Liebe fragt nicht. Bernd Urlaub
ihn gab es keine Alternative und sein größter Wunsch war es, nach Erreichten des Abiturs Offizier in der Wehrmacht oder der Waffen- SS zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wollte er sich so schnell wie möglich freiwillig melden. Birgit hatte ihren Mann gebeten, seinen Einfluss geltend zu machen, dass Werner eventuell uk. gestellt werden würde. Doch Gustav hatte ihr unmissverständlich mitgeteilt, dass seine Beziehungen nicht so weitreichend seien und in diesen Zeiten jeder einen Teil dazu beitragen müsse, damit Deutschland noch siegen würde. Das war zwar ebenfalls ironisch gemeint. Er konnte mitunter ein großer Zyniker sein. Aber Birgit wusste auch, dass ihr Mann, obwohl er ein Karrieremensch durch und durch war, für seinen einzigen Sohn alles getan hätte.
Birgit seufzte. Sie dachte daran, was für Pläne sie am Anfang ihrer Beziehung geschmiedet hatten. Der Krieg hatte alles durcheinander gebracht. Was war nur aus ihrem Mann geworden? Sie kam sich mit der Zeit nur noch betrogen und ausgenutzt vor. Sie sehnte sich nach Liebe und Zärtlichkeit. Aber sie war keine von den Frauen, die sich in amouröse Abenteuer stürzte. Rene Macron kam ihr in den Sinn. Bei ihm könnte sie vielleicht schwach werden. Der Franzose hatte Charme und Stil. Aber es war zu gefährlich, sich mit einem Fremdarbeiter einzulassen. Auch Ortsgruppenleiter Schell hatte ihr schon öfter Komplimente gemacht, die mehr als zweideutig waren. Aber sie mochte den aufgeblasenen Wichtigtuer nicht und ein Verhältnis mit einem Parteibonzen war undenkbar für Birgit. Sie zwang sich dazu, ihr Mittagessen hinunterzuschlingen. Da ging die Türe auf und Werner stürmte herein. Er warf den Rucksack aufs Sofa und umarmte seine Mutter stürmisch.
„Werner, was machst du denn hier? Ich denke man bringt euch das Schießen mit der schweren Flak bei."
Ihr Sohn wurde zurzeit als Flakhelfer ausgebildet. „Wir haben eine Woche Urlaub bekommen. Irgendetwas ist im Gange. Was, dass bekommen wir noch mitgeteilt. Wahrscheinlich ein Einsatz, möglicherweise in Schweinfurt."
Die Industriestadt war nun schon monatelang das Ziel der englischen und amerikanischen Bomber. Dementsprechend massiert, war um Schweinfurt herum die Flugabwehr aufgebaut. Was zur Folge hatte, dass die Verluste der Flaksoldaten und Flakhelfer sehr hoch waren.
Birgit versuchte, nicht zu sehr darüber nachzudenken, was für ein Einsatz das sein könnte. Im Moment zählte der Augenblick.
„Hast du Hunger? Ich kann dir Kartoffeln warm machen."
„Nein, danke. Ich habe in der Kaserne gegessen. Sei mir nicht böse, aber ich möchte Franzi rasch noch guten Tag sagen. Dauert nicht lange, dann bin ich wieder bei dir."
Ist gut. Birgit lächelte ihre Enttäuschung weg. Die hübsche Winzertochter hatte ihrem Sohn so den Kopf verdreht, dass er gar nicht merkte, wie die ihn gekonnt auf Distanz hielt. Aber irgendwann würde er schon merken, dass seine Gefühle nicht so erwidert wurden, wie er sich das wünschte.
Als Werner das Hauptgebäude erreichte, kamen ihm die beiden Polen entgegen, die nach Einnahme des Mittagsmahls in ihre Quartiere in der großen Scheune des Anwesens gingen. lm Esszimmer saßen nur noch Emma und Hans Geiger, sowie Franziska und Rene an dem großen Eichentisch. Der Franzose genoss eine Sonderstellung und war für Hans Geiger fast so wie ein Sohn, zumal er auch einiges vom Weinbau verstand. Werner fand es zwar merkwürdig, schließlich gab es ein offizielles Merkblatt, in dem genau definiert war,wie mit Zwangsarbeitern umzugehen war. Es wäre ihm aber nie in den Sinn gekommen, deswegen den Vater seiner Freundin Vorhaltungen zu machen oder gar ihn anzuzeigen. Er hatte außerdem gemerkt, dass man auf dem Lande manches nicht ganz so eng sah.
Er begrüßte den Hausherrn und seine Frau höflich, nickte Rene knapp zu und umarmte Franzi stürmisch. Die ließ es sich gefallen, denn sie freute sich aufrichtig, dass ihr Freund wieder zu Hause war. Sie mochte ich ja auch ganz gerne, nur Liebe empfand sie für ihn nicht.
„Werner, was machst du denn hier?"
