Unser täglich Bier gib uns heute. Theobald Fuchs

Unser täglich Bier gib uns heute - Theobald Fuchs


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      © 2020 Esther Isaak de Schmidt-Bohländer

      Herausgeberin: Esther Isaak de Schmidt-Bohländer

      Autor*innen: E.I. und Freunde: Thomas Bassen, Michael Beyer, Martin Dambach, Daniel Diegmann, Martin Droschke, Peter Eichhorn, Benedikt Ernst, Tanja Feldmann, Theobald Fuchs, Torsten Goffin, Antje Hinz, Esther Isaak, Sylvia Kopp, Norbert Krines, André Krüger, Srdan Majstorovic, Regine Marxen, Sünje Nicolaysen, Falk Osterloh, Volker Quante, Juliane Eva Reichert, Detlef Rick, Kirstin Ruge, Udo Smetan, Koyka Stojanova, Barbara Teichmann, Ruben Trawally, Klemens Wieringer, Edgar Wilkening, Urs Willmann, Heike Wülfing

      Gestaltung & Illustration: tanjowski

      Lektorat, Korrektorat: Volker Quante

      Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

      ISBN Paperback: 978-3-347-13125-5

      ISBN Hardcover: 978-3-347-13126-2

      ISBN E-Book: 978-3-347-13127-9

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

      AUF UNSERE GESUNDHEIT!

      JANUAR

      01.01.

      DIESER TAG IST VIELLEICHT NOCH ZU JUNG

      ein wenig zu frisch,

      vielleicht auch zu kühl;

      ein wenig zu bitter, muffig vielleicht.

      Vielleicht wird er ein ausgewogener,

      vielleicht sogar sehr schmeichelhaft.

      Auch stark und schäumend könnte er werden.

      Auf jeden Fall wird er fließen.

      Auf jeden Fall wird er ein ungetrunkener Tag sein.

      02.01.

      BIER-GELÜSTE

      Ich schenke mir ein frisches Glas ein und höre, wie das Bier schäumt und sprudelt.

      Dann steht es vor mir, golden glänzend, rötlich schimmernd oder tiefschwarz und edel. Das Glas ist kühl, aber nicht zu kalt.

      Außen bilden sich kleine Kondenswassertropfen. Ich spüre die Kühle mit der Hand und mit den Lippen, die das Glas berühren.

      Schon der Duft betört. Feiner tschechischer oder steirischer Aromahopfen erzeugt einen dezenten Hauch von in der Sonne trocknendem Heu und erinnert mich an die Sommerferien meiner Kindheit in den Bergen. Neue US-amerikanische oder neuseeländische Hopfenzüchtungen bringen spielerischfruchtige Noten ins Bouquet, und ich fühle mich zurückversetzt auf einen Obstmarkt am Mittelmeer im letzten Urlaub.

      Dunkle Malze verleihen dem Bier einen kräftigen, brotigen, vielleicht auch röstigen Geruch, und ich träume davon, wie ich bei der Großmutter auf dem Land vor dem riesigen Steinbackofen stehe und die frischen Brote aus der Glut ziehe. Bei den schweren und komplexen, weinigen und fruchtigen Noten eines mit einer belgischen Hefe vergorenen Biers denke ich an die selbstgemachten Rumtöpfe, von denen bestimmt noch ein paar Gläser bei den Eltern im kühlen Keller stehen, und das kräftige Aroma eines mit über Buchenholz geräuchertem Malz gebrauten Rauchbiers erinnert mich an die wunderbaren Schinken, die der Onkel im Nachbardorf selbst im kalten Rauch getrocknet hat.

      Noch habe ich keinen einzigen Schluck getrunken, und doch bin ich schon im Geiste um die Welt und durch die Zeit gereist und habe längst vergessen geglaubte Erinnerungen zutage gefördert.

      „He!“, reißt mich eine raue Stimme aus meinen Gedanken. „Was ist? Trinkst Du gar nicht?“ Mein Nachbar, der Bierbanause, hat sein großes Glas bereits alle und greift nach einer weiteren Dose Billigbier aus seiner Kühlbox.

      „Hier, das muss auch noch weg“, höre ich ihn sagen, und meine Bierträume zerplatzen.

      03.01.

