Melodie des Herbstes. Anna Maria Luft

Melodie des Herbstes - Anna Maria Luft


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du. Kleine Kinder stehen hier nur im Weg herum. Also haut schleunigst ab, ihr zwei.“

      Tagelang hatte ich mich mit der Angst herumgequält, es könnte auch unser Haus brennen, denn, wie man damals vermutete, aber nicht beweisen konnte, sollte es sich bei diesem Großbrand um Brandstiftung gehandelt haben. Feinde und Neider hatte diese Familie einige gehabt.

      Das Gebäude war eine Ruine geworden. Es musste wieder neu aufgebaut werden.

      Zu meiner damaligen Freundin Carola habe ich leider den Kontakt verloren. Sie hat in die Schweiz geheiratet. Seitdem sind mehr als fünfzig Jahre vergangen. Ich würde gerne wieder einmal mit ihr Zusammenkommen, aber ich habe ihre Adresse nicht.

      Edgar hat gemeint: „Im Internet kann man es herausfinden.“ Ich habe ihn gefragt, ob er mir den Gefallen tun würde. „Klar, Helene“, hat er letztes Jahr geantwortet, aber es konnte ihm nicht gelingen, weil er weder Carolas Nachnamen noch ihren Wohnort kennt.

      Traurig ist auch, dass ich zu meinem Heimatort den Kontakt verloren habe. Nicht einmal zur Beerdigung meiner Eltern bin ich in Talbach gewesen. Meine Schwester und ich hatten das Haus geerbt, aber wir haben es an unsere Cousine weitergegeben. Wir waren davon überzeugt, dass sie das Erbe verdient hat, weil sie sich rührend um unsere Eltern gesorgt hatte, und wir dagegen uns nicht um sie gekümmert haben. Außerdem haben wir nichts mit diesem Haus anzufangen gewusst. Meine Schwester ist mit ihrem Ehemann, einem amerikanischen Soldaten, nach Amerika ausgewandert. Ich habe meine Heimat danach auch verlassen und versucht, nicht mehr an den Streit mit meinen Eltern zu denken, aber ich habe ihn nicht vergessen können. Sie hatten mir ziemlich zugesetzt: Sie hatten verlangt, ich solle studieren. Außerdem hatten sie vieles an meinem Beruf und an meinem Ehemann auszusetzen, obwohl sie ihn nie kennengelernt haben. Es kam noch hinzu: dass sie versucht haben, mir ihren Glauben aufzudrängen, aber ich wollte darin frei sein und habe mich durchgesetzt. Außerdem haben sie mich darum gebeten, Felizitas davon abzubringen, dass sie mit ihrem Ehemann in die USA gehe.

      In meiner Kindheit waren meine Eltern sehr nett zu mir und zu meiner Schwester gewesen. Sie haben uns eine schöne, unbeschwerte Zeit beschert. Leider wurde später alles anders.

      Meine Cousine Veronika, der Felizitas und ich das Gebäude mit Garten und Garage vermacht haben, hat es viel zu schnell wieder verkauft, und ist auch von Talbach weggezogen. Davor hatte sie eine Familie mit der weiteren Grabpflege beauftragt. Ich möchte bei Gelegenheit endlich herausfinden, wer sich jetzt um unser Elterngrab kümmert. Warum habe ich das nicht längst schon getan?

      Ich fühle, dass ich große Schuld auf mich geladen habe, weil ich mich damals nicht mit meinen Eltern versöhnt habe. Warum bin ich nur so stur gewesen?

       Kapitel 2

      Zwei Tage, nachdem Edgar und ich einander im Treppenhaus begegnet sind, läutet er um die Mittagszeit an meiner Wohnungstür. Ich koche mir gerade eine Mahlzeit. Das Frühstück habe ich ausfallen lassen, weil ich wieder einmal spät aufgestanden bin. Die halbe Nacht habe ich mir um die Ohren geschlagen, weil mir so vieles durch den Kopf gegangen ist. Warum fällt mir das Abschalten so schwer?

      Es klingelt zum zweiten Mal. Ich nehme rasch die Pfanne vom Herd und öffne die Tür. Beim Eintreten grinst mein Nachbar und sagt: „Nun, auch schon aus den Federn, Helene?“

      Er neckt mich gerne damit. Ich nehme es ihm nicht übel. Er meint es auch nicht böse.

      „Schon lange“, erwidere ich.

