Es war anders damals!. Horst Viergutz
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Horst Viergutz
Es war anders damals!
© 2020 Horst Viergutz
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback: 978-3-347-14876-5
Hardcover: 978-3-347-14877-2
e-Book: 978-3-347-14878-9
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Inhalt
Einleitende Gedanken
Meine Heimat
Im Kriegszustand
Auf der fliegertechnischen Vorschule
Wir werden evakuiert
Anfang der Wanderschaft
Auf dem Heimweg
Wieder zu Hause
Bei den Russen
Meine Flucht in den Westen
Ich verlasse Westdeutschland
In Glasten
Auf dem Weg nach Plön
Ein Neuanfang
In Kanada
Nach Amerika
Ich werde Soldat
Der Umzug an die Ostküste
Ich wechsle zur Armee
Der Anfang einer zweiten Karriere
Wieder in Deutschland
Einleitende Gedanken
Häufig habe ich erzählt von meinen Erlebnissen während des Zweiten Weltkrieges und in den ersten Jahren gleich danach. Meine Freunde haben mich dann gefragt, warum ich sie nicht aufschreibe. Meine Antwort war fast immer gleich: Wer interessiert sich schon dafür? Es gab doch wenigstens zwölf Millionen Menschen, wenn nicht noch mehr, die als Resultat jenes Krieges ihre Heimat verloren hatten. Sie waren damals vor der anrückenden Roten Armee geflüchtet, um nicht von dem Grauen des Krieges überrollt zu werden, oder wenn sie sich dazu entschlossen hatten, doch zu bleiben, wurden sie später aus ihrer Heimat vertrieben. Jeder einzelne hätte doch eine ähnliche Geschichte zu erzählen. Jene, die im bitterkalten Winter in Schnee und Eis ihren Weg mit Pferd und Wagen unter den schwierigsten Bedingungen über die zugefrorene Ostsee machten. Und da waren Tausende von Flüchtlingen, denen es gelungen war, sich einen Platz auf einem der letzten Schiffe zu sichern, um dann mitsamt diesen Schiffen von sowjetischen U-Booten versenkt zu werden, wo sie einen grausamen Tod in den Wellen der Ostsee fanden. Die Überlebenden haben das Trauma bis zum heutigen Tage nie bewältigt. Mit anderen Worten, es gibt Millionen von unschuldigen Menschen mit Erfahrungen, welche alles, was ich erzählen könnte, in den Schatten stellen.
Allerdings, wenn ich mich mit jüngeren Leuten unterhalte, muss ich zu meinem Bedauern oft feststellen, dass sie sich überhaupt kein Bild von jener Zeit des Leidens machen können. Für sie ist es ein abgeschlossenes Kapitel, etwas, was lange vor ihrer Zeit stattgefunden hat - eine Periode der Geschichte, zu der sie absolut keine Beziehung haben. Noch trauriger ist, dass viele von ihnen nie von Pommern gehört haben, geschweige denn, etwas über dieses Land wissen.
Maikäfer, flieg.
Dein Vater ist im Krieg,
Deine Mutter ist im Pommerland,
Pommerland ist abgebrannt.
Maikäfer, flieg!
So wie nach dem Dreißigjährigen Krieg Pommern weitgehend verwüstet wurde und man dieses kleine Lied überall sang, so hat es heute wieder an Wirklichkeit gewonnen. In der Tat, für unzählige Menschen existiert Pommern überhaupt nicht mehr. Nachdem der Krieg endlich vorüber war, zogen es deutsche Politiker vor, diese Epoche der Geschichte in den Hintergrund zu schieben. Das Leiden, die Schmerzen, die unvorstellbaren Anstrengungen und den Verlust der Heimat von zwölf bis vierzehn Millionen unschuldiger Menschen zu erwähnen, war nicht unbedingt ein Thema, womit Politiker glänzen konnten.
Die genaue Zahl der Flüchtlinge aus den gesamten ostdeutschen Gebieten, die Deutschland nach dem Kriege abtreten musste, ist wohl niemals genau ermittelt worden.
