Wer auf dich wartet. Gytha Lodge

Wer auf dich wartet - Gytha Lodge


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Sie sah sich nach Felix um, hatte vor, sich bei ihm für Victors Verhalten zu entschuldigen. Sie hoffte, dass er es verstehen würde. Aber im Moment genoss sie es auch, einfach unbeobachtet zwischen den Gästen zu stehen und keine Konversation machen zu müssen.

      Die Bar leerte sich, als sie sich anstellte, bis hinter ihr schließlich niemand mehr wartete. Nur sie, ein Paar rechts neben ihr und ein einsamer Trinker auf einem Hocker links von ihr.

      »Was möchtest du?«, fragte das Mädchen hinter dem Tresen.

      Aus irgendeinem Grund war es immer das Gleiche, wenn Zoe Shots bestellte. Sie fing mit einer niedrigen Zahl an und steigerte sich dann zu immer neuen Höhen, während sie im Kopf ständig weitere Leute auf die Liste der Empfänger setzte. Aus »Vier Jägerbombs« wurde: »Nein, eigentlich acht.«

      Die Barkeeperin strahlte sie an, als hätte sie nie eine großartigere Bestellung entgegengenommen. Der Typ auf dem Barhocker wandte den Kopf, um sie anzusehen. »Wenn die alle für dich sind, bin ich ehrlich beeindruckt.«

      Zoe blickte in seine Richtung, musterte die Lederjacke, das dunkle Haar, die markanten Wangenknochen und die vollen Lippen, die ihn aussehen ließen, als würde er schmollen. Er lächelte sie auf eine Weise an, die sich von all den anderen Lächeln unterschied, die sie an diesem Tag eingefangen hatte. Sein Lächeln war … respektloser. Und auf eine seltsame Art vertraulicher.

      »Führe mich nicht in Versuchung«, sagte sie grinsend. Es war eigentlich keine bewusste Entscheidung. Doch sein Lächeln nicht zu erwidern war einfach zu schwer. Sie spürte die Grübchen in ihren Wangen, bevor sie sich dazu entschlossen hatte.

      »Oh, schlechten Tag gehabt?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Dies ist eine Hochzeit. Natürlich war es ein schlechter Tag.«

      Er lachte ein tiefes Lachen. »Das heißt, du stehst weder der Braut noch dem Bräutigam besonders nahe.«

      »Doch, eigentlich schon«, erwiderte Zoe und beobachtete eine Weile, wie die Barkeeperin Jägermeister-Shots in die Gläser schenkte. »Gegen die beiden hab ich nichts.«

      »Welchen von beiden?«

      »Welchen …? Oh. Ich kenne Gina.« Sie sah ihn an. »Und du?«

      Er beugte sich vor und blickte mit listig funkelnden Augen an ihr vorbei. »Weder noch. Ich wollte etwas trinken und habe erst später gemerkt, dass ich in eine geschlossene Veranstaltung mit Gratis-Drinks gestolpert bin.«

      Ihr Lachen hatte einen unwillkürlich schockierten Unterton. »Das ist schrecklich!«

      »Ich weiß«, sagte er. »Glaubst du, sie können es sich leisten?«

      »Wahrscheinlich«, erwiderte Zoe. »Aber ich würde nicht davon ausgehen. Einige von uns haben so etwas wie Moral, weißt du.«

      »Nicht die, die auf meiner Seite des Tresens sitzen«, entgegnete er, hob ein Glas, das aussah, als würde es Gin Tonic enthalten, und kippte den Rest hinunter.

      Während er schluckte, beobachtete Zoe seinen Hals, und ihr Blick wanderte weiter über seine Schultern und seinen Oberkörper, als er es nicht sehen konnte. Er war älter, dachte sie. Nicht annähernd so alt wie Felix, aber auf jeden Fall über dreißig. Wahrscheinlich ein Alter, auf das sie sich bei einer Dating-App nur zögernd eingelassen hätte.

      Aber er war fit. Das war offensichtlich. Sie hätte darauf gewettet, dass sich unter dem Hemd ansehnliche Muskeln versteckten.

      Und dann zwang sie sich, den Blick abzuwenden, weil es definitiv keine gute Idee war, ihn, fünf Minuten, nachdem sie sich begegnet waren, auf diese Weise anzusehen.

      »Fertig«, sagte die Barkeeperin fröhlich und reihte die Shots zwischen den Gläsern mit Red Bull auf der Bar auf. Zoe ging auf, dass sie ihre Bestellung niemals allein in den Nachbarraum tragen konnte.

