Hitlers "Mein Kampf". Antoine Vitkine
korrigierten Blättern, mit Streichungen und so manchem Satz ohne Punkt und Komma, das sehr viel mehr als eine »Abrechnung« werden wird.
Erste Veröffentlichungen
Gut ein Jahr nach seiner Verhaftung ist Hitler wieder auf freiem Fuß. Zuhause in München wird er von seinen Freunden gefeiert. Jetzt muss er nur noch einen Verleger finden. Da die Verhandlungen mit prestigeträchtigen Häusern gescheitert sind, im Allgemeinen aus finanziellen Gründen, gibt sich Hitler mit dem Kleinverlag der NSDAP zufrieden, dem Franz-Eher-Verlag. Zu Beginn des Jahrhunderts von Franz Eher gegründet, 1920 von den Nazis übernommen, publiziert er verschiedene Broschüren für ausgesuchte Kundschaft sowie die Parteizeitung Völkischer Beobachter.
Leiter des Eher-Verlags ist ein gewisser Max Amann. Der 35jährige ist alles andere als literarisch bewandert: nicht sonderlich intelligent, ein lausiger Redner und ebensolcher Schriftsteller, der dennoch eine Schlüsselfunktion im System der NSDAP innehat – in den 1920er Jahren, zu einer Zeit, als es noch kein Fernsehen gibt und das Radio ein für die Nazis unerreichbares Medium ist, sind gedruckte Produkte wie Zeitungen die wesentlichen Instrumente der Propaganda. Dieser bessere Handlanger verdankt seine Position allein der unverbrüchlichen Treue zu Hitler. Im Weltkrieg ist Amann als Vizefeldwebel zeitweilig Hitlers Vorgesetzter gewesen und begleitet seither dessen politischen Aufstieg: Gleich nachdem er sich an die Spitze der Partei gesetzt hatte, hat der Führer Amann die Leitung des Eher-Verlags anvertraut.
Als regelmäßiger Besucher in Landsberg hat der Verleger Hitler zugeredet, seine Autobiographie zu schreiben, hat ihm versichert, sie werde sich gut verkaufen und könne von seiner jüngsten Berühmtheit nur profitieren. Als Verleger, der scharf darauf ist, einen Coup zu landen, hat Amann mit Enthüllungen über die Hintergründe des Putschversuchs gerechnet. Nach eigenem Eingeständnis – in seinen nach dem Krieg erschienenen Erinnerungen – enttäuscht es ihn ein wenig, dort nichts als Wiederholungen dessen zu finden, was er schon tausendmal aus dem Mund des Führers gehört hat. Das zeigt deutlich genug, wie sehr das Manuskript zu wünschen übrig lässt.
Im Juni 1924 und den folgenden Monaten haben verschiedene Zeitungen aus dem rechtsradikalen Spektrum die unmittelbar bevorstehende Veröffentlichung von Adolf Hitlers Buch angekündigt. Die aber verzögert sich notgedrungen: Mit seinen zahlreichen stilistischen Unbeholfenheiten, Wiederholungen und Ungenauigkeiten vermag das Manuskript Hitlers Vertraute nicht recht zu überzeugen. Hitler hat so geschrieben, wie er spricht, stellen sie fest, und sein Talent ist eben eher rednerischer als literarischer Natur. Mehrere Mitglieder aus Hitlers Leibgarde wechseln sich nun also ab, um den Text zu verbessern, aufzubereiten, am Stil zu feilen, Ideen und Gedankengänge deutlicher herauszuarbeiten. Rudolf Heß ist dank seiner höheren Bildung dabei, ebenso wie Ernst Hanfstaengl, der Deutsch-Amerikaner mit Harvard-Diplom, dann Amann und Müller, der Drucker der Partei. Doch hauptsächlich wird diese mühsame und wichtige Aufgabe von zwei eher ungewöhnlichen Persönlichkeiten besorgt: Joseph Stolzing-Cerny, Musikkritiker des Völkischen Beobachters, und der ehemalige Priester Bernhard Stempfle, aktuell politischer Redakteur und Herausgeber eines Provinzblattes.
Mehrere Wochen lang arbeitet die Truppe mit Feuereifer. Im Verhältnis zum ursprünglichen Text sind die Korrekturen zahlreich, sie ändern aber grundsätzlich nichts an den vom Autor vertretenen Ideen. Übrigens enthalten die späteren Ausgaben jedes Mal neue Überarbeitungen.
Im Katalog des Eher-Verlags, der die Veröffentlichung von Hitlers Buch ankündigt, ist zunächst aber nicht von Mein Kampf die Rede, sondern von 41/2 Jahre Kampf gegen Lüge, Dummheit und Feigheit. Den Titel hat Hitler höchstpersönlich für sein Werk gewählt. Amann erklärt ihm, dass er weder besonders prägnant klingt noch verkaufsfördernd sein dürfte. Aller Wahrscheinlichkeit nach kommt Max Amann auf die Idee des kurzen, knappen Titels: Mein Kampf. Man kann sich nicht des Gedankens erwehren, dass diesem Buch mit einem anderen Titel womöglich ein anderes Schicksal beschieden gewesen wäre.
