Hexenkolk - Wiege des Fluchs. Thomas H. Huber

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Freund Jack sich ihm anschließen wollte. „Was, Jack der Womanizer und eingefleischte Single will sich so etwas antun? Das glaub ich nicht! Ist wohl doch etwas Ernstes mit Rachel, oder etwa nicht?“ hörte er sich nun erneut sagen, während er sich seinen Weg durch den Fußgängerstrom bahnte.

      Als er eine gute Viertelstunde zu früh im Plaza eintraf, setzte er sich in einen der bequemen Ledersessel in der Champagner Bar und bestellte sich eine Tasse Kaffee und ein Glas stilles Wasser. So richtig konzentrieren konnte er sich allerdings nicht, da seine Gedanken nach wie vor um den Zwischenfall auf der 5th Avenue, und um die jüngste Enttäuschung im Lady‘s kreisten.

      Müde sah er sich in der betriebsamen Bar um, bis sein Blick direkt neben dem Tresen auf ein Plakat fiel, das auf Sutherfords Vortrag hinwies. In fetten Lettern stand darauf geschrieben: „Das Adam und Eva Syndrom“ ein Vortrag des berühmten Psychotherapeuten, Dr. William Sutherford. Mittwoch, den 21. August, um 15: 00 Uhr im Grand Ballroom des New York Plaza. Eintritt frei.

      „Warum er das wohl kostenlos anbietet?“ murmelte Jonathan überrascht, „ist er so reich, dass er das Geld nicht braucht? Oder ist er so schlecht, dass er es sich nicht traut, etwas dafür zu nehmen?“ Er entschied, dass mit Sicherheit die erste Option die richtige war, denn schließlich war der Therapeut sehr berühmt. Dann erinnerte er sich wieder an sein bevorstehendes Interview und sah auf seine Armbanduhr: „Der Reporter wird gleich da sein“. Und gerade als er das dachte, klingelte sein Smartphone, es war Steve Jameson, der Kolumnist der New York Times. „Hören Sie, Jonathan, es tut mir furchtbar leid, aber ich muss unseren Termin absagen. Ich habe einen Trauerfall in der Familie“. „Oh, das ist ja furchtbar. Mein herzliches Beileid“. „Danke, Jonathan. Ich melde mich, sobald wieder etwas Ruhe eingekehrt ist, einverstanden?“ „Natürlich“, antwortete Jonathan betroffen, freute sich aber im Stillen, dass er dadurch ganz sicher pünktlich zum Vortrag des Therapeuten kommen würde. „Dr. Sutherford“, murmelte er, „noch nie etwas von ihm gehört“. Wenige Minuten später stand er in einer Schlange von mehr als fünfzig Menschen, die sich bereits vor dem Ball-Room gebildet hatte. Und schnell rückten neue Besucher nach, sodass die Lobby schon bald aus allen Nähten zu platzen drohte. „Ein unglaublicher Andrang?! Und das an einem Mittwoch. Wann Jack wohl hier sein wird?“, murmelte Jonathan leise, jedoch nicht leise genug um nicht gehört zu werden, denn der Mann hinter ihm fühlte sich sofort angesprochen und antwortete in konspirativem Unterton: „Also, ich dachte mir das schon. Wenn Sutherford, der Magier unter den Therapeuten, die Menschen zu sich ruft, kommen alle, selbst an einem heiligen Feiertag“. „Ach, dann kennen Sie ihn wohl. Ich habe noch nie etwas von ihm gehört“, sagte Jonathan schulterzuckend. „Was, Sie kennen ihn nicht?“ antwortete der Mann entsetzt, wobei sein abfälliger Blick schweigend hinzufügte: „Crétin!!!“ Nachdem er Jonathan sekundenlang argwöhnisch von Kopf bis Fuß gemustert hatte, sprach er allein schon deshalb weiter, weil er sich zwingend dazu verpflichtet fühlte, seinen unwissenden Gesprächspartner aufzuklären. „Also, hören Sie, Sutherford ist einfach der Beste auf seinem Gebiet. Er hat ein derart tiefes Wissen und er kennt selbst die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele. Manche behaupten, er wäre nicht von dieser Welt, andere sagen sogar, er wäre unsterblich“, er schmunzelte und zwinkerte verschwörerisch, „aber das ist natürlich absoluter Blödsinn“.

      Alle Besucher tuschelten aufgeregt, und Jonathan war davon überzeugt, dass er offenbar der einzige war, der diesen Sutherford nicht kannte. Zwei Gäste vor ihm redeten nun so laut, dass alle anderen Gäste sie auch wirklich hören konnten. „Warst du schon einmal in seiner Praxis? Er ist in jeglicher Hinsicht großartig“. „Natürlich, ich bin regelmäßig dort und jedes Mal fühle ich mich nach unserem Gespräch leicht und frei wie ein Vogel“. „Er ist aber auch wirklich eine imposante Erscheinung“.

