Hexenkolk - Wiege des Fluchs. Thomas H. Huber

Hexenkolk - Wiege des Fluchs - Thomas H. Huber


Скачать книгу
hier im Saal haben in ihrem Leben schon einmal einen Therapeuten aufgesucht. Unser Berufsstand ist sozusagen das Mekka für Menschen mit einer emotionalen Dysfunktion“. Wieder erschallte ein lautstarkes Lachen, nicht von allen, aber doch vom Großteil der Besucher.

      „Hier in der Stadt gibt es mehr Beziehungsopfer als im Rest der Welt. Die Menschen, die hier leben sind gehetzt, gestresst und verunsichert. In meine Praxis kommen täglich Männer und Frauen, die von einer festen Beziehung träumen, aber insgeheim glauben, dazu nicht fähig zu sein. Der eine denkt er ist zu dick, zu dumm, zu unattraktiv. Der andere hält sich für zu dünn, zu arm, aber manchmal auch zu gut für die Welt. Und so weiter und so weiter. Was mir aber bei jedem Einzelnen auffällt, der auf der Suche nach einer ernsthaften Beziehung ist, ist folgendes: Er oder Sie sucht nach dem perfekten Partner. Jetzt frage ich Sie, liebes Publikum, gibt es diesen perfekten Partner überhaupt?“

      Wieder erfüllte ein Raunen den Saal und Jonathan wollte schon aufspringen und brüllen: „Ich hoffe das sehr. Denn sonst könnte ich mein Sensogramm in die Tonne treten“. Doch alles, wozu er sich nun in der Lage fühlte war, still zu lauschen. Er hing dem Hünen förmlich an den Lippen und konnte es kaum erwarten, dass dieser weitersprach. Glücklicherweise ließ der nicht lange auf sich warten.

      „Ich behaupte ‚Ja‘, den Seelenpartner gibt es. Leider fehlt den meisten die Geduld, auf ihn zu warten“.

      Während Jonathan die Faust ballte und lautlos „Ich wusste es!“ brüllte, schienen die anderen Zuhörer flüsternd ihren Zweifel zum Ausdruck zu bringen, was Sutherford durchaus zur Kenntnis nahm, jedoch ruhig weitersprach: „Ich gehe mal davon aus, dass die meisten von Ihnen selbst Therapeuten sind, weshalb ich Ihren Zweifel gut verstehen kann. Schließlich haben sie tagtäglich mit streitenden Paaren zu tun“. Dieser Satz schien die Zuhörer wieder zu besänftigen, denn Sutherford sprach ihnen aus der Seele. „Nun, um den Grund meiner Aussage zu untermalen, werde ich jetzt ein paar Disziplinen vermischen. Das heißt, ich werde die Psychologie mit der Astrophysik und der Religion in Einklang bringen. Damit Sie mir folgen können, bitte ich Sie nun darum, Ihren Geist zu öffnen. Versuchen Sie einfach mal sämtliche Ihrer bisherigen Ansichten und Meinungen zur Seite zu legen. Dann werden Sie ganz sicher verstehen, dass ich mit meiner Behauptung nicht völlig daneben liege“. Alle Gäste nickten und Sutherford holte tief Luft, bevor er mit seiner Erzählung begann.

      NEW YORK, CHARLY RODRUIGEZ

      21. AUGUST 2019

      Er war nur wenige Minuten zuvor auf seiner Pritsche im Bereitschaftsraum der Rettungsstation eingenickt, als der Notruf schrillte.

      „Mist“, sagte er verschlafen und vollzog schlaftrunken das verinnerlichte Alarm-Procedere. Mit geschlossenen Augen griff er nach seiner Uniform und seinen Schuhen, zog sich in Windeseile an, schnappte gleichzeitig nach seinem Schlüsselbund und stand schon kurz darauf vor dem Rettungswagen. Notarzt Carter Jackson und ein weiterer Sanitäter, Randy Scott, trafen zum gleichen Zeitpunkt ein, und alle drei Männer bestiegen gleichzeitig das Fahrzeug. „Was liegt an?“ fragte Charly, der hinter dem Steuer saß und bereits die Signallampen am Dach des Fahrzeugs angeschaltet hatte. „Es gab wohl einen Unfall in der U-Bahnstation, am Times Square, Ecke 42. Straße“, antwortete der Arzt gelangweilt. Er hatte während seiner langjährigen Dienstzeit schon viele schlimme Dinge gesehen, weshalb er jetzt nicht gerade aufgeregt zu sein schien. „Okay“, antwortete Charly und schaltete nun auch noch die Sirene ein.

