Hexenkolk - Wiege des Fluchs. Thomas H. Huber

Hexenkolk - Wiege des Fluchs - Thomas H. Huber


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war, bedankte er sich bei Gott für dessen Gnade und natürlich dafür, dass er ihn durch die Arbeit am Kolk zu seiner rechten Hand erkoren hatte. Als auf dem Stab der Platz für Kreuze knapp wurde, ging er dazu über, stattdessen kleine, horizontale Kerben in die Zwischenräume zu ritzen. Bereits nach wenigen Jahren gab es keine freie Stelle mehr und er hörte damit auf, und mit dem Ende seiner Gravuren, befand er sich auch auf dem Höhepunkt seiner grausamen und bizarren Karriere.

      Am 21. August 1627 zog er den schweren Leinensack gleich dreißigmal aus dem Wasser und wusste, trotz seiner körperlichen Erschöpfung, dass er Gott und der Kirche wieder mal einen guten Dienst erwiesen hatte.

      Doch das war nicht alles. Bei einer der Frauen fühlte er eine besonders tiefe Befriedigung in sich aufsteigen, nachdem er sie lebendig aus dem Sack gezogen hatte. „Ich wusste es! Ihr seid eine Hexe“, flüsterte er ihr ins Ohr, „nun werdet Ihr auf dem Scheiterhaufen Eure gerechte Strafe finden“. Dann übergab er sie dem Feuermeister und befahl ihm: „Zündet sie erst an, wenn ich hier fertig bin. Ich will sehen, wie die Hure brennt“. Und schon stülpte er der nächsten Frau den noch nassen Leinensack ihrer Vorgängerin über. Auch sie war starr vor Angst und unfähig, sich gegen den groben und starken Maximilian zur Wehr zu setzen. Es war bereits später Nachmittag, die Strahlkraft der Sonne hatte ihren Höhepunkt längst überschritten, als er die letzte Frau tot aus dem Wasser zog. Da ihr Tod wieder einmal der Beweis dafür war, dass sie keine Hexe war, kniete er nieder und betete ein inbrünstiges ‚Vater Unser‘. Allerdings war unklar für wen er das tat, ob für seine eigene Seele oder für die seines unschuldigen Opfers. Dann nahm er vier gleichgroße Steine aus dem triefenden Leinensack und hängte ihn zum Trocknen fein säuberlich über ein Holzgestell, das er eigenhändig für diesen Zweck gebaut hatte. Mit der gleichen Sorgfalt legte er die vier Steine neben das Gestell, zwei links und zwei rechts. Warum es ausgerechnet vier gleichgroße Steine sein mussten, und nicht drei oder mehrere ungleiche, wusste ebenfalls keiner, nur Maximilian kannte den Grund. Es entsprang seiner Phantasie, dass sich in den Steinen mehrere Geister oder Seelen aufhielten, die alle den gleichen Platz zur Verfügung haben sollten. Im ersten Stein befand sich die Kraft Gottes, auf dessen Oberfläche er eine Triquetra, das keltische Zeichen für die Dreifaltigkeit eingeritzt hatte. Im zweiten war die Essenz von Satan, die er von außen mit einem Teufelshaken symbolisierte. Im dritten Stein befanden sich die Seelen der Hexen und darauf war ein Pentakel zu sehen, welches die böse Kraft der schwarzen Magie für immer im Stein einschließen sollte. Der vierte und letzte Stein, bot den Seelen der unschuldigen Frauen Zuflucht, und er war mit einer Doppelspirale gekennzeichnet, ebenfalls ein keltisches Symbol, das für die Geburt und den Tod steht. Nachdem er seine persönlichen Kultgegenstände an Ort und Stelle platziert hatte, zündete er eine dicke weiße Kerze an und stellte sie vor das Trockengestell und die Steine, während er sich erneut bekreuzigte. Dann schlenderte er pfeifend in Richtung Münsterkirche, vor deren Haupteingang man zwölf Scheiterhaufen aufgebaut hatte, nur zwanzig Meter neben dem Marktplatz, auf dem noch immer die Feuerschlucker und Barden ihre Kunst zum Besten gaben. Während die einen tranken, tanzten und lachten, sahen die verurteilten Frauen ihrem qualvollen Tod ins Antlitz. „Maximilian, kommt her und trinkt einen Becher Honigwein. Den habt Ihr euch heute redlich verdient“ rief ein kleiner, dicker Mann mit schriller Stimme, dem das einzige Wirtshaus am Ort gehörte. Aber der Kolker hob nur ablehnend die Hand und ging weiter, bis er sie endlich sah, seine ganz spezielle Hexe. Wie versprochen hatte der Feuermeister noch nicht mit ihrer Verbrennung begonnen und Maximilian stellte sich nun breitbeinig vor den Scheiterhaufen und sah sie mit kalten, hasserfüllten Augen an. Dabei starrte er auf ihren Bauch, so als wollte er sich mit einem Röntgenblick davon überzeugen, dass ihre Leibesfrucht noch da war, die sie aus seinen Lenden gehext hatte.

