Liebe fragt nicht. Bernd Urlaub
„Verzeihung Madam. Es ist eine Freude mit ihnen zu plaudern. Leider wartet der Patron auf mich. Ich muss nur noch etwas aus meinem Zimmer holen und dann geht es schon wieder in die Weinberge. Vielleicht unterhalten wir uns ein andermal, wenn mehr Zeit vorhanden ist?"
Er nickte Birgit freundlich zu und verschwand in seinem Zimmer.
Dort atmete er erst einmal tief durch. Was war das jetzt? Machte ihm diese Frau etwa Avancen? Nur nicht in die Fänge einer unbefriedigten Frau geraten. Er war sich der Problematik durchaus bewusst. Nicht genug, dass es schwierig genug war, seine Gefühle für Franziska zu verbergen. Nein, in seiner Heimat wartete seine Verlobte Margot auf ihn. Verlobt im eigentlichen Sinn waren sie zwar noch nicht. Aber sie hatten einander versprochen, dass sie nach Beendigung des Krieges heiraten wollten. Anfangs hatte er ab und zu noch Briefe von Margot erhalten. Doch die letzten Monate war die Verbindung abgerissen. Vielleicht hatte sich seine Jugendfreundin längst mit einem anderen getröstet. Schließlich nahm sich in diesen Zeiten jeder das, was er kriegen konnte. Doch für ihn zählte nur das Eine: Nämlich gesund in sein geliebtes Elsass zurückzukehren. Das hatte oberste Priorität für ihn. Und so lange konnte das nicht mehr dauern. Ein halbes Jahr vielleicht; dann würden die Alliierten NaziDeutschland besiegt haben. Rene hoffte nur, dass seinem Patron und seiner Familie nichts geschehen mochte. Sie waren immer anständig zu ihm gewesen. Besonders Hans Geiger hatte ihn fast wie einen Sohn behandelt.
Kapitel 3
31. Juli 1944
Werner lauschte gespannt auf den täglichen Wehrmachtsbericht. Was das Oberkommando der Wehrmacht von der Westfront meldete, klang nicht sehr positiv. ln der Normandie hatten die Amerikaner im Raum Saint-Lo einen Ausbruchsversuch aus ihrem Brückenkopf-Sektor unternommen. Und nun standen sie vor Avranches.
Armin Geiger hatte kein gutes Gefühl. Die Stellung, die sie heute Morgen etwa 3 Kilometer westlich von Avranches bezogen hatten, war für den Feind zwar nicht gut einsehbar, die Heckenreihen und Gräben boten aber günstige Gelegenheiten für einen Hinterhalt. Doch Armin gab sich keinen Illusionen hin. Wenn man sie erst einmal ausgemacht hatte, waren sie für die Luftwaffe der Amis eine leichte Beute. Und was dann noch von ihnen übrig war, würden sie dann mit ihrer Artillerie beharken. Die Pionierkompanie, in der Armin den ersten Zug befehligte war gestern der 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend" unterstellt worden. Die Division war berühmt, aber auch berüchtigt für ihren Fanatismus. Sie war 1943 aus Freiwilligen der Hitlerjugend gebildet worden. Der Glaube der Jugendlichen an ihren Führer und an die NS-Ideologie war durch nichts zu erschüttern. Überzeugt, dass ihr Einsatz entscheidend für den Endsieg war,kämpften sie mit großer Härte und Entschlossenheit. Allerdings waren die Verluste auch dementsprechend hoch. Doch es war ein beruhigendes Gefühl einen solch starken Kampfverband an der Seite zu haben. Allerdings ging der Fanatismus der Soldaten so weit, dass sie gefangene Gegner nicht am Leben ließen. Wenn es stimmte, was Armin von einem Kameraden erzählt bekommen hatte, so sollten zweihundert Kanadier bei den Kämpfen um St.-Lo nach ihrer Gefangennahme erschossen worden sein.
Armin wollte sich eine Zigarette anzünden, als die Artillerie der Amis das Feuer eröffnete. Offensichtlich hatte der Pilot des Aufklärungsflugzeuges ihre Position ausgemacht und an die Artillerie weitergeleitet. „Deckung!" Armin überlegte, ob es nicht ratsam wäre, seinen Leuten einen Stellungswechsel zu befehlen. Doch das Gelände bot nirgendwo einen sicheren Schutz gegen Artilleriebeschuss. Überall nur flache Gräben und Hecken. Sie würden hier ausharren und auf den Angriff der Infanterie warten müssen. Zum Glück war das Gelände für einen Panzerangriff nicht so gut geeignet wie weiter nördlich. Dafür würden die Amis sicher ihre Jagdbomber zum Einsatz bringen. Sie hatten alle Freiheiten am Himmel. Von der deutschen Luftwaffe war weit und breit nichts zu sehen. Feldwebel Hofmann, sein stellvertretender Zugführer kam auf ihn zu zugerobbt, um ihn irgendeine Meldung zu überbringen. Doch dazu kam es nicht. ln unmittelbarer Nähe detonierte eine Granate und um Armin wurde es Nacht.
