter Papiertaschentücher. Ihre Augen waren vom Weinen gerötet.
Die Polizistin nickte ihm zu, während Angeline ihn ängstlich musterte wie ein gefährliches Raubtier.
»Ich bin DCI Sheens«, sagte er und blieb vor ihr stehen. »Ich leite die Ermittlung und will herausfinden, was Zoe zugestoßen ist. Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen, in Ordnung?«
Angeline starrte ihn an und antwortete dann: »Ja. Ja, das ist okay.«
Wenn man sie in ihrer zu großen grauen Strickjacke und den grünen Leggings betrachtete, konnte man kaum übersehen, wie hager sie war. Die Arme und Beine schienen beinahe skelettartig, und ihr unglaublich dürrer Körper ließ ihr Gesicht übergroß wirken, die riesigen Augen wie die einer Puppe, ihr kurzes flaumiges Haar kraftlos.
Jonah fragte sich, ob sie vielleicht krank war. Sie wirkte fast kindlich, was seinen Beschützerinstinkt weckte.
Er bedankte sich sanft für ihre Hilfe und sprach ihr sein Beileid aus. Schließlich erklärte sie, dass sie bereit sei, einige Fragen zu beantworten. Aber ihre Antworten bestanden hauptsächlich aus Kopfschütteln zu allem, was er auch andeutete, und dabei kullerten Tränen über ihre Wangen.
Ihres Wissens hatte Zoe keine Feinde gehabt. Keine Geldsorgen. Keinen Streit in letzter Zeit. Kein sonderbares Verhalten gezeigt.
»Sie war – so liebenswürdig«, sagte Angeline am Ende mit belegter Stimme.
Sie musste ein paarmal schlucken, bevor sie weitersprechen und Jonah erzählen konnte, dass sie Zoe von der Uni kannte.
»Studieren Sie auch Kunst?«, fragte er lächelnd.
»Oh. Nein. Ich mache … Tanz, ein Aufbaustudium fürs Lehramt.«
Ihre Antworten fielen, egal was Jonah fragte, mehr oder weniger gleich aus. Schließlich sagte er, dass er mit Zoes Freund sprechen müsse. Angelines Blick wurde klar, und sie sah ihn scharf an.
»Sie hatte … Meinen Sie Aidan?«
»Vielleicht müssen Sie uns das erklären«, sagte Jonah behutsam, während er den Namen notierte. »Zoes Freund hat uns alarmiert und gebeten, nach ihr zu sehen, aber wir wissen nicht, wie wir ihn erreichen können.«
»Ich habe seine Nummer«, sagte Angeline, zog ihr Handy aus der Tasche und las sie vor. Jonah schrieb sie in sein Notizbuch. »Ich dachte mir schon, dass sie vielleicht wieder zusammen sind«, fügte sie hinzu, und es klang, als verletzte sie das persönlich.
»Sie hatten sich getrennt?«
»Ja, schon ein paarmal.«
»Sie haben nicht zusammen gewohnt?«
Angeline schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat allein gelebt. Früher hat sie mit einer Freundin zusammengewohnt, aber dann ist sie hierhergezogen.«
»Wann war das?«
»Im Juni … glaube ich.«
Jonah nickte langsam. »Es wäre großartig, wenn Sie in den nächsten Tagen aufs Kommissariat kommen könnten«, sagte er. »Aber fürs Erste gehen Sie am besten nach Hause und geben gut auf sich acht. Können Sie irgendjemanden anrufen …?«
Angeline nickte und brach unvermittelt wieder in Tränen aus. »Ich muss wohl meine Mum anrufen. Normalerweise – normalerweise rufe ich immer Zoe an.«
Zoes Wohnung wirkte genauso modern und unversöhnlich wie die Fassade des Gebäudes. Sie war karg möbliert, und in zwei Ecken des Wohnbereichs standen Umzugskartons. Die in Schwarz gehaltene Küche wies Spuren von Benutzung auf. Verschmierte Abdrücke auf dem Backofen. Krümel auf der Arbeitsplatte, mehrere Gläser mit Rotweinresten.
»Vielleicht hatte sie gestern Abend Besuch«, sagte Jonah leise zu O’Malley.
In der Ecke der Küche stand ein Napf mit Katzenfutter und eine Schale mit Wasser, die Katze selbst war nirgends zu sehen. Vielleicht hatte sie sich aus Angst vor der Polizei verkrochen.
Rechts neben der Tür stand ein Schreibtisch, der von einem Desktop-Computer dominiert wurde. In der unteren Ecke des Bildschirms blinkte langsam ein orangefarbenes Licht: im Ruhezustand, aber nicht ausgeschaltet. Unter dem Bildschirm lag ein Handy. Es juckte Jonah in den Fingern, doch er ließ es für die Techniker liegen.
Auf der anderen Seite des Raumes blickte ein Sofa ins Leere. Kein Fernseher. Keine Gemälde. Jenseits davon nur zwei Umzugskartons, auf einen war mit Edding »Skulpturen« geschrieben.
Das Ganze kam ihm seelenlos vor. Kahl. Ganz anders, als er sich die Wohnung einer Künstlerin vorgestellt hätte. Sie hatte seit Juni hier gelebt, hatte Angeline gesagt. Aber in diesen fünf Monaten hatte sie nicht einmal die Kisten fertig ausgepackt, geschweige denn sich eingerichtet.
Er ging zu der gegenüberliegenden Tür, die ins Schlafzimmer führte. Sie befand sich im Bad, hatten die uniformierten Kollegen berichtet. Die Tür zur Linken.
Er zwängte sich durch die offene Tür, ohne sie zu berühren, und sah Zoe in der Wanne liegen. An einem Ende ragten nur Schultern, Kopf und Oberarme aus dem Wasser, in der Mitte bildeten ihre Knie zwei winzige Inseln. Wenn ihr Verletzungen zugefügt worden waren, wurden sie von dem tiefroten Wasser verdeckt.
Eine nadeldünne Spur dunklen Bluts verlief von einem Messer mit rotem Griff auf dem Wannenrand bis ins Wasser. Ein Teppichmesser, dachte er, das Werkzeug eines Künstlers.
Sein Blick wanderte flüchtig über ihr zu einem Dutt gebundenes Haar und ihr Gesicht. Die Züge waren schlaff, die Haut war bronzefarben mit einem lila Schimmer. Die Augen waren geschlossen, doch sie sah nicht aus, als würde sie schlafen. Ihr Antlitz hatte die unverkennbare Leere des Todes.
Er spürte O’Malley hinter sich, der wartete, bis er an der Reihe war, Jonahs Platz einzunehmen.
Jonah trat einen Schritt zurück und wollte, dass O’Malley seine Gedanken in Worte fasste und sagte, auf den ersten Blick sehe es aus wie ein Selbstmord. Absolut eindeutig. Der einzige Grund, etwas