      Katharina Seidenweber, die Tochter eines armen Schneiders, war eine sehr schöne und intelligente Frau, die schon in jungen Jahren im Mittelpunkt von Maximilians Begierde stand. Bei jeder Gelegenheit stieg er ihr nach, und anfänglich fand sie sogar Gefallen daran. Aber mit der Zeit wurde er stets brutaler und nahm sie so oft und so hart er wollte. Manchmal schlug er sie auch und beschimpfte sie dabei auf üble Weise. „Wenn Ihr jemandem von uns erzählen tut, bringe ich Euch um, hört Ihr?“ sagte er, wenn er mit ihr fertig war. „Wenn Ihr Euer Maul nicht im Zaum halten tut, stopfe ich es Euch“. Da sie sich als Tochter des Schneiders weit unter Maximilians gesellschaftlichem Stand befand, ließ sie alles über sich ergehen. Erst als eines Tages ihre Blutung aussetzte, konnte sie nicht anders, als ihn zur Rede zu stellen. „Maximilian, es ist Euer Kind. Ihr müsst mich ehelichen, sonst kommt große Schande über uns“. „Uns?“ fuhr er sie mit geballten Fäusten an, „es gibt kein uns, versteht Ihr. Wer weiß, mit wem Ihr es sonst noch treiben tut, dreckiges Weib“, schrie er außer sich vor Wut. „Ihr seid eine elende Dirne, sonst nichts. Euch und Eurem Balg werde ich es zeigen“. Dann stampfte er davon. Am darauffolgenden Sonntag, als sich alle Gläubigen durch das Kirchenportal drängten, schlich er sich von hinten an Katharina heran und riss ihr das Kleid von den Schultern, ohne, dass jemand es bemerkt hätte. „Seht!“ rief er dann theatralisch, „seht! Sie trägt das Zeichen Satans auf dem Rücken!“ Er hatte es schon beim ersten Mal gesehen, als er es ihr von hinten besorgte, ein ganz ansehnliches Muttermal auf ihrem rechten Schulterblatt. Eigentlich sah es aus wie ein harmloser, perfekt proportionierter Schmetterling, doch Maximilian deutete es als Symbol des Bösen. „Da, seht es euch an. Es sind die Schwingen des Antichristen, mit denen er sich aus der Hölle erhebt. Sie ist zweifellos eine Hexe“.

      NEW YORK, JONATHAN KRAMER 2019

      Freitag, Manhattan, 5th Avenue: Jonathan Kramer kam gerade aus einem Meeting mit dem Creative Team seines Verlegers. Nachdem es ihm vor einem Jahr gelungen war, einen Bestsellerroman zu schreiben, wurde das Verlagshaus zu seinem zweiten Zuhause. Man wollte, dass er mit einer neuen Geschichte möglichst schnell an seinen aktuellen Erfolg anknüpfte. „Du musst die Welle reiten, solange sie da ist, sonst gerätst du bei deiner Leserschaft schnell in Vergessenheit“, sagte David Jennings, Jonathans junger und ehrgeiziger Literaturagent. Natürlich nahm Jonathan sich das zu Herzen und schrieb innerhalb weniger Monate ein neues Buch. Wieder ging es dabei um unerfüllte Liebe, Sex und Drogen. „Das interessiert die Menschen“, postulierte David, „verstehst du, nichts verkauft sich besser als Mord und Totschlag, Sex and Crime“.

      Beim heutigen Meeting ging es nur noch darum, den richtigen Titel zu finden, und das war hauptsächlich die Angelegenheit der Kreativkräfte, weshalb Jonathan im Grunde genommen nur dasaß, um hin und wieder zustimmend zu nicken, oder vehement den Kopf zu schütteln. Nach mehrstündigem Brainstorming war es dann soweit, der Titel stand fest: „Der Tod trägt ein Schwarzes Etuikleid“. Gedankenversunken saß er nun hinter dem Steuer seiner silbergrauen Mercedes E-Klasse und wartete darauf, dass die Ampel auf Grün umsprang. „Wie viele Stunden wir wohl während unseres Lebens im Straßenverkehr verschwenden?“ murmelte er fast lautlos vor sich hin und blickte dabei durch das Beifahrerfenster, um einen Mann im Blaumann zu beobachten, der in der einen Hand einen silbernen Blecheimer, und in der anderen eine, mit Farbklecksen überzogene, Aluminiumleiter trug. Über seiner Schulter hing ein strahlend weißer Lappen, und aus seiner Gesäßtasche ragte eine zusammengerollte Zeitung.

      Vor einem ziemlich schmutzigen Schaufenster blieb er abrupt stehen, klappte mit einer Hand geschickt die Leiter auseinander, und wuchtete den offenbar vollen Eimer auf die oberste Stufe. „Die Scheibe hat es wirklich nötig“, dachte Jonathan, und verglich sie dabei mit den pikfeinen Schaufenstern der angrenzenden Geschäfte. Dann fragte er sich, was für ein Mensch der Fensterputzer sein mochte. „Wie alt wird er sein? Ist er verheiratet? Hat er vielleicht Kinder? Ist es sein Job, Schaufenster zu putzen, oder gehört ihm der Laden? Was ist das überhaupt für ein Geschäft?“ Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, denn der Wagen hinter ihm hupte energisch. Während Jonathan den Mann mit dem Eimer beobachtet hatte, war die Ampel auf Grün gesprungen, und der Straßenverkehr zwang ihn nun, schnell zu reagieren. Während sein Wagen wieder ins Rollen kam hob er die rechte Hand, um sich bei dem nachfolgenden Fahrer für seine Unaufmerksamkeit zu entschuldigen.

      Dann sah er noch einmal kurz zu dem Fensterputzer hinüber, so als wollte er sich von ihm verabschieden.


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