      Mit quietschenden Reifen verließen sie das Gelände der Rettungsstation. Nur wenige Minuten später kamen sie am Zielort an. Dort wurden sie schon von ein paar Polizisten erwartet, die den Ort des Geschehens weiträumig mit gelben Bändern absperrten, auf den in schwarzen Lettern geschrieben stand: CRIME SCENE DO NOT CROSS. Die drei Rettungskräfte griffen nach ihren Koffern und liefen hinunter zur U-Bahn. Am Gleis wurden sie von einem weiteren Cop in Empfang genommen. Er deutete auf den dunklen Schlund des Tunnels in nördlicher Richtung und sagte wortkarg: „Dort, 50 Meter“. Sie knipsten ihre Lampen an und liefen los. Nach wenigen Schritten wurden sie vom Schwarz des U-Bahntunnels verschlungen, und was sie dort zu sehen bekamen, ließ selbst ihnen, die schon tonnenweise Blut gesehen hatten, kalte Schauer über den Rücken laufen. Offenbar handelte es sich um zwei, vielleicht auch drei übel zugerichtete Körper. Genau konnte man das auf den ersten Blick nicht sagen. „Ich denke, das ist eine Sache für den Gerichtsmediziner. Da können wir mit großer Sicherheit nichts mehr tun“, sagte der Notarzt kopfschüttelnd. Überall lagen Gewebefetzen herum. Ein kopfloser Torso, eindeutig von einer Frau, lehnte fast aufrecht sitzend an der Tunnelwand und bot einen gespenstigen Anblick. Der abgetrennte Kopf lag mitten auf dem Gleis und war nahezu komplett von langen, schwarzen Haaren bedeckt. Doch gerade als sich der Mediziner frustriert abwenden wollte, vernahm er aus dem Augenwinkel ein kaum sichtbares Zucken des männlichen Opfers. Schnell lief er zu ihm und beugte sich hinunter, wobei er dem Mann vorsichtig eine Decke unter den Kopf schob. Der Mann flüsterte etwas und Dr. Jackson presste sein Ohr auf dessen Mund, um ihn besser verstehen zu können. „Ich…ich“, stammelte der Mann mühsam, „ich habe…das nicht gewollt“. Dann fiel sein Kopf zur Seite und er war tot. Charly und seine Kollegen sahen sich wortlos an, was so viel bedeutete wie, „hier können wir nichts mehr tun“. „Jetzt kann die C.S.U ihrer Arbeit nachgehen“, sagte Dr. Jackson zu einem der Polizisten und meinte damit die Kollegen der Spurensicherung, der Crime Scene Unit. Dann gingen sie zurück zu ihrem Wagen und überließen den Tatort den Cops. Der Rest des Tages verlief glücklicherweise ohne weitere Zwischenfälle, auch wenn sich die schrecklichen Bilder aus dem Tunnel immer wieder in Charlys Bewusstsein drängten. Als er am späten Nachmittag nach Hause gehen wollte, wurde er von Dr. Jackson gestoppt: „Hör mal, Charly, wenn du psychologische Unterstützung brauchst, um diesen Fall besser verarbeiten zu können, sag einfach Bescheid“. Charly nickte und antwortete leise: „Danke, nicht nötig. Ich schaffe das schon allein“.

      NEW YORK, SARAH STONE 2019

      Sarah Stone war 51 Jahre alt, hübsch, intelligent, humorvoll, und seit ihrer Scheidung vor sechs Jahren, wieder Single. Sie verfügte über ein Jurastudium und arbeitete nach ihrem Abschluss an der New York University für ein paar Jahre in der Kanzlei ihres Vaters. Allerdings kam sie mit ihrem despotischen Erzeuger nicht wirklich klar. Er behandelte sie trotz ihres Alters und ihrer Brillanz immer noch wie ein dummes Schuldkind. Hinzu kam, dass sich die Kanzlei ihres Vaters ausschließlich mit Familienrecht befasste, was ihr auf Dauer gesehen zu langweilig war. Mal hier eine Scheidung, mal da ein Sorgerechtsfall. Als dann ein Rosenkrieg dem nächsten folgte, fiel ihr die Entscheidung leicht, sie eröffnete ihre eigene Kanzlei und konzentrierte sich auf das, was sie schon immer reizte, das Strafrecht. Schon während des Studiums war sie fasziniert von Mördern und deren dunklen Seelen, genauso wie sie von der Aufklärung derer Taten begeistert war. Sie musste sich lediglich noch über eines klar werden, wollte sie diese Menschen nun hinter Gittern bringen, oder ihnen zum Freispruch verhelfen? Sie entschied sich zunächst für Letzteres, was sie in den darauffolgenden Jahren jedoch mehr als einmal bereute.

      Gerade dann, wenn man sie während einem Prozess „Mörder Hure“ oder „Mörder Schlampe“ nannte. Wenn sich während des Prozesses aber herausstellte, dass ihr Klient tatsächlich unschuldig war, schlug das Bereuen in einen Freudentanz um. Doch trotz ihrer Erfolge als Strafverteidigerin, wechselte sie im März 2015 die Seiten, da ihr das Angebot einfach zu verlockend erschien. Oberstaatsanwältin, Sarah Stone, klang zugegebenermaßen auch wirklich nicht schlecht. Aber ihr Erfolg hatte auch einen hohen Preis, der sich in Einsamkeit ausdrückte. Sie arbeitete quasi rund um die Uhr, und wenn andere sich im Kino oder beim Tanzen vergnügten, hing sie über meterhohen Gerichtsakten. Die Erkenntnis, jeden Morgen allein aufzuwachen, machte ihr jedes Mal unverhohlen klar, dass sie wohl eine sehr erfolgreiche Frau war, aber vermutlich auch die einsamste unter der New Yorker Sonne.

      Wie viele Singles, hatte sie alles was das Leben angenehm machte, aber die Einsamkeit sorgte für einen bitteren Beigeschmack. Natürlich war sie nicht vollkommen allein, sie hatte jede Menge Freundinnen, fast alle davon waren ebenfalls Single, und sie hatte unendlich


Скачать книгу