Hitlers "Mein Kampf". Antoine Vitkine

Hitlers


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einer internationalen jüdischen Verschwörung zur Errichtung ihrer Weltherrschaft, an die »Schlußziele des jüdischen Kampfes, die sich nicht nur in der wirtschaftlichen Eroberung der Welt erschöpfen, sondern auch deren politische Unterjochung fordern.« (1/340) Die jüdischen Literaten gingen, so heißt es, Hand in Hand mit den jüdischen Arbeitergewerkschaftlern, die jüdischen Orthodoxen mit den assimilierten Juden, die Bankiers mit den polnischen Schtetl-Schluckern, und alle zusammen geeint in ihrem Willen, die Völker zu zerstören.

      Es »[…] organisiert der Jude seinen Angriff zur Eroberung [der Welt]. Er sieht die heutigen europäischen Staaten bereits als willenlose Werkzeuge in seiner Faust, sei es auf dem Umweg einer sogenannten westlichen Demokratie oder in der Form der direkten Beherrschung durch russischen Bolschewismus.« (2/298)

      So glaubt Hitler also an die Richtigkeit einer berühmten Fälschung, der »Protokolle der Weisen von Zion«,[23] von denen man zum damaligen Zeitpunkt ungefähr seit 20 Jahren weiß, dass sie von der russischen Geheimpolizei komplett erfunden worden sind. »Wie sehr das ganze Dasein dieses Volkes auf einer fortlaufenden Lüge beruht, wird in unvergleichlicher Art in den von den Juden so unendlich gehaßten ›Protokollen der Weisen von Zion‹ gezeigt. Sie sollen auf einer Fälschung beruhen, stöhnt immer wieder die ›Frankfurter Zeitung‹ in die Welt hinaus: der beste Beweis dafür, daß sie echt sind. Was viele Juden unbewußt tun mögen, ist hier bewußt klargelegt. Darauf aber kommt es an. Es ist ganz gleich, aus wessen Judenkopf diese Enthüllungen stammen, maßgebend aber ist, daß sie mit geradezu grauenerregender Sicherheit das Wesen und die Tätigkeit des Judenvolkes aufdecken und in ihren inneren Zusammenhängen sowie den letzten Schlußzielen darlegen. Die beste Kritik an ihnen jedoch bildet die Wirklichkeit. Wer die geschichtliche Entwicklung der letzten hundert Jahre von den Gesichtspunkten dieses Buches aus überprüft, dem wird auch das Geschrei der jüdischen Presse sofort verständlich werden. Denn wenn dieses Buch erst einmal Gemeingut des Volkes geworden sein wird, darf die jüdische Gefahr auch schon als gebrochen gelten.« (1/325f.)

      Der Historiker Edouard Husson erkennt in diesem sich in seiner Radikalität jeglicher Vernunft widersetzenden Antisemitismus eine Erklärung für den Widerhall, den Mein Kampf bei einem Teil der deutschen Bevölkerung findet: »Die tiefe Logik in diesem Buch liegt in der Antwort, die Hitler auf alle Fehlschläge, auf seine persönlichen und auf die Deutschlands bereithält: Es sind immer die Juden. Wenn er die Aufnahmeprüfung für die Wiener Kunstakademie nicht besteht, ist das der Fehler der Juden; wenn Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren hat, liegt die Ursache in einer jüdischen Verschwörung. Autobiographie und Kollektivschuld miteinander zu vermischen, ist seine Stärke. Das verführt viele Deutsche: Sie erkennen sich in ihm auf persönlicher und individueller Ebene wieder«.[24]

      In den Augen eines Lesers von 1925 ist Mein Kampf lediglich ein »banales und schreckliches« Buch, wie es auch Konrad Heiden, Hitlers erster Biograph, zu Recht bezeichnet hat. Banal, weil es die in der Welt der radikalen Rechten damals kursierenden und durch allerhand Schrifttum und Reden bekannt gewordenen Thesen, Utopien und Vorhaben aufgreift. Einer radikalen deutschen Rechten, die sich mit einem Wort: völkisch, beschreibt. Die völkische Bewegung verherrlicht die Bindung an den deutschen Boden und die Einheit eines deutschen, auf Abstammung und Blut gegründeten Volkes, richtet sich gegen Aufklärung, Demokratie, Juden, Slawen, erfindet für Deutschland mythische Ursprünge, strebt nach Gewalt, heiligt die Kraft und redet einem gewissen Paganismus des Wort. Zu Beginn des Jahrhunderts gegründet, erlebt die völkische Bewegung mit der Schaffung zahlreicher Tageszeitungen, Ligen, Vereinigungen und Parteien, unter ihnen die NSDAP, eine rege Entwicklung. Banal auch die auf dem Rassismus aufbauende Weltanschauung. Hitler nimmt beispielsweise die antisemitischen Thesen eines Houston Stewart Chamberlain auf, der die »jüdische Rasse« als »das die Menschheit verderbende Prinzip« betrachtet. Chamberlains Einfluss findet sich in einer ganzen Reihe zeitgenössischer Bücher wieder, in Deutschland, versteht sich, aber auch in Frankreich aus der Feder von George Montandon[25] oder Henry Ford in den Vereinigten Staaten.

