Melodie des Herbstes. Anna Maria Luft

Melodie des Herbstes - Anna Maria Luft


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      Es geschieht zu jeder Zeit

      etwas Unerwartetes

      unter anderem ist auch

      deshalb das Leben

      so interessant.

      (Marie von Ebner-Eschenbach)

      Anna Maria Luft

      Melodie des Herbstes

      Roman

      Handlungen und Namen von Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind Zufall.

      Die Tatsachen in diesem Roman sind historischer Art.

      © 2020 Anna Maria Luft

      Umschlag, Illustration: Hans-Joachim Luft

      Lektorat, Korrektorat: Autorin

      Verlag & Druck: tredition GmbH,

      Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

PaperbackISBN 978-3-347-09101-6
HardcoverISBN 978-3-347-09102-3
e-BookISBN 978-3-347-09103-0

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

       Kapitel 1

      Als ich meine Wohnung im ersten Stock verlasse, steht auch mein Nachbar an seiner Wohnungstür. Er sieht zu mir herüber und kommt gleich auf mich zu. „Helene, guten Morgen. Da bist du ja. Ich wollte…“, äußert er und bricht ab. Sein Blick ist heute kühl. Kein Lächeln umspielt seinen Mund. Meistens erlebe ich ihn gut gelaunt und sehr freundlich. Ich frage mich, was heute mit ihm los ist. Er wirkt bedrückt. Vielleicht täusche ich mich auch.

      „Guten Morgen, Edgar“, grüße ich zurück, worauf er undeutlich etwas brummt. Ich kann ihn akustisch nicht verstehen und frage nach: „Was hast du gesagt?“

      Er holt tief Luft, bevor er antwortet: „Weißt du, wenn ein normaler, gesunder Mensch wie du…“ Ich unterbreche ihn sofort: „Stopp, Edgar, ich weiß, worum es geht. Ja, ich bin ein normaler, gesunder Mensch, aber…?“

      Er verzieht sein Gesicht. „Um elf habe ich bei dir geläutet, und das dreimal in Abständen von zehn Minuten, aber du hast nicht aufgemacht. Ich nehme an, du hast noch tief geschlafen.“

      „Hast du daran etwas auszusetzen?“

      „Ein normaler Mensch ist doch um diese Zeit längst aus den Federn. Mir scheint, du bist etwas Besseres, eine Diva.“

      Ich lache zum Schein, aber ich ärgere mich ein wenig. „Vielleicht bin ich wirklich eine“, sage ich zum Spaß. Dann werde ich ernst: „Was soll das, Edgar? Du kannst mir doch nicht vorschreiben, wann ich aufstehen soll.“

      „Ich stehe schon um sieben Uhr auf. So kann ich mir den Tag besser einteilen.“

      „Ich habe später immer noch genügend Zeit zum Einteilen. Bei mir geht die Gesundheit vor.“

      Edgar lächelt versöhnlich. „Helene, du hast ja recht. Man sollte sich im Alter genug Schlaf gönnen. Entschuldige, ich habe es nicht böse gemeint.“

      „So habe ich es auch nicht aufgefasst, aber etwas ist doch heute mit dir. Hast du Kummer?“

      „Nein! Tust du mir einen Gefallen?“

      „Gerne! Was soll ich für dich tun?“

      „Ich möchte wissen, wie dir meine neue Jacke gefällt. Ich habe sie mir gestern gekauft. Ich könnte sie auch wieder Umtauschen.“

      Erst jetzt bemerke ich, dass er ein neues Kleidungsstück trägt. Ich betrachte es genauer. Die braune Wildlederjacke sieht gut aus, vor allem steht sie ihm ausgezeichnet.

      „An deiner Stelle würde ich sie nicht Umtauschen. Sie steht dir sehr gut, und du siehst zehn Jahre jünger damit aus“, erkläre ich ihm.

      Er schüttelt den Kopf. „Bitte, Helene, was redest du da?“

      „Ich rede so, wie ich es empfinde.“

      Auf sein Äußeres, sein Outfit, legt Edgar großen Wert. Er ist trotz seiner 79 Jahre immer noch eitel. Ich mag sein gepflegtes Äußeres und auch seine Art, mit mir zu sprechen. Doch heute erscheint er mir anders als sonst. Woran kann das liegen?

