Margarethe oder Die Schönheit der Farbe Weiß. Tobias Haarburger
verbindlich zu sein, ließ ihn Margarethe stehen.
Margarethe stieg in ihren Mini und machte sich auf den Weg nach Hause.
Je länger sie fuhr, desto klarer wurde ihr, wie konfus sie dahergeredet hatte. Sie war sonst von großer Selbstkontrolle, blickte mit Distanz auf die Dinge und plapperte niemals drauflos. Wie hatte diese Begegnung sie so aus der Bahn werfen können? Er wollte mit ihr flirten und wahrscheinlich mehr. Sie war unfähig gewesen, das elegant abzuwehren, stattdessen kritisierte sie ihn wegen seiner Kleidung und weil er so einen haltlosen Eindruck machte. War das ihr Problem? Serge hatte sie betört, ja, so war es. Sie war seit bestimmt zehn Jahren oder länger ohne Kontakt zu einem Mann, der ihr seine Zuneigung zeigte. Das war es, was sie aus der Bahn warf.
Sie traf an der Einfahrt zur Garage ein.
Eigentlich war Serge nett und gab sich Mühe und, ja, er hatte einen Stil, der zu ihm passte. Die eingerissenen Knie wahren wohl übertrieben.
Hatte sie den Zettel eingesteckt? Ja.
Ausnahmsweise hatte sie nicht ihren blauen Blazer und die blaue Hose an. Sie trug eine dunkle Bluse mit bunten Blumenmustern und einen gelben Blazer darüber, außerdem eine Jeans mit einer hübschen silbernen Schnalle. Sie hatte sich jeweils zwei Armreifen über jedes Handgelenk gesteckt, was sie sonst niemals machte.
Wie war ihre Wirkung auf Männer? Die Frage stellte sie sich sonst nie. Sie hatte schulterlanges braunes Haar, das sich ab der Mitte wellte. Obwohl sie eher schmal war, zeigten ihr Mund und vor allem ihr Kinn ein hohes Maß an Willensstärke.
Sie trug ihre Perlenstecker und nicht die Ananasohrringe, wenigstens das. Serge würde sich nichts aus Frauen mit Perlensteckern machen. Wieso nannte sie ihn beim Vornamen und wieso beschäftigte sie sich überhaupt mit ihm? Diese alberne, kurze Begegnung …
Die Kunstmesse würde sie gerne besuchen. Sollte sie bessere alleine hingehen? Aber er kannte sicher viele Aussteller und konnte ihr helfen …
Wie wäre es, mit ihm zur Messe zu gehen? Sie hatte das Gefühl dafür, mit einem Mann zusammen zu sein, verloren. – Zu zweit sein … wie war das?
Sie würde ihn anrufen.
Margarethe setzte sich auf den abgewetzten Sessel in ihrer Küche, der einmal die Zierde eines Wohnzimmers war, und trank Tee. Dank des unausstehlichen Abteilungsleiters hatte sie es plötzlich mit einem Fachgebiet zu tun, von dem sie nichts wusste. Sie war zwar Expertin für Strafrecht, hatte sich aber in den vergangenen Jahren selbst mit diesem Gebiet nur theoretisch beschäftigt. Die Fälle aus dem grauen Finanzmarkt und Steuersachen wurden von Wirtschaftsdezernaten bearbeitet. Margarethe hatte auch kein Depot und handelte nicht mit Aktien. Sie hatte einen Sparplan für Rentenpapiere und Staatsanleihen bei einer der großen Banken, außerdem investierte sie in eine teure Wohnung in guter Lage, die sie vermietete – ihre eigene Wohnung war längst abbezahlt –; sie wollte Klarheit und Sicherheit. Das Finanzwesen fand sie schon immer dubios. Sie musste sich jetzt in kürzester Zeit einarbeiten.
Sie ging an ihr Regal und entnahm ein Standardwerk zum Handelsrecht und ein zweites für Wirtschaftsrecht. Beide Ausgaben waren zwanzig Jahre alt, die würden ihr also nichts nützen.
Sie las in beiden etwas quer herum und ging dann schlafen.
***
Am nächsten Tag, einem Montag, stand Margarethe wie gewohnt um sechs Uhr auf, machte Kaffee und begann noch im Schlafanzug eine Liste mit möglichen Quellen zusammenzustellen. Als erstes las sie eine Nomenklatur mit Fachbegriffen, die sie Börsenseiten im Internet entnahm. Es war notwendig, jeweils eigene Themenlisten für Hedgefonds und Immobilienfonds anzulegen.
Das ergab eine erste Übersicht, mit was sie es zu tun hatte, beruhigte sie aber nicht gerade. Die Materie verzweigte sich endlos. Außerdem war ihr klar, dass das alles Lehrbuchwissen war und die Realität anders aussehen würde. Alleine was ein Hedgefonds war, wurde nur allgemein erklärt.