      Er beginnt zu schnuppern: „Hm, riecht das köstlich“, wispert er, worauf ich erschrocken denke, dass er eingeladen werden will. „Wolltest du etwa bei mir essen?“, frage ich vorsichtig, worauf er eine hilflose Handbewegung macht. „Nein, du kannst beruhigt sein. Darf ich mich einen Augenblick setzen.“

      „Selbstverständlich! Ich kann doch später essen.“

      Er nimmt auf der Couch Platz und ich setze mich ihm gegenüber. Jetzt trägt er seine Bitte vor:

      „Helene, könntest du mir wieder deinen Klappsessel leihen? Mein Sohn kommt mit seiner Familie zu Pfings­ ten. Meine Enkelin hat beim letzten Besuch so gut darauf geschlafen.“

      „Klar kannst du ihn haben. Und schicke dein Lörchen zu mir herüber, wenn sie da ist. Sie ist ja so süß. Das letzte Mal hat sie bei ihrem Besuch den Teddybären fest an sich gedrückt.“

      Edgar nickt. „Ja, sie liebt Stofftiere heiß und innig, besonders ihren Teddy. Ich habe ihr einen schneeweißen Eisbären besorgt. Sie hat ihn abgeknutscht. - Hör mal, Helene, meine Schwiegertochter möchte, dass du zu Pfingsten zum Mittagessen zu uns kommst. Du wirst sie endlich einmal kennenlernen. Von mir, meinem Sohn und Lörchen, bist du selbstverständlich auch herzlich eingeladen.“

      Ich lächle. „Danke, reizend von euch. Ich freue mich für dich, dass deine Familie kommt, aber eure Einladung kann ich nicht annehmen. Ich will nicht stören.“

      „Du wirst doch nicht stören. Wir möchten alle gerne, dass du zu uns kommst, besonders ich. Und wehe, du kommst nicht.“

      Ich schweige und beiße mir auf die Lippen.

      „Hast du mich verstanden, Helene?“

      „Ja! Wenn euch so viel daran liegt, komme ich. Als was willst du mich deiner Schwiegertochter vorstellen? Hoffentlich nicht als Bettgesellin.“

      Er lacht laut. „Nein, nein, als eine liebe Freundin natürlich. Das bist du ja auch.“

      Plötzlich packt mich wieder der seelische Schmerz, weil ich an meine Tochter denken muss. Ich halte die Hände vor die Augen und weine, worüber Edgar erschrickt.

      „Helene, habe ich was Böses gesagt?“

      „Nein! Ich muss an meine Tochter denken. Ihr versteht euch so gut und ich mich nicht mit ihr. Ich hätte Dietlinde auch gerne eingeladen, das heißt, ich habe es ja schon oft versucht, aber sie kommt nicht.“

      Edgar erhebt sich und zeigt Mitgefühl, indem er über meine Schulter streicht. „Tut mir leid, Helene. Du musst ihr endlich klarmachen, wie sehr du darunter leidest.“

      Ich atme hastig ein und aus, ehe ich erkläre: „Ich habe schon so oft versucht, mit ihr Frieden zu schließen. Sie ist jedoch hart wie Stahl. Sie behauptet, dass ich an der Scheidung schuld bin.“

      „Wie hartherzig“, urteilt Edgar und setzt sich wieder.

      Ich fahre mir mit den Händen über die Augen und stammle: „Ich habe meine Tochter für immer verloren. Das tut sehr, sehr weh.“

      Edgar meint: „Irgendwann wird sie begreifen, was sie dir antut. -Ich habe eine Idee: Jetzt rufe ich bei ihr an. Ich bin gespannt, was sie mir sagen wird.“

      Ich schüttle den Kopf. „Sinnlos! Du wirst dich nur über ihre Sturheit ärgern. Sie wird wieder auflegen.“

      Kürzlich habe ich mit meinen beiden Freundinnen über mein Problem gesprochen. Ich erzähle jetzt Edgar, was Susanne zu mir gesagt hat: Warum läufst du ihr nach? Die soll bleiben, wo der Pfeffer wächst, diese dumme Pute.“

      „Unsinn“, meint Edgar. „Man sollte nichts unversucht lassen. Mein Sohn wollte auch einige Zeit nichts mehr von mir wissen. Er hat mir vorgeworfen, ihm nicht zu sagen, wer seine Mutter ist. Dabei habe ich doch keine Verbindung mehr zu ihr, seitdem sie mir unser dreijähriges Kind überlassen hat. Sie wollte nur zum Einkäufen gehen, aber sie ist nicht mehr zu uns zurückgekehrt. Das war damals schlimm für mich, ein echter Horror. Ich als Vater musste auch noch die Mutterrolle übernehmen. Ich habe arbeiten müssen und habe meinen kleinen Sohn zu einer Tagesmutter gebracht, die ich bereits gekannt hatte. Sie war sehr lieb zu meinem Kind. Nie wieder habe ich etwas von meiner Lebensgefährtin gehört. Vier Jahre waren wir zusammen gewesen. Was habe ich nur falsch gemacht?“

      Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht hast du überhaupt nichts falsch gemacht. Eine Mutter, die ihr Kind verlässt, ist in meinen Augen eine Verbrecherin.“

      „So empfinde ich es auch. Mein Sohn war mir bald schon ans Herz gewachsen. Aber mit 16 hat er wieder Abstand von mir genommen. Seit


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