      »Machen Sie noch mal vier?«, fragte ihr Barhocker-Nachbar. »Ich will mittrinken.«

      Der Kellnerin nahm es mit Fassung. Zoe schüttelte leicht den Kopf. »Müssen es wirklich vier sein?«

      »Ich dachte, das sind zwei für jeden«, erwiderte er. »Niemand – niemand – sagt nein zu einem Jägerbomb.«

      Er sagte es mit einem gespielten Ernst, der Zoe zum Lachen brachte. Es war einer dieser Lachanfälle, die man nur schwer wieder stoppen konnte. Das Lachen lauerte immer noch, als sie ihre beiden Shots vor ihm leerte. Er versprach, sie bei der nächsten Runde zu schlagen.

      »Wer sagt, dass es eine nächste Runde gibt?«, fragte Zoe, doch sie sagte es mit einem Lächeln.

      »Die kleine Stimme deines Gewissens«, entgegnete er. »Sie sagt: ›Lass Aidan nicht alleine trinken. Schau dir den armen Mann an. Er kennt sonst niemanden hier.‹«

      »Das liegt daran, dass du nicht eingeladen bist!«, sagte Zoe halb empört, halb gefangen von seinem Namen. Auf der Schule war sie mal in einen Jungen namens Aidan verliebt gewesen. Er spielte Schlagzeug, und die Haare hingen ihm ins Gesicht.

      »Und darüber bin ich sehr froh«, sagte er erneut für einen Augenblick beinahe ernst, der sie unvorbereitet erwischte. »Erzähl mal«, fuhr er fort, »warum war die Hochzeit so schlimm? Eine weit zurückgehende Fehde?«, bohrte er weiter. »Streit mit deinem Freund? Exfreund?« Und dann nach einer Pause: »Mit deiner Freundin?«

      »Nein«, antwortete sie und gab sich plötzlich große Mühe, ihr Vergnügen zu verbergen. Er versuchte herauszufinden, ob sie Single war, und die Vorstellung machte sie ganz zappelig vor Aufregung. »Bloß Freunde, und einige von ihnen haben eine schwere Zeit durchgemacht. Eigentlich sind sie diejenigen, für die es hart war, nicht ich. Mir geht es gut.«

      Er sah sie nachdenklich an und sagte: »Das ist schade. Nicht, dass es dir gut geht. Der Rest.« Er blickte zu der Reihe von Gläsern. »Die kriegst du nie alle getragen …«

      Zoe blickte ebenfalls zu den Gläsern, und wieder sprudelte ein Lachen aus ihr heraus. »Nein, ich weiß. Das passiert mir immer.«

      »Ich könnte ein Gentleman sein und anbieten, ein paar für dich zu tragen«, sagte er.

      Der Gedanke machte Zoe seltsam nervös. Wenn er sie begleitete und mit ihren Freunden sprach, würde er womöglich für den Rest des Abends dabeibleiben. Die Vorstellung, wie Victor darauf reagieren würde, wenn sie mit einem weiteren älteren Mann zurückkehrte, war kein bisschen verlockend.

      Aber noch bevor sie widersprechen konnte, fuhr Aidan schon fort: »Leider bin ich kein guter Gentleman. Deshalb wollte ich vorschlagen, wir trinken sie, um dir das Leben zu erleichtern.«

      »Und wie soll ich das den anderen erklären?«, fragte sie. »Nach zwanzig Minuten mit leeren Händen zurückzukommen?«

      »Geh einfach nicht zurück«, sagte er mit einem Schulterzucken und einem weiteren mutwilligen Lächeln.

      »Dann geht Victor an die Decke …«, sagte Zoe unwillkürlich und bereute es augenblicklich.

      »Also Victor, der kein Freund oder Exfreund sein kann …«, sagte Aidan langsam und hob sein Glas. »Er muss …«

      »Nur ein Freund«, sagte sie rasch und spürte, wie sie rot wurde. »Er ist bloß … so ein Anstandswauwau.« Sie lachte gezwungen. »Eben wollte er auf einen unserer sehr schwulen Stammgäste losgehen, weil er den Arm um mich gelegt hat.«

      »Verstehe«, sagte Aidan, und als Zoe zu ihm aufblickte, lächelte er. »Das könnte spaßig werden.«

      5.

      Linda McCullough war kurz nach dem Team der Spurensicherung in der Wohnung eingetroffen, und sobald sie die Schwelle überschritten hatte, fühlte Jonah sich besser. Die Hampshire Constabulary konnte sich ungemein glücklich schätzen, eine Forensikerin zu haben, die nicht nur jeden Tatort persönlich in Augenschein nehmen wollte, sondern neben ihrem Abschluss in Kriminaltechnik auch noch studierte Biologin und Chemikerin war.

      Außerdem konnte man gut mit ihr zusammenarbeiten. Ihr unerschütterlicher Humor und ihre staubtrockene


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