      Was Hitler schreibt, ausgenommen natürlich die biographischen Aspekte, entspringt also nicht der kranken Einbildungskraft eines Monsters, das über Deutschland und die Welt hereingebrochen ist. Mein Kampf ist zum größten Teil das Spiegelbild – und das Produkt – seiner Zeit. Gewiss, Hitler treibt seinen Antisemitismus zum Äußersten. Trotzdem enthüllt Mein Kampf diese wichtige Wahrheit: Dieses Buch ist nicht bloß das Zeugnis eines besessenen Psychopathen, der aus unerfindlichen persönlichen Gründen beschlossen hatte, das jüdische Volk zu beseitigen; es ist das Zeugnis eines gewohnheitsmäßigen Hasses in der westlichen Welt, einer uralten Feindseligkeit. In einem eigenen Kapitel berichtet Hitler, ausgehend vom Römischen Reich, über die Geschichte der Juden in Europa und zitiert alle traditionellen antisemitischen Gemeinplätze, etwa den geizigen Juden, den Wucherer, der die Arbeit der anderen ausschlachtet, den Fälscher, den Protegé der Mächtigen, hinterhältig, lügnerisch, schmutzig, sexuell pervers, Hasser aller Nicht-Juden, Anhänger fremder, satanischer Rituale, Drahtzieher hinter den Kulissen, der die Völker spaltet, um sie besser zu beherrschen. So steht zu Beginn des Prozesses, der in Auschwitz enden soll, der klassische, in Europa verwurzelte Antisemitismus, wie er, geprägt durch die Jahrhunderte, von Christentum und Monarchien angefacht worden ist. Hitler heizt ihn bis zur Weißglut an, und die Ereignisse werden die Welt schließlich ins Entsetzen stürzen. Mein Kampf präsentiert sich damit nicht allein als das Buch des Dritten Reiches: Es ist ein Brevier des Hasses, das ins finstere Antlitz des Westens geschrieben steht.

      Antisemitismus, aber auch Rassismus, Sozialdarwinismus, Antiparlamentarismus, Feindseligkeit gegenüber jeglicher Form von demokratischer Organisation, Antimarxismus, Bellizismus, Expansionismus, Sehnsucht nach einer traditionellen und autoritären Gesellschaftsordnung: All diese Ideen liegen in jener Zeit in der Luft, nicht bloß in Deutschland, sondern mehr oder weniger ausgeprägt in allen europäischen Ländern. Im Deutschland der 1920er Jahre mag Mein Kampf, wie Heiden sich ausdrückt, auch deshalb »banal« erscheinen, weil der Wunsch nach Rache und die Verherrlichung des deutschen Volkes gängige Gefühle sind. Anders gesagt, zu dem Zeitpunkt, als Mein Kampf im Eher-Verlag die Druckerpresse verlässt und in den Buchhandlungen auftaucht, ist die überwiegende Zahl der Zeitgenossen bereits positiv darauf eingestimmt.

      Es ist jedoch nicht nur ein »banales«, sondern mit seinen selbst für die damalige Zeit extremen Gewalttätigkeit auch ein »schreckliches« Buch: ein abgrundtiefer Hass, ein kalter Hass, methodisch gewandet, klar und deutlich, absolut. Mein Kampf banalisiert den Schrecken und kündet doch auch von etwas anderem: vom Einsatz aller Ressourcen eines Staates im Kampf gegen die Juden, im Dienst einer globalen, definitiven Lösung der Judenfrage, die mit dem Verschwinden der »jüdischen Rasse« zum Abschluss kommen soll. Dieser Kampf kennt in Hitlers Geist keine Grenzen, weder politische noch moralische, noch geographische. In den langen Passagen voller Lobesworte an die Adresse Japans (übrigens eine Vorwegnahme der Allianz von 1936 zwischen den beiden Ländern) betont er, dass die »derzeitige Entwicklung dem arischen Einfluß zu verdanken ist«, und »sogar Japan«, fügt er gleich hinzu, »von den Juden bedroht ist«. »Nun weiß der Jude zu genau, daß er in seiner tausendjährigen Anpassung wohl europäische Völker zu unterhöhlen und zu geschlechtslosen Bastarden zu erziehen vermag, allein einem asiatischen Nationalstaat von der Art Japans dieses Schicksal kaum zuzufügen in der Lage wäre. […] So sucht er den japanischen Nationalstaat noch mit der Kraft ähnlicher Gebilde von heute zu brechen, um sich des gefährlichen Widersachers zu entledigen, ehe in seiner Faust die letzte staatliche Macht zu einer Despotie über wehrlose Wesen verwandelt wird.« (2/299) »Die Vernichtung Deutschlands war nicht englisches, sondern in erster Linie jüdisches Interesse, genau so wie auch heute eine Vernichtung Japans weniger britisch-staatlichen Interessen dient, als den weit ausgreifenden Wünschen der Leiter des erhofften jüdischen Weltreichs.« (2/298)

      Im Hinblick auf die Juden kündigt Hitler kein präzises Programm an. Beiläufig teilt er auf einer Seite mit: »Nur die gesammelte konzentrierte Stärke einer kraftvoll sich aufbäumenden nationalen Leidenschaft vermag der internationalen Völkerversklavung zu trotzen. Ein solcher Vorgang ist und bleibt aber ein blutiger.« (2/312) Hitler wendet das Wort »Ausrottung« an, er nutzt es jedoch, um die Ziele der Juden zu beschreiben: »Der Jude geht seinen Weg, den Weg des Einschleichens in die Völker und des inneren Aushöhlens derselben, und er kämpft


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