Sie las zunächst die Stichworte auf der Seite der Frankfurter Börse. Natürlich war das nur kurz und für Laien geschrieben und sie benötigt eigentlich jemanden, der sie zielgerichtet einführte. Sie kannte aber niemanden, der infrage kam. Mit welchen Größenordnungen hatte man es bei geschlossenen Immobilienfonds zu tun? Wie waren sie organisiert, das heißt, welche Rechtsform war üblich? Wo befanden sich die Immobilen und welchen Zweck hatten diese Fonds überhaupt? Es gab anscheinend einen Zweitmarkt, auf dem Fondsanteile gehandelt wurden.
Irgendwann fragte sie sich, was die klassischen Betrugsmöglichkeiten in dieser Branche waren. Sie sah sich im Internet die Seiten von Emissionshäusern an, die geschlossene Fonds vertrieben. Es war aber merkwürdig wenig darin zu erkennen. Um welche Objekte ging es überhaupt? Die Rede war vor allem von Wertsteigerungen und versprochenen Renditen, was aber sehr allgemein und unverbindlich formuliert war. Es war jedenfalls durchweg eine technische und trockene Materie, was sie zwar aus der Juristensprache gewohnt war, aber dennoch …
Schließlich stand sie auf, zog ihre Sportsachen an und lief eine halbe Stunde ihre übliche Strecke.
Als sie zurück war, machte sie sich gleich wieder an die Arbeit. Sie las weiter in den verschiedenen Quellen. Dann nahm sie ihr Tablet und ging in der Wohnung auf und ab. Sie las auf Wikipedia: Hedgefonds sind Investmentfonds, die keinen speziellen Anlagerichtlinien unterliegen. Sie können alle Formen der Kapitalanlage nutzen. Außer in Aktien und Anleihen investieren sie auch in Währungen und Rohstoffe sowie Optionen und Futures.
Was waren Optionen und Futures? Margarethe machte eine Notiz.
Hedgefonds dürfen Leerverkäufe tätigen und auf Kredit investieren, außerdem gehen sie ein höheres Risiko als normale Investmentfonds ein. Anspruch jeder Hedgefonds-Strategie ist es, in jeder Marktphase eine Rendite zu erwirtschaften, meist durch Arbitrage aufgrund von Marktintransparenzen … Arbitrage lässt sich nutzen, wenn Kurse an verschiedenen Börsen, oft durch einen Zeitunterschied bedingt, nicht identisch sind… Der graue Kapitalmarkt ist ein schwer abgrenzbarer unreglementierter Kapitalmarkt. Beispiele für Anlageformen im grauen Kapitalmarkt sind stille Beteiligungen, geschlossene Immobilienfonds, Grundschuldbriefbeleihungen, Kredite und außerbörsliche Aktien … Nachteile des grauen Kapitalmarktes sind vor allem fehlende Markttransparenz und -überwachung durch ein unabhängiges Organ sowie die geringe Liquidität.
Margarethe machte noch einmal Kaffee und las weiter, dabei ging sie aus ihrem Arbeitszimmer wieder über den Flur zurück ins Wohnzimmer:
Geschlossene Investmentfonds geben eine bestimmte Zahl von Anteilen aus. Ist die festgelegte Anlagesumme erreicht, wird der Fonds geschlossen. Die Investmentgesellschaft ist nicht verpflichtet, Anteile zurückzunehmen. Lehnt die Investmentgesellschaft eine Rücknahme der Anteile ab, können Investoren ihre Anteile über die Börse veräußern.
Das war der wichtigste Punkt.
Sie fasste zusammen: In der Regel wurde für den Erwerb eines Objektes eine eigene Gesellschaft gegründet. In Deutschland war das eine GmbH. Diese Gesellschaft verwaltete die Investition. Ein Beirat von Anlegern überwachte das Emissionshaus, das in der Regel die Verwaltung übernahm. Ein Projekt konnte bis zu dreißigtausend Anleger haben, je nachdem, wie die Anteile zugeschnitten waren. Das heißt, bei zehn Objekten könnten dreihunderttausend Investoren, meist gewöhnliche kleine Anleger, beteiligt sein. Sicher investierten Anleger in mehrere Objekte. Als Investitionsobjekte dienten geschäftlich genutzte große Gebäude. Das waren Bürogebäude, Einkaufszentren, Hotels aber auch öffentliche Gebäude. Das praktische Risiko bestand darin, dass es über einen längeren Zeitraum zu Leerständen kam. War ein komplettes Stockwerk eines Bürogebäudes nicht vermietet, machte dieser Fonds Verluste. Ein weiterer wichtiger Punkt war die Reinvestition in die Instandhaltung. Das musste mit Augenmaß organisiert werden. Der Vorteil der Anleger bestand darin, dass sie ohne eigenen Aufwand eine feste Verzinsung erhielten. Die Anteile wurden in der Regel zwanzig Jahre gehalten. Die Abhängigkeit von der Verwaltung, also dem Emissionshaus, war allerdings gewaltig. In den Beiräten saßen oft Menschen, die den Finanz- und Steuerexperten der Emissionshäuser nicht gewachsen waren. Lief alles gut, bekamen die Anleger bis zu sechs Prozent Zinsen in einem Jahr. Gutachten zeigten aber, dass das selten