      DER ERSTE SCHLUCK

      Mein erster Schluck Bier war kein Schluck. Er war ein Bissen. Er bestand aus Schaum und damit zur Hauptsache aus Gas. Was mein Vater mir, dem 10-Jährigen, damals von seinem Feierabendbier gönnte, war im Wesentlichen ein Anteil am Kohlendioxid. Nach dem Öffnen der Bierflasche perlte das Gas aus und verließ in Bläschenform die Flüssigkeit – eine Folge des Druckverlusts in der Flasche und des Umschüttens beim Einschenken. Das Gas versammelte sich im oberen Drittel des Glases und reckte sich neckisch darüber hinaus, wie der Zipfel eines schneebedeckten Bergs.

      Der Vater schob mir das Bier hin: „Da, der Schaum gehört dir.“

      Wie geschlagenes Eiweiß verharrte das Gas über dem Rand des Willibechers – schließlich war das Kohlendioxid als Schaum ja nicht auf sich allein gestellt. Proteine und Hopfenrückstände fungierten als Verstärkung. Sie bildeten die Hüllen der Bläschen und sorgten dafür, dass das CO2 auf dem Bier nicht davonflog und sich auflöste im Gasgemisch der irdischen Atmosphäre. Ich füllte mir mutig den Mund. Und heute, beim Erinnern, bestehe ich auf der Sinnlichkeit jenes ersten Mals. Obwohl mich später noch unzählige Nuancen des Biergeschmacks beeindrucken sollten – keine tat dies so nachhaltig wie die radikale Bittere der Hopfenrückstände, die damals den Bissen Schaum zusammenhielten.

      04.0 1.

      ILSES ECK

      Mit Pauken und Trompeten, mit Korn und Pumpernickel 1971 eröffnet.

      Seitdem standen wir in Reih und Glied am Tresen. Auf dem Tresen die braunen Maurerflaschen mit Pils drin, das manchmal an unseren gedrechselten Beinen runterlief. Und wochenlang klebte. Auf unserer Sitzfläche die Nachbarn vom Kiez. Rechts in der Ecke meist Eberhard, manchmal bereits vor dem Tagesschau-Gong mit Armen und Kopf auf dem Tresen. Hinterm Tresen Chefin Ilse. Resolut, aber warmherzig, nüchtern bis in die frühen Morgenstunden. Wir sechs hölzernen Hocker als Plateau für ihre Gäste.

      Ihre Familie – das waren Ilses Worte. Haben die Feste mitgefeiert, wie sie gefallen sind. Gefallen sind auch die Gäste, manchmal mit uns zusammen. Dann richtete man uns samt Gast wieder auf, und Ilse teilte Wasser aus. Jahrzehnt für Jahrzehnt. Montags Ruhetag. Ich rechnete jedes Jahr damit, dass wir ausrangiert werden. Zerkratztes Holz, dutzendfach geleimt, in die Sitzfläche geritzte Strichlisten. Ein Bier, zwei, drei… acht, neun. Eine Maurerpulle eine Mark, bitte. Irgendwann später war es ein Euro. Kann ich anschreiben? Jo.

      Dann kam der Tag, Ilse hatte etwas auf dem Herzen. Zu müde Glieder, zu kaputte Knie und nicht mehr ihr alter Kiez - Familie, ich kann nicht mehr.

      Bitte besenrein übergeben.

      05.01.

      BIERHIMMEL

      Ich sehe einen Bierhimmel, leuchtend, trübgelb wie die Heilige Apfelsaft NEIPA, und mich darin sitzend oder liegend, Gläser und Flaschen um mich, es gibt auch heiße Tage im Bierhimmel, dann trinke ich ein saures Bier, den Blick nach unten in die Hölle:

      Es ist nämlich so, dass Himmel und Hölle ganz verdammt nah beieinander liegen, die Bierhimmel-Trinker steigen ab und zu, es ist nur ein einziger Schritt, ein winziger Schritt, quasi ein Entenfußschritt hinunter in die Hölle und lösen einen Verdammten ab, der für diese Zeit kurz in den Himmel darf und mit Bieren seiner Wahl seinen immerwährenden Durst löschen darf. Die Verdammten setzen an und exen das voll-fette Bier mit einem Zug in sich hinein, und dann ein zweites und ein drittes Bier, sie hören nicht auf, und dann sinken


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