      Edgar ist groß und schlank. Sein Gesicht ist markant, etwas faltig zwar, aber nicht so sehr wie bei vielen Männern in diesem Alter. Seine Haare sind noch voll, aber ergraut. Die kleinen, doch sehr munteren Augen sind stets wach und suchend. Das liegt an seiner Neugier, alles sehen und verstehen zu wollen. Edgar ist ein intelligenter und gebildeter Mann. Sein Wissensdurst ist enorm. Er war einst Lehrer in der damaligen DDR.

      Jetzt schweigen wir beide und gehen zusammen ein paar Stufen die Treppe zum Parterre hinunter, bis ich stehen bleibe und er mit mir. Ich sage: „Edgar, bitte, misch dich nicht in mein Leben ein. Weißt du, ich mache das, was ich für richtig halte.“

      Er fährt sich über sein Haar und flüstert: „Gut, das musst du auch tun. Ich will nichts mehr dazu sagen, nur, dass ich keine Nachteule bin wie du, aber manchmal kann ich auch nicht schlafen, weil ich mich so über die Politik aufrege, dass ich im Bett lange keine Ruhe finde. Daran sind diese Inselbewohner schuld.“

      Ich grinse über seine Worte: „Du meinst die Briten mit ihrem Brexit? Geht dir das so nahe? Ich kann mich darüber nicht aufregen. Es gibt bessere Theaterstücke im Fernsehen, zum Beispiel das Ohnsorg-Theater.“

      Jetzt muss Edgar laut lachen. „Helene, ich mag deinen Witz. Ja, es ist wirklich ein Theaterspiel, eine wahre Tragödie.“ Er fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Ich weiß, dich regt Politik nicht auf, du bleibst gelassen.“

      „Nicht immer! Von Politik habe ich wirklich wenig Ahnung. Du bist im Gegensatz zu mir natürlich der Alleswisser und Alleskönner.“

      „Das klingt aus deinem Mund sehr negativ. Habe ich dich verletzt, Helene? Dann entschuldige bitte.“

      Ich seufze. „Das kommt schon mal vor, dass wir einander verletzen. Nie ist das Absicht. Du musst dich nicht immer für alles entschuldigen.“

      Wieder gehe ich zwei Schritte weiter. Er folgt mir und bleibt dann auch, wie ich, stehen.

      „Helene, ich merke, dass ich heute meinen kritischen Tag habe. Was musst du von mir denken?“

      Ich sage nichts und sehe, wie sich Edgar plötzlich am Treppengeländer festhält.

      „Ist dir nicht gut?“, erkundige ich mich besorgt.

      „Doch! Das ist nur eine Angewohnheit!“

      „Das bezweifle ich. Du kannst doch sagen, wenn es dir nicht gut geht.“

      Er geht nicht darauf ein und meint: „Ich möchte hier nicht weiter diskutieren, denn das Treppenhaus hat Ohren! Trink lieber mit mir am Nachmittag ein Glas Wein oder einen Tee. Ich habe sogar Kartoffelchips für dich besorgt. Darauf stehst du doch - oder?“

      Ich lächle. „Es ist reizend von dir, mich einzuladen, auch, dass du Chips besorgt hast, aber ich besuche heute die Ausstellung Florentiner Maler in München Und ehrlich gesagt, ärgere dich nicht, wenn ich sage, dass ich nicht mehr auf Chips stehe, weil ich abnehmen muss. Sieh mich doch an.“

      Er zuckt mit den Schultern. „Du bist doch nicht dick, gerade richtig. Ich glaube, du kannst dich selbst nicht leiden.“

      „Zum Teil stimmt es.“

      „Du siehst noch gut aus mit deinen 72 Jahren.“

      „Vielleicht war ich mal schön, aber doch jetzt nicht mehr.“

      „Dir kann man keine Komplimente machen. Du kannst sie nicht annehmen, weil du denkst, es ist nur Schmeichelei.“

      Ich zucke mit den Schultern. Wie er mich wirklich sieht, weiß ich nicht. Natürlich wünsche ich mir, für ihn doch ein bisschen hübsch auszusehen.

      Manchmal versuchen wir, uns


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