Am 18. Juli 1925, sieben Monate nach Hitlers Entlassung aus der Festung Landsberg, liegt das Buch in den Buchhandlungen aus, zu 12 Mark pro Exemplar, keine ganz unbedeutende Summe Geld. Gedruckt von der Firma M. Müller & Sohn in einer Auflage von 10000 Exemplaren, die kistenweise in den Räumen des Eher-Verlags in der Thierschstraße 15 lagern, einem gutbürgerlichen Münchner Viertel. Die großformatige Ausgabe hat 400 Seiten, der Umschlag zeigt ein Schwarzweiß-Porträt von Hitler in dunklem Anzug, der die stechenden Augen direkt auf den Leser richtet. Auf einer breiten roten Banderole prangt der Titel. Unter dem Umschlag erscheint ein Einband aus dunkelroter Pappe mit einem geprägten Hakenkreuz. Der Titel in Frakturschrift, der eigentliche Text aber, um der leichteren Lesbarkeit willen, in Antiqua. Als Zugeständnis an internationale Regeln wird auf dem Deckblatt auf Englisch angegeben: Copyright by Franz Eher Nachf. Printed in Germany.
Inzwischen sitzt Hitler, der Gefallen am Schreiben gefunden hat, an der Fortsetzung von Mein Kampf; in den bayerischen Alpen hat man ihm dafür ein hübsches Landhaus zur Verfügung gestellt, Haus Wachenfeld, den späteren Berghof. Der zweite Band erscheint im Dezember 1926. Während der erste noch Autobiographie und politische Ideen vermischt, legt dieser das Hauptgewicht auf die politischen Zielsetzungen. Hitler behandelt hier das Wesen des nationalsozialistischen Staates, den er heraufbeschwört, die Ideologie der braunen Bewegung, ihre Organisation, ihre Propaganda, ihre Außenpolitik. 1930 werden die beiden Bände übrigens zu einer einbändigen Ausgabe zusammengefasst. Mit seinem Dünndruck, seinem Taschenbuchformat, seinem dunklen Einband erinnert das Buch an eine Bibel.
Die »Nazi-Bibel«, so bezeichnet man seit seiner Veröffentlichung Mein Kampf.
II In Adolf Hitlers Kopf
Das Buch eines Autodidakten
»Ich habe die Gabe, die Probleme auf den einfachen Kern in ihnen zurückzuführen«, hat Hitler einmal gesagt und damit den Schlüssel zu seinem Erfolg geliefert.[13]
Mein Kampf, dieses dicke, stilistisch überladene, auf 700 dicht bedruckten Seiten fixe Ideen einhämmernde Buch, liegt vom Format der »Mao-Bibel« weit entfernt. In einer Zeit des politischen Überschwangs, in der es nur so wimmelt von populistischen, rassistisch-rechtsradikalen Ideologien, stellt es einen wirkungsvollen Querschnitt her. Es macht in seiner einfachen Sprache Schriften und Theorien aller Art, die bis dahin vornehmen Kreisen vorbehalten waren, einem breiten Publikum verständlich: »Das ist insofern eine Art Zeitbild, ein Zeitbild, dass Hitler all das, was zu dieser Zeit auf dem politischen Markt der Rechten flottiert, zusammenfasst und zuspitzt. Und die Rechte [war] zu dieser Zeit ja vorwiegend noch eine Sammlung von älteren Herren, die sozusagen über die Massen regierten«, fasst der Historiker Ulrich Herbert zusammen.[14] Mit seiner Verve und seinen überspitzten Thesen kann sich Hitler von konkurrierenden Ideologen wie Arthur Moeller van den Bruck, Verfasser von Das Dritte Reich, abheben. Dieses Buch, von glühendem Nationalismus getragen, war zwar bemerkenswerter, doch auch moderater als Mein Kampf.
Hitler hingegen behauptet sich mit seiner absolut radikalen Redeweise. Er hängt mit seinen Bestrebungen und der Gewalttätigkeit seiner Ideen die Latte so hoch, dass er die erbittertsten Gegner der Weimarer Republik an sich zu ziehen weiß.
Der andere Trumpf, den Mein Kampf ausspielen kann, erschließt sich aus dem speziellen gesellschaftlichen Kontext, in dem das Buch veröffentlicht wird: Es bietet Antworten auf Fragen, die zahlreiche Deutsche umtreiben. Warum hat Deutschland den Krieg verloren? Warum ist das Land in eine politische Moderne abgeglitten, die die alte Ordnung fortgefegt und die Macht den Liberalen, Juden und Banken hingegeben, die Straße den Marxisten ausgeliefert hat?
Mit seinem Rückgriff auf die Thesen der radikalen Rechten in Deutschland öffnet sich Mein Kampf vielfältigsten Erwartungen: Antisemitismus und Antikommunismus kommen hier selbstverständlich auf ihre Kosten, der Hass auf Frankreich ist überschäumend, die Armee wird in einem fort aufrichtigst verteidigt und eine die sozialen Klassen aufhebende Form von Egalitarismus gesteht allen einen Platz in der Politik des nationalsozialistischen Vorhabens zu. Es kommt überdies all denen entgegen, die aus rassistischen und eugenischen Gründen in Besorgnis geraten könnten. Folglich richtet sich das Werk an ein breites Publikum und potenziell antagonistische Gesellschaftsschichten,