Nach all diesen Jahren, nachdem so vieles sich in meinem Leben ereignet hat, bedauere ich, nicht alles aufgeschrieben zu haben. Da ich niemals ein Tagebuch führte, wird es jetzt umso schwieriger, diese Zeit aus meinem Gedächtnis zu rekonstruieren. Jedoch werde ich es versuchen, so gut ich kann, meine Geschichte zu erzählen, um meinen Nachfahren einen Einblick in mein Leben zu geben, damit sie ihren Vater, Großvater oder Urgroßvater etwas besser kennenlernen. Vielleicht auch, um eine bessere Erkenntnis dafür zu bekommen, was mich denn geprägt hat.
Meine Heimat
Pommern ist ein lang gestrecktes, stilles Land am Meer mit hochgewölbtem, weitem, blauem Himmel, wo Wälder, Wiesen und riesige Felder sich dehnen bis zum Horizont. Keine Berge verstellen den Blick, nur sanfte Hügel erheben sich aus der endlosen Ebene. Umgeben von Heide, Sand und Moor findet man zahlreiche Bauernhäuser mit tiefroten Ziegeln oder schilfgedeckten Dächern. Kleine Dörfer und Städte liegen eingebettet in weite Wiesenlandschaften. Im Frühling und wieder im Herbst konnte man das Trompeten der Wildgänse vernehmen, die hier für eine kurze Rast auf den saftigen, grünen Wiesen ihre Futterplätze fanden, bevor sie ihren Flug nach Norden oder in den Süden fortsetzten. Im Sommer dienten die Wiesen einer vielfältigen Vogelwelt als Brut- und Nistplätze. Auch die Störche, die sich auf den Scheunendächern in den Dörfern ihre Nester gebaut hatten, kamen gern auf die Wiesen geflogen, um sich dort ihre Froschschenkel zu holen. Im Spätherbst, bevor der langanhaltende Schnee kam, überschwemmten kleine Bäche mit ihrem Hochwasser die Wiesen und verwandelten sie mit dem ersten Frost zu riesigen Eisflächen. Jung und Alt waren dann auf den Beinen, Schlittschuhe angeschnallt, um ihre Geschicklichkeit zu demonstrieren oder einfach auf den spiegelglatten Eisflächen herumzuschliddern.
Die Menschen in den Dörfern und auf ihren vereinzelten Höfen lebten teilweise mehrere Kilometer voneinander entfernt, und doch fühlten sie sich keineswegs einsam. Aus der Arbeit auf dem Ackerboden ihrer eigenen Scholle und aus der Treue zur Heimat erwuchsen ihnen täglich aufs neue Kraft, Zufriedenheit, Selbstständigkeit und Freiheit.
Die Oder teilte Vor- und Hinterpommern; zwei Inseln, Usedom und Wollin, liegen vor dem Stettiner Haff. Von hier aus erstreckt sich die vielseitige Küstenlandschaft Hinterpommerns bis zur Mündung der Piasnitz mit weißen Stränden, einer bewaldeten Dünenlandschaft und vielen kleinen, lebhaften Badeorten. Entlang der Küste konnte man die kleinen Fischerkaten finden, entweder vereinzelt oder zu kleinen Ortschaften zusammengewachsen. Während größere Städte schon vom Wohlstand zeugten, bestimmte hier noch die Armut das Leben. Fischerfamilien führten ein mühseliges Dasein mit täglich harter Arbeit. Nicht immer zeigte sich die Ostsee von ihrer sanften Seite, ruhig und blau; sie konnte im Gegenteil auch sehr aufbrausend werden. Wenn Herbst- und Winterstürme übers Land fegten, wobei Windstärken von zehn bis zwölf keine Seltenheit waren, bedrohten Sturmfluten den ganzen Küstenstreifen. Manch ein Fischer ist in solchen Stürmen mit seinem Boot nie wieder heimgekehrt.
Man sagt von Pommern, es sei ein Land, wo Milch und Honig fließen. In der Tat, wenn auch nur für einige. In jedem vierten oder fünften Dorf gab es einen Großgrundbesitzer mit Gütern bis zu neuntausend Morgen Land. Viele davon führten den Titel „Rittergut“, da ihre Besitzer dem alten Adel angehörten – es waren Barone, Grafen oder Freiherren.