Margarethe oder Die Schönheit der Farbe Weiß. Tobias Haarburger

Margarethe oder Die Schönheit der Farbe Weiß - Tobias Haarburger


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– Sie fragte ihn, ob der Job als Mathematiklehrer nicht sicherer gewesen wäre.

      Das schon, aber ihn hätte der Trott und jedes Jahr dasselbe durchnehmen zu müssen sehr angestrengt.

      Er solle mehr über sich erzählen, bohrte Margarethe nach, deren Interesse zu ihrem eigenen Erstaunen geweckt war, welche Eigenschaften er habe, was ihn interessiere, mit was er seine Zeit verbringe. Das wären jetzt drei Fragen, sagte sie zu ihm, die würden für mindestens eine halbe Stunde reichen und dann müsste sie sowieso gehen. – Sie entwickelte zu ihrem eigenen Erstaunen so etwas wie Ironie. Sie wolle auch noch wissen, was es mit seinem Nachnamen auf sich habe … auch wenn er das wahrscheinlich oft gefragt werde, fügte sie noch hinzu.

      Ja, der wäre aus Österreich. Er wisse auch, dass er von einer Nebenlinie der Radetzkies abstamme, also des großen Radetzki, des Josef Wenzel Radetzky von Radetz.

      Warum er dann Serge und nicht Josef heiße, fragte Margarethe.

      Weil seine Mutter Französin sei.

      Margarethe fiel auf, dass Serge die meiste Zeit lächelte, während er sprach. Das gefiel ihr.

      Mit was er seine freie Zeit verbringe, könne er am einfachsten beantworten, meinte er sodann. Er handle nebenher mit Kunst, gehe auf Verkaufsmessen und suche Arbeiten, die er in Kommission verkaufen könne. Das würde er über seinen Onlineshop machen. Davon würde er nicht reich, aber etwas bringe das schon ein. Ob Margarethe so eine Kunstmesse kennen würde, wollte er wissen.

      »Nein«, antwortet sie kurz.

      Im Moment wäre eine ganz in der Nähe, sagt er und legte einen Ton hinein, als ob er fragen würde, ob sie ihn begleiten wolle.

      Margarethe ignorierte diese Andeutung, fragte aber, wo diese Messe sei, was dort ausgestellt würde und wer die Käufer wären.

      Sie heiße Frankfurt Fair For Modern Art und es ginge um zeitgenössische Kunst, wie der Name schon sagen würde.

      Margarethe wusste nichts darüber, fand aber Gefallen an dem Thema.

      Es gehe eigentlich nur noch um die Geldanlage beim Kunstsammeln, sagte Serge. Niemand interessiere sich noch aus Leidenschaft für die Künstler, oder was sie anfertigen und ausstellen würden. Es kämen 10.000 Besucher auf die Messe.

      Margarethe dachte an ihr Wohnzimmer. Sie fragte nach der Internetadresse und auch die von Serges Verkaufsseite wollte sie haben. Sie suche gerade etwas. Er wäre aber wohl kein Freund des Geldverdienens, meinte sie. Warum solle man nicht auch bei Kunst auf eine Wertsteigerung setzen? Jetzt nippte sie doch an dem Sektglas.

      Serge, für den es völlig normal war, links zu sein, und der sich nicht vorstellen konnte, dass ein vernünftiger Mensch nicht an den Sozialismus glaubte, antwortete, der Neoliberalismus und der Kapitalismus machten alles kaputt, indem sie alles bewerteten und alles einem monetären Imperativ unterordneten, dabei nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Sektglas.

      »Das ist doch Nonsens«, sagte Margarethe in ihrer knappen Art, ohne weiter auf den Punkt einzugehen.

      Sie schwiegen wieder.

      Dann fragte Margarethe »Was ist denn das für eine Einstellung? Das sind doch leere Schlagworte – Neoliberalismus und Kapitalismus. Was für ein Wirtschaftssystem würden Sie sich denn wünschen?« Sie mochte es nicht, wenn Menschen etwas nur so dahinsagten, weil sie meinten, das würde gut ankommen. »Welche Funktion haben Banken und welche Funktion hat die Börse? Haben Sie sich das schon einmal überlegt? Haben Sie keine Kreditlinie für Ihre kleine Firma? Haben Sie Ihr Auto bar bezahlt? Was glauben Sie, wo große Pensionsfonds ihr Geld anlegen? Wie können sich Unternehmen finanzieren? Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht?«

      Sie habe eigentlich keine Zeit und keine Muße, so ein Gespräch zu führen, fügte sie hinzu und verstand selbst nicht, warum sie sich so ereiferte und im Ton vergriff. Tatsächlich war sie es schon seit langer Zeit nicht mehr gewohnt, eine harmlose Unterhaltung zu führen. Wann war es überhaupt das letzte Mal, dass sie über ein aus der Luft gegriffenes Thema sprach? Welchen Zweck hatte so eine Unterhaltung überhaupt? Sie erregte sich immer mehr, was eigentlich nicht ihre Art war. Wollte er mit ihr flirten? Glaubte er allen Ernstes, sie habe Interesse an einem Menschen wie ihm? Es wurde offensichtlich für sie, dass sie die Fähigkeit, eine harmlose Unterhaltung zu führen, verloren hatte.