      Dann ging plötzlich ein Ruck durch die Warteschlange und die Gäste schoben sich durch eine große Flügeltür, hinein in den Saal. Jonathan hatte Glück, es war freie Platzwahl und in der zweiten Reihe waren nach dem ersten Ansturm noch einige Plätze frei, so dass er sich leicht zwei Stühle ergattern konnte, von denen aus er einen hervorragenden Blick auf das Rednerpult hatte. Um den Stuhl zu seiner linken für Jack zu reservieren, stellte er seine braune Ledertasche als Platzhalter darauf ab. Im Saal herrschten ein lautes Gemurmel und Getuschel, und immer wieder vernahm man ein lautes Quietschen, hervorgerufen durch das Verschieben freier Stühle, bis plötzlich das Licht ausging und alles in absoluter Finsternis verschwand. Erst als ein greller Scheinwerfer die Bühne mit gleißendem Licht überflutete, und ein Mann in dunklem Anzug neben das Rednerpult trat, fing das aufgeregte Gemurmel wieder an. Jonathan nutzte die Gelegenheit, um seine Ledertasche vom Stuhl zu nehmen, den er für seinen Freund reserviert hatte, denn er wusste, dass Jack nicht mehr kommen würde. „War mir klar, dass du kneifst, du alter Weiberheld“, lächelte er und stellte die Tasche zwischen seine Füße. Jonathan wusste nicht, ob die Leute wegen des bevorstehenden Vortrags aufgeregt waren, oder weil auch ihnen die Diskrepanz zwischen der Höhe des Rednerpults und der Größe des Mannes aufgefallen war. Das Pult reichte ihm nämlich nur knapp unter das Kinn. Wie ein Zwerg stand er nun da und rieb aufgeregt die Handflächen aneinander. „Wozu ein derart hohes Pult?“ schoss es Jonathan immer wieder durch den Kopf, „wen erwarten die, King Kong oder Godzilla?“

      Dann nahm der winzig wirkende Mann das Mikrofon vom Pult, und klopfte ein paarmal darauf, sodass es in den Lautsprechern laut pochte: „Test, Test. Kann mich jeder hören?“ Nachdem alle im Saal zustimmend nickten, sprach er in hochoffiziellem Ton weiter: „Verehrtes Publikum, ich bin besonders stolz, Ihnen heute den Mann vorstellen zu dürfen, dessen Werk weltweit Beachtung findet. Was viele von Ihnen vielleicht noch nicht wissen ist die Tatsache, dass er nicht nur auf dem Gebiet der Psychologie einen Doktortitel besitzt, sondern auch ein promovierter Astrophysiker und Mathematiker ist. Sein heutiger Vortrag wird demnach ein weites Spektrum an Informationen beinhalten und für alle eine Bereicherung sein. Sehr verehrte Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir den wahrhaft großen…“, er machte eine theatralische Pause, bevor er den Namen des Redners in einer Form aussprach, die Jonathan sofort an Micheal Buffer erinnerte: „Doktooooooor, Williaaaaaam Sutherfoooooord“.

      Und dann kam er, ein echter Riese, und jetzt wusste auch Jonathan, warum der Concierge gerade die Worte „wahrhaft groß“ gewählt hatte.

      Ein Raunen ging durch die Menge, bevor Sutherford das Wort ergriff: „Guten Abend, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freunde“. Jonathan rutschte in diesem Moment nervös auf seinem Stuhl herum. Er hatte das Gefühl, dass der Gigant ihm direkt in die Augen sah, weshalb für einen kurzen Augenblick das Bedürfnis in ihm aufstieg, sich unsichtbar zu machen. Doch dann sprach Sutherford weiter und Jonathan fühlte sich sofort wieder wohler. „Bevor ich mit meiner Rede beginne, bitte ich ausnahmslos alle Anwesenden im Saal, ihr Handy auszuschalten. Dies gilt auch für die Pausen. Vielen Dank für Ihr Verständnis“. Da nun sämtliche Gäste nach ihrem Smartphone kramten, ob in der Hosen-, Jacken-, oder Handtasche, nahm dieser Prozess ein paar Minuten in Anspruch. Als das Rascheln verstummte, nahm der Hüne einen zweiten Anlauf: „Ich bin daran gewöhnt, dass man mich aufgrund meiner Größe anstarrt. Seien Sie also entspannt, Ihre Reaktion ist vollkommen normal“. Damit erntete er den ersten Lacher von seinen Zuhörern, weshalb sich die Stimmung im Saal spürbar lockerte.

      „Schon früh riet man mir zu einer Karriere als Basketball-Profi, doch ich entschied mich für andere kugelförmige Objekte, anstelle des Balls, nämlich den Planeten im Universum“. Und wieder lachten die Zuhörer und er sah sich mit ruhigem Blick im Saal um, so als würde er jeden einzelnen Besucher durchleuchten.

      „Ich bin heute Abend jedoch nicht hier, um mit Ihnen über die Sterne und das All zu sprechen, sondern ich möchte Ihnen meine neuesten Erkenntnisse in der Paartherapie vorstellen. Wie Sie ja schon auf den Plakaten und im Programmheft lesen konnten, habe ich meiner Arbeit den Arbeitstitel „Das Adam und Eva Syndrom“ verliehen, dessen Hintergründe ich Ihnen hier und heute erläutern werde“.

      Die Leute klatschten und einige von Ihnen stampften sogar mit den Füßen auf, was Jonathan für nicht angebracht hielt, da es sich hier um einen ernstzunehmenden Therapeuten handelte, und nicht um einen Rockstar. Auch wenn Sutherford durchaus eine magische und charismatische Ausstrahlung hatte, die, wenn nicht gerade an einen Musiker, doch zumindest an einen geheimnisvollen Künstler erinnerte.


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