Margarethe oder Die Schönheit der Farbe Weiß. Tobias Haarburger

Margarethe oder Die Schönheit der Farbe Weiß - Tobias Haarburger


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ganze Branche hatte einen Geschmack des Unseriösen. Vor allem waren die Fonds ideal für Geldwäsche jedweder Art; man war mit Partnern zusammen, die andere Ziele und einen großen Einfluss hatten. – Das hatte Margarethe zumindest der Fachpresse entnommen.

      Sie verbrachte den ganzen Montag mit ihren theoretischen Untersuchungen und nahm hin und wieder ihre juristische Literatur zu Hilfe. Was sie im Internet fand, reichte ansonsten fürs Erste aus.

      Gegen Abend rief sie Serge Radetzki an und fragte ihn, ob er mit ihr am nächsten Tag zu der Kunstmesse gehen wolle.

      Serge war überrascht, freute sich aber sehr und wollte wissen, ob er Margarethe abholen solle, was sie jedoch brüsk ablehnte. Serge in ihrer Wohnung zu empfangen, war für sie undenkbar.

      Sie verabredeten sich vor einem bestimmten Eingang des Messegeländes.

      Was machte sie nun mit diesem Fall? Es war ein neues Gebiet. Während der letzten Jahre erledigte sie Verwaltungsaufgaben. Sie reiste ab und zu nach Brüssel und in andere Hauptstädte. Die Reisen hatte sie nie genutzt, um sich umzusehen oder mit anderen Teilnehmern der Konferenzen auszugehen, blieb auch dort die ewige Außenseiterin.

      Vier Jahre lang arbeitete sie als Staatsanwältin. Die Zeit war interessanter. Sie war erst sechsundzwanzig, als sie ihren ersten Fall übernahm. Natürlich war auch dort viel Schreibarbeit, sie musste am Wochenende arbeiten und hatte Nachtdienste. Aber sie gehörte zur Speerspitze derer, die das Recht durchsetzten. Sie gehörte zu den Garanten, die dafür standen, dass die Gewaltenteilung im praktischen Recht umgesetzt wurde. Man musste schnell und flexibel sein im Strafrecht. Die Fälle waren sehr unterschiedlich. Sie hatte in kurzer Zeit in viele verschiedene Welten hineingesehen, klagte Vergewaltiger, Kinderschänder und Bankräuber an. Ohne diese Arbeit konnte ein Staatswesen nicht bestehen.

      Sie war oft entsetzt darüber, was Menschen einander antun konnten, doch Margarethe hatte einen ausgeprägten Idealismus. Es ging darum, diese Menschen zum Schutz der Allgemeinheit von neuen Straftaten abzuhalten, sie zu bestrafen und zu versuchen, sie einer Resozialisierung zuzuführen. – Und es ging um Genugtuung für die Opfer, die ein Recht darauf hatten. Das war das Wichtigste für sie, das Allerwichtigste.

      Die Demütigungen durch ihre Mutter kamen bei solchen Gedanken immer wieder in ihr hoch. Es hätte ihr Frieden gegeben, wenn ihre Mutter eingestanden hätte, was sie ihr antat, wenigstens einmal hätte sie sich entschuldigen können und sagen: Ich habe dir großes Leid zugefügt.

      Nach vier Jahren als Staatsanwältin hatte Margarethe sich auf die Stelle einer Oberstaatsanwältin beworben. Sie bekam sie, mit nur dreißig Jahren, und wurde Referatsleiterin im Justizministerium. Sie war noch immer dort. Sie würde gerne Abteilungsleiterin oder Präsidentin eines Landgerichtes werden, aber sie wurde nie darauf angesprochen und bewarb sich deshalb auch nie.

      Vielleicht war es eine Gewöhnung und nachlassender Ehrgeiz, dass sie nicht weiterkam. Sie dachte nur sehr vage daran, dass es mit ihrem sonderbaren Verhalten zu tun haben könnte. Man erwartete einen freundlichen und offenen sozialen Umgang miteinander. Je höher sie aufsteigen würde, desto mehr müsste sie den Apparat, dem sie vorstand, repräsentierten. – Und das traute man Margarethe nicht zu.

      Nun ergab sich aber unerwartet die Chance, etwas Neues zu machen. Sie würde wieder operativ arbeiten und mit einer neuen Welt in Berührung kommen. Sie hätte es mit intelligenten Betrügern und nicht mit tumben Verbrechern zu tun. Es gab Tausende Anleger, die sich um ihr Geld sorgten. Sie müsste dringend handeln, wenn sie den Fall übernehmen würde.

      Sie ging auf den Balkon und sah hinüber auf den Main, der still, satt und ewig gleich vorüberzog. Vor ihrem Fenster blühten Narzissen, Hyazinthen und Zierkirchen. Sie liebte diesen Blick und genoss ihn lange. Dann setzte sie sich und schrieb eine E-Mail an den Staatssekretär, den Abteilungsleiter setzte sie in CC.

      ***

      Sie hatte ihn unstet genannt. War er das? Unstet – was für ein merkwürdiges Wort. Serge fühlte sich einfach frei.

