Die Breitseite des Lebens. Ingo Irka

Die Breitseite des Lebens - Ingo Irka


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      „Das Einzige, das ich rieche, ist der Ärger bei uns zuhause“, überging er seine Frage einfach. „Du weißt ja, dass wir vorgehabt hätten, nach Griechenland zu fliegen. Alle vier. Aber du kennst ja auch Lydia und ihre utopischen Forderungen. Alles muss inkludiert sein. Vom Essen bis zum Trinken. Von den Liegen bis zu den Schirmen.“

      Er rollte verständnislos seine Augen.

      „Kreta, Heraklion oder Mykonos fallen vorneweg schon flach. Da wimmelt es ihr von zu vielen Touristen. Ein Pool und Meeresblick vom Hotelzimmer aus sind für sie Grundvoraussetzungen. Und außerdem dürfe es kein billiger Standardurlaub sein. Die Kosten könnten sich heuer ruhig einmal im oberen Segment bewegen. Für zwei Wochen, versteht sich.“

      Seine Finger formten sich zu einer Pistole, die er sich an die Schläfe hielt und abdrückte.

      „Da kann ich mir gleich die Kugel geben. Mit diesen Kriterien werde ich sicher nichts Entsprechendes finden. Also werden wir auch heuer unter dem Strich nicht umhin kommen, wieder einmal nach Kroatien zu fahren. Mir graut jetzt bereits davor, wenn ich nur an die Autofahrt und ihre Launen denke.“

      „Tolle Voraussetzungen für harmonische vierzehn Tage also“, entgegnete ihm Tristan sarkastisch. „Warum bleibt ihr nicht einfach daheim und du verbringst deine freien Tage am Donausteig? Ist doch auch ganz in Ordnung. Es stimmt schon, hier hast du zwar keine Schönwettergarantie wie in Griechenland oder Kroatien. Dafür hast du eine Schönweibergarantie. Ein paar Brüste und knackige Ärsche für das Auge. Ein paar Bierchen in der Kantine. Und statt dem Meeresblick, eine nicht zu verachtende Aussicht auf unsere schöne Donau. Das kann sich doch auch alles sehen lassen, oder?“

      „Wenn es nach mir gehen würde“, antwortete er, „dann würde ich die zwei Wochen sogar auf einem heruntergewirtschafteten Bauernhof mit dreiäugigen Kühen und Albinoschweinen im ukrainischen Hinterland verbringen. Hauptsache ich bin dabei alleine und höre und sehe nichts von Lydia.“

      Edgar schnaufte angestrengt durch. Man konnte an seiner Miene regelrecht ablesen, dass die Situation zuhause ihn mehr als nur belastete. Die ewigen Sticheleien und der permanente Kleinkrieg mit Lydia nagten an ihm.

      „Es ist einfach nur mühsam. Erst letzte Woche hat sie mir wieder vorgeworfen, ich würde ihr und den Kindern viel zu wenig Beachtung mehr schenken und mich auch nicht genug in den Haushalt einbringen. Ich würde mich mehr und mehr zu einem Egoisten entwickeln und das Hauptaugenmerk nur auf mein persönliches Wohlempfinden richten.“

      In seiner Stimme schwang pure Resignation mit.

      „Dabei bin ich es wohlgemerkt, der fast täglich den Chauffeur für Clara und Sophia spielt. Ich bin es, der das Abendessen macht. Und ich bin es auch, der wohl bald ein dickes Minus am Konto haben wird, weil alle Anschaffungen von meiner Karte abgebucht werden. Ich kann dir nur sagen, wenn das so weitergeht, dann…“ Er stoppte an dieser Stelle.

      „Was ist dann?“, fragte Tristan neugierig nach, während er ein paar Schritte am Gang auf und ab ging und wie ein Hund den Boden beschnüffelte.

      Immer noch roch es untrüglich nach Fäkalien.

      „Willst du dich dann etwa scheiden lassen von deinem Hausdrachen? Du wärst doch der Letzte, der seine goldenen Handschellen gegen ein Singledasein eintauschen würde. Außerdem liegt der Sachverhalt in deinem Falle etwas anders als bei mir. Du hast nämlich Kinder, mein Freund. Ich kann am Abend meine Wohnungstüre mit ruhigem Gewissen aufsperren und bin froh darüber, dass mich lediglich das Echo der leeren Räume begrüßt. Du hingegen“, er stellte sich wieder neben ihn und schwenkte den Kaffeebecher in Edgars Richtung, „du würdest wahrscheinlich nicht einmal den Schlüssel im Schloss umdrehen, wenn du nicht wüsstest, dass deine zwei Töchter warten.“

      „Na, da täusch dich mal nicht“, konterte Edgar, während er andächtig seinen Ehering auf dem Finger hin und her schob. „Vielleicht steuert mein Leben in der nächsten Zeit schon in eine andere Richtung.“

      „Wie meinst du das? Hast du etwa ein neues Leben vererbt gekommen?“, lachte Tristan laut auf und verschüttete beinahe seinen Kaffee.