      Serge fühlte sich angegriffen und belehrt. Er kannte nur Menschen, die seine Meinung teilten. Was sollte er jetzt antworten? Ihm fiel die Sub-prime-Krise ein, doch er spürte, dass ihm das nicht weiterhelfen würde. Er würde gerne eine Nacht mit dieser Frau verbringen, deswegen hatte er sie angesprochen, ja, eigentlich ging es ihm nur darum. Wenn sie nur nicht diese abweisende Art hätte … Serge musste davon ausgehen, dass er nicht ihr Typ war – oder doch? Er legte sich in Beziehungen nicht gerne fest und das kam nicht bei allen Frauen gut an, bei manchen allerdings schon. Man musste sich herantasten. »Also die Sub-Prime-Krise war doch ein Auswuchs des Neoliberalismus, oder nicht?«, brachte er schließlich hervor. Er brauchte hier viel Geduld, sagte er sich. Manche Frauen ließen sich nicht einschätzen und Margarethe gehörte eindeutig in diese Kategorie.

      »Sie wirken ziemlich unstet«, sagte Margarethe in diesem Augenblick zu ihm und sah ihn durchdringend an. »Ich meine Ihre Aufmachung und die Tatsache, dass Sie kein festes Einkommen haben. Fühlen Sie sich wohl dabei? Zahlen Sie in die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung ein?« Ihre Sympathie ließ nach. »Natürlich war die Sub-Prime-Krise der schlimmste Skandal der jüngsten Wirtschaftsgeschichte mit wirklich harten Konsequenzen, gerade für die Pensionsfonds und strategischen Investoren.« Sie machte eine kurze Pause, dann sagte sie: »Ich hoffe, dass Sie sich nicht für mich interessieren, das wäre vollkommen aussichtslos … Die Frage ist doch, wie der demokratische Staat auf solche Krisen reagiert, die natürlich nicht ausbleiben«, fuhr sie fort. »Man hat ja vieles geändert seither, die Baselvereinbarungen zum Beispiel und die Regelungen für das Eigenkapital der Banken.« Sie redete, als hätte sie Serge nicht gewaltig brüskiert. »Vor allem ist der Wohlstand dank des Kapitalismus auf so hohem Niveau, dass man die Schwierigkeiten auffangen konnte.«

      »Ja, für einen hohen Preis«, antwortet Serge, der nicht wusste, wie ihm geschah, die Unterhaltung aber fortzusetzen versuchte. Hatte sie das eben wirklich gesagt? Er sei unstet und sie wolle nichts von ihm wissen? »Es folgte die Griechenlandkrise und jetzt haben wir keine Zinsen mehr, was sich langfristig verheerend auswirken kann«, fügte er hinzu. Hatte sie tatsächlich sein Äußeres kritisiert? Er hielt sich für sehr attraktiv und war stolz auf seinen jugendlichen Stil.

      Margarethe strich sich durch das Haar und lächelte kurz.

      War das Lächeln jetzt eine Entschuldigung?

      »Es geht doch in der Finanzwelt, wie eigentlich bei allem in der Politik, um Stabilität, um nichts anderes. Die niedrigen Zinsen bringen Stabilität.« Margarethe erklärte noch weitere Details aus den Gegenmaßnahmen, die man nach der Bankenkrise eingeleitet hatte.

      Unstet sei er? Er lebte wie alle anderen Leute, die er kannte; kinderlos und von der Hand in den Mund. Natürlich hatte er keine Sozialversicherungen. Wer brauchte das mit fünfunddreißig? Sie war wirklich seltsam, diese Frau. Sie sagte einfach, was sie dachte, auch wenn es vollkommen unpassend war. Die Zurückweisung konnte aber auch eine Einladung sein, denn sie erwähnte damit immerhin die Möglichkeit, dass er etwas von ihr wollen könnte, das hätte sie ja nicht tun müssen. Serge folgte ihrem Mund. Sie hatte einen wunderschönen Mund. Ob er sie einfach küssen sollte? Vielleicht wünschte sie sich das? Er näherte sich ihr mit seinem Kopf.

      Margarethe sprang abrupt auf. Sie ging direkt zu ihrer Freundin und verabschiedet sich von ihr. Dann kehrte sie noch einmal zu Serge zurück und fragte noch einmal nach der Internetseite der Kunstmesse.

      Ihr Gehen und Zurückkommen löste Verwirrung bei ihm aus. »Warum wollen Sie schon gehen?«, fragte er. »Wir könnten doch gemeinsam zu der Messe …« Er ärgerte sich im selben Moment, als er es sagte. Es klang wie ein Betteln.

      »Nennen Sie mir die Internetseite der Messe und auch die von ihrem Shop. Ich sehe mir das an«, sagte Margarethe, »vielleicht melde ich mich.«

      Serge


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