      Es rang noch jede Generation damit, ob man sich anpassen oder seinen eigenen Weg gehen sollte. Aber warum sollte man sich Verpflichtungen aussetzen, wenn es nicht notwendig war? Er lebte in einer gewissen Selbstbezogenheit, das war ihm klar. Er mochte es nicht, Verantwortung zu übernehmen, schon gar nicht für Fremde. Außerdem hatte er ja eine Verpflichtung, eine wichtige sogar, nämlich seinen Kater zu versorgen. Für den mussten Futter und Wasser bereitstehen. Das erforderte Planung und Zuverlässigkeit.

      Dass er ein freier Mann war, wurde ihm schon öfter gesagt und er war stolz darauf. Serge war als Einzelkind aufgewachsen und umsorgt worden, wie es nicht besser hätte sein können. Seine Eltern waren beide Lehrer. Dreimal im Jahr vereiste man in den Urlaub, oft in die USA und einmal auch nach Japan. Als er vierzehn Jahre alt war, trennten sich seine Eltern und Serge, der an beiden sehr hing, sah seinen Vater so gut wie gar nicht mehr. Das war ein harter Einschnitt. Vielleicht war das der Grund dafür, dass es ihm so wichtig war, frei zu sein. Er hatte es bei seinem Vater beobachtet, dass man Verpflichtungen einfach ignorieren konnte. Sein Vater schien nichts besonders ernst zu nehmen. Er war mit einer neuen, einer jüngeren Frau zusammen, die er aber nach wenigen Jahren auch wieder verließ. Serge bekam das nur aus Erzählungen seiner Mutter mit. Er sah seinen Vater während der ersten Jahre überhaupt nicht mehr.

      Er machte sich generell nicht so viele Gedanken über sich selbst oder sein Aufwachsen. Für ihn war es einfach nur ein Zufall, ohne eine besondere Bedeutung, dass er alleine lebte. Ganz so schlimm war es ja nicht. Er hatte sehr viele Beziehungen hinter sich und hätte er unter all diesen eine Frau gefunden, mit der es gepasst hätte, wäre es vielleicht anders gekommen. Er war aber auch erst fünfunddreißig, es war noch alles möglich. Eigentlich mochte er diese abwartende Haltung. Noch hatte er kein Gefühl für die Endlichkeit des Lebens, aber wirklich glücklich war er dabei nicht. Er spürte immer öfter, dass ihm etwas fehlte.

      Er hatte Margarethe nicht die ganze Wahrheit erzählt. Man hatte ihn aus einem bestimmten Grund nicht verbeamtet, sondern ihn gebeten, den Schuldienst zu verlassen, weil es zwei konkrete Ereignisse gab: Zunächst hatte er eine Affäre mit einer Kollegin, einer verheirateten Frau, die auch noch ein Kind an der Schule hatte, was dazu beitrug, dass sich die Sache ab einem gewissen Punkt in Windeseile herumsprach. Der zweite Grund, der schwerer wog, war die Tatsache, dass er mit einer Schülerin ebenfalls in dieser Zeit eine Affäre begonnen hatte. Wenigstens war das Mädchen achtzehn, sodass man ihm rechtlich nichts anhaben konnte, aber der Schulrat setzte durch, dass er recht kurzfristig von seinen Pflichten dispensiert wurde.

      Serge mochte es, ein neues Verhältnis anzufangen. Das war immer eine Zeit voller Spannung und Begierde. Auch mochte er verschiedene Typen von Frauen. Einen Altersunterschied in die eine oder andere Richtung fand er besonders anziehend. Er hielt sich für unwiderstehlich, jedenfalls fast unwiderstehlich, und es ergab sich auch meistens schnell, dass es zu einem Rendezvous kam. Er war auf mehreren Datingplattformen aktiv.

      Viele Frauen waren offen, gerade wenn er ihnen andeutete, dass er nur ein Abenteuer suchte, obwohl das nicht grundsätzlich der Fall war. Es spielte aber eine Rolle, wenn er über ein Forum jemanden kennenlernte. Das erste Ziel war es, eine Frau ins Bett zu bekommen, dann sah man weiter.

      Zwei Affären gleichzeitig zu haben, war allerdings schnell mit Komplikationen verbunden. Es kam vor, dass zu einer besonders ungünstigen Zeit, in der er Besuch hatte, angerufen wurde, und da die Anruferin zu dem fraglichen Zeitpunkt davon ausging, dass Serge verfügbar sein müsse, um mit ihr zu sprechen, er aber nicht abhob und sie es nach einigen Minuten wieder versuchte, dann, ungeduldig werdend, noch einmal, führte das mitunter zu eigenwilligen Erklärungen, die er sich gegenüber der anwesenden Besucherin zurechtlegen musste.

      Er wäre also unstet, meinte diese Margarethe. Das konnte man als Anerkennung oder Tadel verstehen, nur eines war sicher: Diese Frau hatte ihn elektrisiert. Sie strahlte Selbstbewusstsein aus und Ordnung. Sie wusste, was richtig und was falsch war, und sie war eine starke Persönlichkeit, an der er sich aufrichten konnte. – Sie war die richtige für ihn.

      Irgendwann musste seine Ziellosigkeit ein Ende haben, sagte er sich. Von seinem Beruf als Berater für Datensicherheit konnte er gerade so leben. Ein wirklich anerkannter Experte war er nicht, dazu interessierte


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