      Dabei streckte er seine Hände in die Höhe, als wolle er ein Stoßgebet für seinen Kollegen in den Himmel schicken.

      „Deine neue Richtung heißt höchstens Hinrichtung. Im Gefangenenlager, das sich Ehehafen nennt“, grinste er ihn an, „und das war es dann auch schon für dich.“

      Edgar überlegte einen Moment lang. Sollte er es ihm erzählen? Sollte er ihm anvertrauen, was sich heute Morgen bei ihm zugetragen hatte? Dass er ganz offensichtlich vorhatte, seiner Frau die Treue zu brechen? Oder sollte er seinen Freund unbehelligt lassen und das kleine Geheimnis für sich behalten? Schließlich kannte er seine Lydia ja auch. Etwa von dem einen oder anderen Besuch bei ihnen zuhause oder von diversen Firmenfeiern. Ein unachtsames Wort von ihm und schon hätte sie ihn bei den sprichwörtlichen Eiern und würde so schnell nicht loslassen. Sie würde ihm drohen, vorerst mit den Kindern zu ihren Eltern nach Traun zu ziehen. Dann stünde unweigerlich die Auflösung des extra eingerichteten Familienkontos im Raum. Als nächsten Schritt würde sie ihre Verwandtschaft und den Freundeskreis gegen ihn mobilisieren. Und dann, wenn die Wellen von ihr hochgepeitscht waren, dann würde sie darauf reiten und ihn langsam unter sich begraben. Wieder und wieder. Bis er keine Kraft mehr hätte und irgendwann kläglich unter ihnen ersaufen würde. Die Wellen, die niemals brachen - seine letztliche Hinrichtung.

      Und dennoch. Trotz dieser unliebsamen Möglichkeit, trotz des Unbehagens, das er beim Gedanken an all das verspürte, brach es mit einem Mal aus ihm heraus.

      „Hör mir zu, wenn du mir hoch und heilig versprichst, dass du deine Klappe hältst, dann sage ich dir, was gerade so läuft bei mir.“

      „Als ob dein Leben so interessant wäre, dass es sich lohnen würde, darüber mit anderen zu reden“, gab Tristan sich fast verärgert und öffnete den Eimer für den Plastikmüll. „Du kannst von Glück reden, dass du überhaupt jemanden hast dem du deinen Kram andrehen kannst. Und außerdem, mein Freund“, er zeigte auf den Mistkübel, „kannst du deine Schuhe gleich mit meinem Becher mitentsorgen. Du bist nämlich in Hundescheiße getreten. Daran besteht kein Zweifel. Der bestialische Gestank, der von deinen Sneakers ausgeht und die braunen Spuren hier am Fliesenboden bezeugen es.“

      Er sah ihn angeekelt dabei an und hielt sich die Nase zu.

      „Ja, ja“, wiegelte Edgar verlegen ab, ehe er ein Stück weit zurücktrat, „ich bin da draußen wahrscheinlich irgendwo hineingetreten. Ich werde es dann auch gleich abwaschen. Aber das ist momentan meine geringste Sorge.“

      „Na, das glaube ich dir aufs Wort. Wer freiwillig mit Kacke an den Schuhen herumläuft, der hat wirklich ganz andere Probleme“, entgegnete Tristan zynisch. „Also, was gibt es?“

      „Tristan, ich habe einfach genug“, hielt es ihn nun nicht mehr länger. „Ich habe heute Morgen beschlossen auf eine Kontaktanzeige in der Zeitung zu antworten. Und zwar mit dem festen Willen mich im Erfolgsfall sogar mit der Person zu treffen. Ich weiß zwar nicht, ob sie Interesse an mir hat. Mein Bauchgefühl sagt mir aber, dass sie sich bei mir melden wird.“

      Die erste zentnerschwere Last fiel von seinen Schultern. Es war gesagt. Und mit jedem Wort fühlte er sich mehr und mehr erleichtert. Jetzt hielt ihn nichts mehr.

      „Sie ist ein bisschen jünger als ich und wohnt ganz in der Nähe. Und glaub mir, sie sieht echt gut aus in diesem roten Kleid“, sprudelte es nur so aus ihm heraus. „Sie hat auch die gleichen Interessen. Ich habe ihre Annonce gelesen und ihr ohne zu Zögern geantwortet. Das bedeutet doch etwas, oder? Ich habe ihr zwar ein grundlegendes Detail verheimlicht, nämlich dass ich verheiratet bin, aber das tut eigentlich nichts zur Sache. Was zählt, ist, dass es mir beim Schreiben beinahe egal war, ob Lydia oder die Kinder es mitbekommen hätten.“

      Tristans Mund stand weit offen. Ungläubig sah er Edgar an:

      „Bist du irre, Mann? Was redest du da für einen Müll?“

      „Das ist kein Müll, das ist das Resultat der letzten drei Jahre Ehe. Die waren Müll. Doch sogar auf einem


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