„Eine Woche Urlaub. Frag mich aber nicht nach dem Grund. Ich wollte mich nur kurz bei dir melden und dich fragen, ob du heute am späten Nachmittag Zeit für mich hast für einen Spaziergang. Ich brauche deinen Rat."
„Natürlich hat sie Zeit!"
Emma Geiger hatte nichts gegen die Freundschaft der beiden. So lange alles im Rahmen blieb.
„Gut dann hol ich dich um fünf Uhr ab. Dann ist es auch nicht mehr so gefährlich wegen der Tiefflieger."
„Die werden sowieso bald keine große Gefahr mehr sein. Wenn Monsieur Werner sie bald mit der Flak vom Himmel holt." Rene konnte nicht widerstehen, Werner aufzuziehen.
Dieser verzichtete darauf, ihm zu antworten. Er hielt es für unter seiner Würde einem ehemaligen Soldaten einer Nation zu antworten, die 1940 innerhalb weniger Wochen von der Wehrmacht vernichtend geschlagen worden war.
„Also, dann bis um fünf!"
Er ging ins Nebengebäude zurück, wo seine Mutter sehnsüchtig auf ihn wartete. Manchmal übertrieb sie es schon mit ihrer Fürsorge. Schließlich war er kein kleiner Junge mehr. Nächsten Monat wurde er achtzehn. Und dann würde er seinen Plan umsetzen und sich freiwillig melden.
„Meinst du nicht, dass du mit deinem Sarkasmus etwas zurückhaltender sein solltest?"
Hans Geiger hatte normalerweise nichts dagegen, wenn sein Franzose, wie er ihn gerne nannte, sich mit ihm Wortgefechte lieferte. Es war vor allen Dingen angenehm, dass Rene sehr gut deutsch sprach, da er als gebürtiger Elsässer zweisprachig aufgewachsen war. Überhaupt mochte er den Franzosen sehr gerne und von seiner Seite hätte er nichts dagegen gehabt, wenn sich zwischen Franziska und Rene eine Beziehung angebahnt hätte. Aber die Zeiten waren nun einmal nicht für so etwas geschaffen. Und bei solchen Idealisten, wie Werner einer war, wusste man nie so recht wie man dran war.
„Für Werner lege ich meine Hand ins Feuer. Der würde niemanden verraten, der mir nahesteht."
Ein leichtes Rot überzog Franziskas Gesicht. War sie jetzt zu offenherzig gewesen, mit dem was sie gesagt hatte. Doch ihre Eltern schienen sich nicht an ihrer Wortwahl zu stören. Nur Rene hatte einen Moment gestutzt, hatte sich aber wieder schnell im Griff.
„Manch einer hat sich schon die Finger verbrannt. Sei also vorsichtig, mit dem was du sagst. Und vor allen Dingen, zu wem du es sagst."
Hans wusste, dass seine Tochter sehr impulsiv sein konnte. Das hatte sie von ihm.
„Das sagt der Richtige"
Um Emmas Lippen spielte ein amüsantes Lächeln. Doch manchmal war ihr gar nicht zum Lachen zu Mute, wenn ihr Mann sich über das Regime lustig machte.
„Ach Mutter, du machst dir unnötige Sorgen. Ich habe zwar manchmal ein loses Mundwerk, aber zum Helden tauge ich nicht. Ich passe schon auf, zu wem ich was sage."
Werner erschien pünktlich um fünf, um Franzi abzuholen. Sie liefen Richtung Main und überquerten den Bahnübergang unterhalb des Bahnhofes. Ab und zu warfen sie einen besorgten Blick zum Himmel, dass kein alliierter Jagdbomber überraschend auftauchte und sie unter Beschuss nahm. Der Himmel über Deutschland gehörte den Briten und Amerikanern. Von der einst so stolzen Luftwaffe war nicht mehr viel zu sehen. Es war eine Schande. Immer mehr deutsche Städte versanken in Schutt und Asche. Wie durch ein Wunder war Würzburg bisher von größeren Angriffen verschont geblieben. Lediglich am 21.Februar 1942 gab es einen Angriff nahe des Südbahnhofes. Doch die vier Bomben richteten keinen nennenswerten Schaden an. Heute allerdings hatte es die Stadt härter getroffen. Ein Verband von acht 817-Bombern war versehentlich abgedreht und hatte seine tödliche Last über das Stadtgebiet zwischen Löwenbrücke, Leisten- und Nikolausstraße abgeworfen. Möglicherweise hatte der Verband Schweinfurt im Visier gehabt und hatte sich verflogen. Jedenfalls gab es Tote und Verletzte. Werner hatte die Nachricht mitgebracht.
Die beiden jungen Leute erreichten den Fluss und gingen zu ihrer Lieblingsstelle, einer kleinen Halbinsel, die Main und Altwasser voneinander trennte. Dort nahmen sie auf zwei großen Steinen Platz und schwiegen erst einmal.
Franziska unterbrach das Schweigen. „Was wolltest du mir sagen, Werner?"
Werner druckste einen Moment herum, doch dann sprudelte es nur so aus ihm heraus.
„Ich