„Der Widerstand der Wehrmacht- und SS-Verbände war verbissen und heldenhaft. Konnten die Alliierten aber nur einige Tage aufhalten." Aus dem Wehrmachtsbericht vom 3. August 1944. Nach Beendigung der Kämpfe, die als Panzerschlacht von Avranches in die Geschichtsbücher einging, gelang den Amerikanern und ihren Verbündeten der Durchbruch durch die Westfront.
Die Männer, die das Gelände durchkämmten, gehörten keiner regulären Einheit an. Es waren Mitglieder der Resistance, der französischen Widerstandsbewegung. Sie suchten nach deutschen Soldaten, die es nicht geschafft hatten, sich mit den deutschen Verbänden zurückzuziehen. Sie waren nicht zimperlich. Wenn sie einen Schwerverwundeten fanden, bei dem es sich offensichtlich nicht lohnte, ihn am Leben zu lassen, beendete ein gezielter Schuss das Leben des verhassten Deutschen. Handelte es sich gar um einen Angehörigen der Waffen-SS, so wurde noch viel seltener Pardon gegeben.
Armin war aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht. So, wie es aussah, war er unverletzt. Er wollte sich aufrichten, um sich besser umsehen zu können, als er Stimmen hörte. Eine Gruppe von Männern kam auf ihn zu. Sie trugen keine Uniformen, waren aber bewaffnet. Armin war sich im Klaren, dass es sich um Angehörigen des französischen Widerstandes handeln musste. Seine Lage war äußerst misslich. Davonlaufen konnte er nicht mehr. Er konnte höchstens hoffen, dass sie ihn für tot hielten. Er blieb liegen und rührte sich nicht. Armin beherrschte die französische Sprache recht gut. So bekam er mit, was die Männer sprachen. „Hier liegt noch einer. Scheint tot zu sein." „Durchsucht ihn, ob er Brauchbares oder Informatives bei sich trägt und dann jagt ihm vorsichtshalber eine Kugel in den Kopf."
Der Anführer der Gruppe schien kein Freund von Skrupeln zu sein.
Armin öffnete die Augen und gab sich zu erkennen. Er nannte Namen und Dienstgrad.
„Wie heißt du?"
Der Anführer trat näher heran und musterte den Deutschen feindselig.
„Armin Geiger! Sagte ich doch schon."
„Und wo kommst du her?"
„Aus einem Ort in Franken, den du sicher nicht kennst. Thüngersheim heißt er."
„Thüngersheim?" Die Stimme des Anführers wurde um einige Nuancen freundlicher.
„Kennst du einen Hans Geiger?" „Ja, das ist mein Vater!" „Du lügst mich nicht an?"
„Warum sollte ich?"
„Kennst du einen Rene Macron?"
„Ja, das ist unser französischer Arbeiter."
Ein Mitglied der Gruppe mischte sich ins Gespräch ein. „Was ist jetzt? Wir können nicht ewig hier bleiben. Nehmen wir den Boche jetzt mit oder erledigen wir ihn hier?"
„Wir nehmen ihn mit. So wie es aussieht, ist er der Sohn des Winzers, bei dem mein Bruder arbeitet. Rene hat unseren Eltern immer nur mit Hochachtung von seinem Patron geschrieben und an Armin gewandt fuhr er fort:
„Du hast Glück. Ich behandle niemanden schlecht, dessen Vater einem Mitglied meiner Familie ermöglicht, in Deutschland zu überleben. Nehmt ihm die Waffen ab und dann Abmarsch zur Gefangenensammelstelle. "
Der große Saal der Gastwirtschaft „Krone" war bis auf den letzten Platz besetzt. Das dies so war, lag auch daran, dass von Seiten der Ortsgruppenleitung entsprechend Druck auf die Bevölkerung ausgeübt worden war. Fridolin Schell wollte seinem Kreisleiter Dr. Wahl keinen halbleeren Saal präsentieren. Das hätte auch auf ihn kein gutes Licht geworfen. Dr. Wahl war auch der Hauptredner des Abends. Er beschönigte nichts und schilderte die Situation so, wie sie war. Der Feind, so führte er aus, werde möglicherweise schon bald an den Grenzen des Reiches stehen. Doch er ließ auch keinen Zweifel daran, dass am Ende Deutschland siegen werde. Denn der Gemeinschaftsgeist und die hohe Moral der Deutschen werde allen Widrigkeiten zum Trotz die Oberhand behalten. Gespannte Aufmerksamkeit herrschte im Saal; als er dann auf die neuen Wunderwaffen zu sprechen kam, die die deutschen Ingenieure und Techniker entwickelten und die den Feind letztendlich vernichten würden. Auch werde in naher Zukunft eine Organisation gegründet werden, die alles Dagewesene in den Schatten stellen werde. Unter dem Motto. „Volk ans Gewehr" würden gewaltige Bataillone entstehen, die den Feind zusammen mit Wehrmacht